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9. Mai 2023
Wann liegt beim Versicherer eine Vertrauenshaftung vor?
Wann liegt beim Versicherer eine Vertrauenshaftung vor?

Wann liegt beim Versicherer eine Vertrauenshaftung vor?

Für private Krankenversicherer gilt, dass ihre Leistungspflicht für jede medizinische Behandlung neu zu prüfen ist und eine frühere Kostenerstattung keine Bindungswirkung entfaltet. Dennoch kann im Einzelfall eine Vertrauenshaftung vorliegen. Doch wann?

In Ausnahmefällen kann in der privaten Krankenversicherung der Versicherer nach Treu und Glauben aufgrund der Vertrauenshaftung zum Ersatz von Behandlungskosten verpflichtet sein, obwohl sich diese als medizinisch nicht notwendig erweisen. Das haben die Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) geurteilt.

Versicherer lehnt Kostenerstattung ab

Im vorliegenden Sachverhalt erlitt eine Frau 2009 einen Herzinfarkt. Von 2013 bis 2015 befand sie sich daraufhin in Behandlung bei einem Facharzt für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren und Umweltmedizin. Der private Krankenversicherer übernahm die Kosten hierfür, aber jeweils mit geringen Abzügen. Im März 2015 kündigte der Versicherer der Frau gegenüber eine Prüfung des Leistungsanspruchs an und forderte einen ausführlichen Befund- und Behandlungsbericht sowie eine unterschriebene Einverständniserklärung an. Von Februar bis Juli 2015 stellte der behandelnde Arzt der Frau nochmals über 9.000 Euro in Rechnung. Der private Krankenversicherer erstattete hiervon aber nun nur noch knapp 1.700 Euro, eine darüber hinausgehende Kostenerstattung lehnte der Versicherer ab.

Vorwurf: Versicherer handelte treuwidrig

Doch die Frau verlangte von ihrer privaten Krankenversicherung die Erstattung der Heilbehandlungskosten. Die Frau machte nämlich geltend, dass sämtliche abgelehnten Leistungen medizinisch notwendig gewesen und die Kosten daher vom Versicherer zu erstatten seien. Zudem verhalte sich der Versicherer treuwidrig, argumentierte die Frau, da er die streitgegenständliche Behandlung zuvor unbeanstandet erstattet und die streitgegenständlichen Rechnungen erst nach siebenmonatiger Prüfungszeit abgelehnt habe. Das zuständige Landgericht teilte die Auffassung der Frau und verurteilte den beklagten privaten Krankenversicherer, den nicht erstatteten Betrag in Höhe von 4.234,78 Euro an die Klägerin zu zahlen. Daraufhin legte der beklagte Versicherer Berufung beim OLG ein.

Berufung hatte keinen Erfolg

Doch die Berufung hatte keinen Erfolg. Zu Recht habe das Landgericht erkannt, dass der beklagte Versicherer nach Treu und Glauben zum Ersatz der angefallenen Behandlungskosten verpflichtet sei, stellten die Richter am OLG klar. Grundsätzlich gelte zwar, dass die Frage der Leistungspflicht für jede medizinische Behandlung dem Grunde und der Höhe nach neu zu prüfen sei und eine frühere Kostenerstattung grundsätzlich keine Bindungswirkung entfalte. Gleichwohl komme im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Vertrauenshaftung des Versicherers in Betracht.

Umstände des Einzelfalls sind entscheidend

Entscheidend seien dabei die Umstände des Einzelfalles. Mit ihrem Erstattungsverhalten über einen Zeitraum von anderthalb Jahren in erheblichem Umfang habe der beklagte Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen bei der Klägerin hervorgerufen. Ein besonderes und letztlich das zugunsten der Klägerin ausschlaggebende Gewicht habe der Umstand, dass die Beklagte die in den Jahren 2013 und 2014 eingereichten Rechnungen nicht in vollem Umfang erstattet, sondern – wenn auch geringfügige – Abzüge vorgenommen habe. Das ließe aus der Perspektive der Klägerin erkennen, dass die Beklagte die Frage der medizinischen Notwendigkeit nicht etwa übersehen oder aus wirtschaftlichen Erwägungen auf die Überprüfung verzichtet, sondern die Rechnungen geprüft und im Umfang der Erstattung gebilligt habe, so die Richter am OLG. (as)

OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.02.2023 – Az. 12 U 194/22

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