Ein Kommentar von Dr. Alexander Ströhl, AssCompact
Eine explosive Preisdynamik hat die Eurozone fest im Griff. Importpreise, Großhandelspreise und Erzeugerpreise erreichen Monat für Monat neue Allzeithochs und fachen die Teuerungsrate weiter an. Und die Europäische Zentralbank (EZB)? Die obersten Währungshüter hatten auf ihrer letzten Sitzung nichts Besseres zu tun, als die Klaviatur der europäischen Geldpolitik – sprich Leitzins, Einlagenzins und Anleihekäufe – unverändert zu belassen, und haben lediglich bekräftigt, dass das Ankaufprogramm APP im dritten Quartal auslaufen soll. In Anbetracht der galoppierenden Inflationsrate wäre es spätestens jetzt aber allerhöchste Zeit gewesen, die Ankaufprogramme einzustellen und entschlossene Zinserhöhungen einzuleiten.
Dabei hat die EZB den Nährboden für die starke Teuerung selbst bereitet. Seit März 2016 (!) liegt der Leitzins unverändert bei 0%. Über ihre Anleihekäufe hat die Notenbank mehrere Bio. Euro in die Wirtschaft gepumpt; selbst im April – als die Inflationsrate im Euroraum bereits bei 7,4% notierte – kaufte die EZB weitere Anleihen im Wert von unglaublichen 40 Mrd. Euro an. Und im Mai sollen die Aufkäufe in unveränderter Höhe fortgesetzt werden – einfach grotesk!
Noch im Januar 2022 tat EZB-Präsidentin Christine Lagarde die hohe Inflationsrate als lediglich vorübergehendes Phänomen ab. Aus heutiger Sicht ein wohl unverantwortliches Signal an Märkte und Haushalte. Spätestens im zweiten Halbjahr 2021, als sich der Konjunkturverlauf in der Eurozone vom beispiellosen Einbruch der Covid-19-Pandemie erholte, wäre die richtige Zeit gewesen, die geldpolitische Normalisierung einzuleiten. Denn: Preisstabilität muss für die EZB oberste Priorität haben.
Gewiss, eine Erhöhung der Zinsen verteuert Kredite für Unternehmen und Haushalte. Mit jeder Zinserhöhung wächst die Gefahr, dass der ohnehin fragile Konjunkturaufschwung in der Eurozone abgewürgt wird. Aber: Der EZB sollte auch an ihrer Glaubwürdigkeit gelegen sein. Nicht dass ihr dieses Merkmal neben ihrer Reaktionsfähigkeit auch noch abhandenkommt.
Welche Meinung haben Sie? Schreiben Sie mir gerne: stroehl@asscompact.de
Diesen Kommentar finden Sie auch in AssCompact 05/2022, S. 56, und in unserem ePaper.
Bild: © MB.Photostock – stock.adobe.com
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