Wer Anzeichen für einen Verkehrsunfall auf der eigenen Fahrbahn ignoriert und mit voller Geschwindigkeit auf die Unfallstelle zufährt, kann keinen Schadensersatz wegen einer Kollision verlangen, urteilte das Landgericht Lübeck (LG) bei einem Fall, in dem es um das Überfahren eines Rehs ging, was zu einem Zweitunfall führte.
Bei dem Unfall kollidierte ein Mercedes-Fahrer auf der Autobahn mit einem Reh, wobei Fahrzeugteile und Teile des Rehkadavers auf dem linken Fahrstreifen liegen blieben. Einige Minuten später erreichte ein Audi-Fahrer die Unfallstelle, fuhr auf dem linken Fahrstreifen mit 130 km/h und sah eine Person ohne Warnweste auf der Fahrbahn. In deren Nähe kollidierte er mit Überresten des Rehs, was zu erheblichen Schäden an seinem Fahrzeug führte. Der Audi-Fahrer verlangte deshalb von der Versicherung der Mercedes-Eigentümerin vollen Schadensersatz. Da diese die Zahlung verweigerte, klagte er vor dem LG Lübeck. Der Versicherer zweifelte daran, dass der Fahrer tatsächlich wie behauptet eine Vollbremsung hingelegt habe, sobald er die Person gesehen habe.
Gericht spricht Auffahrenden Alleinhaftung zu
Das LG hat die Klage des Mannes abgewiesen. Sowohl Zeugen als auch ein Sachverständiger widerlegten die Unfallschilderung des Audi-Lenkers. Die Kollision mit dem Rehkadaver spreche für eine hohe Geschwindigkeit, zudem hätte das aufgestellte Warndreieck den Auffahrenden warnen müssen.
Nach Ansicht des Gerichts wurde der Zweitunfall damit ganz überwiegend durch den Audi-Fahrer selbst verursacht. Indem er „die ausreichende Absicherungsmaßnahme durch das Warndreieck und die Bedeutung einer betriebsfremden Person auf der Autobahn grob missachtet hat und darauf verzichtet hat, dies zum Anlass zu nehmen, um besonders aufmerksam zu sein, seine Fahrgeschwindigkeit deutlich zu reduzieren und sich bremsbereit zu halten, hat er jegliche Sorgfalt außer Acht gelassen, die in der durch ihn selbst vorgetragenen Ausgangslage erforderlich gewesen wäre, um sich vor Schäden zu bewahren“.
Er habe sich schließlich „sehenden Auges ohne sachlichen Grund selbst in Gefahr begeben“. Vor diesem Hintergrund hielt das Gericht eine Haftung der Mercedes-Fahrerin und der Versicherung nicht für gerechtfertigt. (bh)
LG Lübeck, Urteil vom 29.12.2023 – Az 9 O 1/22
Bild: © Björn Wylezich– stock.adobe.com
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