Die Möglichkeit der Vereinbarung einer Klausel zur sogenannten Erklärungsfiktion war vor allem im Bankenwesen üblich. So konnten die allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) einseitig durch die Bank verändert werden, sofern der Kunde nicht explizit widersprach. Jahrzehntelang wurde dieses Vorgehen rechtlich nicht beanstandet. Die Erklärungsfiktion lässt das Recht zur Kündigung und zum Widerspruch gegen die vertragliche Änderung unberührt, weiterhin gelten nach Verstreichen der vorgenannten Rechte durch Verfristung – also letztlich durch Schweigen – die Veränderungen der AGB als akzeptiert. Dies ist in den meisten Situationen der Fall, weshalb in der Regel von einem Schweigen auszugehen ist.
Sind auch Maklerverträge betroffen?
Für den Versicherungsmakler bedeutete dies, dass auch der Maklervertrag und seine Grundlagen in der Theorie relativ unkompliziert gegenüber dem Kunden anzupassen waren. In der Praxis haben Versicherungsmakler jedoch von der Erklärungsfiktion und den damit möglich werdenden Vertragsänderungen nach aktuellem Kenntnisstand keinen Gebrauch gemacht.
Weitreichende Vertragsänderungen möglich
Dürfen Änderungen eines Vertrages jedoch überhaupt durch das Schweigen des Kunden wirksam werden? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Frage mit Urteil vom 27.04.2021 (Az.: XI ZR 26/20) verneint. Diese Entscheidung bedeutete das Ende der lange rechtlich nicht beanstandeten Klausel der Erklärungsfiktion. Nach der Meinung des Bundesgerichtshofs unterliegen derartige Klauseln vollumfänglich der AGB-Kontrolle; dies gilt auch für alle Änderungen ebenjener Geschäftsbedingungen, die alle Tätigkeiten umfassen sollen. Die AGB-Regelung betrifft demnach nicht nur die Anpassung von einzelnen Details der vertraglichen Beziehung mithilfe der fingierten Zustimmung, sondern ohne inhaltliche oder gegenständliche Beschränkung jede vertragliche Änderungsvereinbarung.
Unangemessene Benachteiligung des Kunden
Eine solche Regelung weicht damit vom wesentlichen Grundgedanken der §§ 145, 305 Abs. 2, 311 Abs. 1 BGB und der darauffolgenden Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ab, indem sie das Schweigen des Kunden als Annahme eines Vertragsänderungsantrages akzeptiert. Diese Abweichung benachteiligt die Kunden unangemessen nach §§ 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB.
Die allgemeine Änderungsklausel bietet dem Verfasser der Geschäftsbedingungen bei Annahme einer Zustimmungsfiktion die Möglichkeit, im Falle einer fehlenden fristgerechten Ablehnung das Vertragsgefüge insgesamt umzugestalten. Für weitreichende, die Grundlagen der rechtlichen Beziehung der Parteien betreffende Änderungen, die dem Abschluss eines neuen Vertrages gleichkommen könnten, ist laut der BGH-Pressemitteilung zu dem Urteil vielmehr ein Änderungsvertrag nötig.
Grundsatz deutscher Rechtsprechung bleibt gewahrt
Die Bundesrichter bestätigten hiermit, dass nach wie vor einer der obersten Grundsätze in unserer Rechtsprechung Bestand hat: „Schweigen ist keine Zustimmung.“ Der BGH untersagt mit dieser strengen Rechtsprechung die vorherige Abweichung von diesem Grundsatz, denn ohne die vertraglich zugrunde liegende Klausel der Erklärungsfiktion wäre eine einseitige Vertragsänderung durch Schweigen des Kunden ohnehin nicht möglich.
Der BGH erachtet derartige Klauseln nunmehr als unangemessene Benachteiligung und als Abweichung von wesentlichen Grundgedanken zum Vertragsschluss. Das bedeutet, dass weder Banken noch Versicherungsmakler oder andere Personen mit einer weit gefassten Klausel zur Erklärungsfiktion einseitig die Vertragsbedingungen ändern können.
Seite 1 Erklärungsfiktion: Schweigen ist keine Zustimmung!
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