AssCompact suche
Home
Management & Wissen
10. Februar 2025
„Zu 90% werden wir alle einmal pflegebedürftig sein“

1 / 2

„Zu 90% werden wir alle einmal pflegebedürftig sein“

„Zu 90% werden wir alle einmal pflegebedürftig sein“

Als Versicherungsmaklerin und Pflegegutachterin hat Silke Karsten einen besonderen Blick auf die Situation der Pflege in Deutschland. Im AssCompact Interview gibt sie einen Einblick, welche finanziellen und emotionalen Herausforderungen mit der Pflegebedürftigkeit verbunden sind und wie eine rechtzeitige private Vorsorge Entlastung schaffen kann.

Interview mit Silke Karsten, Versicherungsmaklerin bei den „Küstenberatern“ und Pflegegutachterin beim Medizinischen Dienst Nord
Frau Karsten, Sie sind gelernte Krankenschwester, aber auch Versicherungsmaklerin und erstellen Gutachten für gesetzliche Krankenkassen für die Einstufung des Pflegegrads. Wie beeinflusst ihre Ausbildung als Krankenschwester ihre Arbeit als Maklerin und Gutachterin?

Als Krankenschwester habe ich 20 Jahre in der ambulanten Pflege, davon fünf Jahre als Pflegedienstleitung, gearbeitet. In dieser Zeit habe ich hautnah erleben können, wie anspruchsvoll, körperlich belastend und letztendlich auch finanziell belastend die Pflege eines Angehörigen zu Hause ist. Ich selbst habe als pflegende Angehörige während der jahrelangen Pflege meiner Mutter die andere Seite, also die der pflegenden Angehörigen erlebt und gemerkt, wie wichtig eine gute Vorbereitung für einen Besuch zur Einstufung in einen Pflegegrad ist – und vor allem, wie wichtig es ist, eine finanzielle Vorsorge für den Pflegefall zu treffen. Diese Erfahrungen sind für mich in der Tätigkeit als Pflegegutachterin enorm wichtig, so weiß ich, wie aufgeregt die Personen sind, wenn der Pflegegutachter ins Haus kommt. Ich habe Erfahrung damit, wie ich das Gespräch beginne und führe, um an die benötigten Informationen zu kommen. Berichte ich von meinen persönlichen Erfahrungen in der Pflege von Ange­hörigen, entsteht eine angenehme Gesprächsatmosphäre.

In meiner Rolle als Versicherungsmaklerin sind diese Erfahrungen sehr wichtig. Beispielsweise kann ich Kunden genaue Beispiele zu Pflegesituationen und finanzieller Versorgungslücke zwischen gesetzlicher Pflegeversicherung und finanziellem Aufwand der Pflege zu Hause geben. Auch kann ich durch diese Erfahrungen empathisch verdeutlichen, dass Pflege für die Angehörigen existenzbedrohend sein kann, wenn nicht vorgesorgt wird. So sind Angehörige physisch und psychisch mit der Pflege überfordert, arbeiten weniger, erhalten dadurch weniger Gehalt und später weniger Rente.

Wie läuft eine Begutachtung bei potenziellen Pflegebedürftigen ab? Worauf wird geachtet?

Nach Terminvereinbarung besuche ich den Versicherten in seinem häuslichen Umfeld. Wichtig für die Begutachtung ist, dass die Pflegeperson oder eine Person, die sich mit dem Krankheitsverlauf des Versicherten auskennt, anwesend ist. Aktuelle ärztliche Unterlagen wie Arztbriefe, Entlassungsberichte, Rehabilitationsberichte und aktueller Medikamentenplan sollten vorliegen. Grundlage für die Begutachtung sind die Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit. Die Begutachtung selbst findet in Form eines Gespräches statt. Ich frage den Versicherten, warum es zur Antragstellung gekommen ist, welche Probleme bestehen, wobei er Hilfe/Unterstützung benötigt. Bei der Begutachtung wird auf die Fähigkeiten des Versicherten geachtet und wie selbstständig der Versicherte seinen Alltag gestalten kann. So schaue ich, ob der Versicherte mit seinen Händen den Hinterkopf, das Gesäß und die Füße erreichen kann. Daraus ergeben sich viele Hinweise auf den eventuellen Hilfebedarf. Als Gutachterin gebe ich Empfehlungen für Hilfsmittel wie Rollator, Duschstuhl u.v.m. Oft ist auch wichtig, die Wohnung anzupassen, etwa den Umbau einer Dusche oder einen Treppenlift. Auch diese Empfehlungen können während einer Begutachtung besprochen werden.

Bei kognitiv eingeschränkten Personen spreche ich den Versicherten zu Beginn des Gespräches direkt an, auch wenn ich merke, dass eine Unterhaltung aufgrund der kognitiven Einschränkungen nicht möglich ist. So erhalte ich wichtige Informationen zu den Einschränkungen. Das weitere Gespräch zum Krankheitsverlauf erfolgt dann mit den Angehörigen.

Wie läuft im Anschluss die Einstufung ab und ab wann fließt Geld?

Die Ergebnisse und Empfehlungen, auch zu Pflegegrad und Hilfsmitteln, werden im Gutachten zusammengefasst und an die entsprechende Pflegekasse gesendet. Von der Pflegekasse erhält der Versicherte innerhalb weniger Wochen den Bescheid über den Pflegegrad zugeschickt. In dem Gutachten ist vermerkt, ab wann der Pflegegrad gilt, ab dann wird das entsprechende Pflegegeld gezahlt.

Was passiert, wenn Pflegebedürftige oder Angehörige mit der Einstufung nicht einverstanden sind?

Hat der Versicherte oder seine Angehörigen/Pflegepersonen Einwände gegen die Entscheidung der Pflegekasse, kann ein Widerspruch bei der Pflegekasse eingelegt werden.

Ist es eigentlich auch im „Nach­hinein“ noch möglich, eine private Zusatzversicherung abzuschließen? Also wenn bereits ein Pflegegrad vorhanden ist?

Personen, die bereits Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit erhalten, sind nicht versicherungsfähig. Sie können keine private Pflegezusatzversicherung erhalten, wenn bereits ein Pflegegrad vorliegt.

 
Ein Interview mit
Silke Karsten

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Ulrich Welzel … am 11. Februar 2025 - 11:22

Danke Frau Karsten, für den tiefen Blick in die Pflege und in Ihre Aufgabe als Gutachterin beim MD. 

Ergänzend sei gesagt: Im Moment werden nur 16% der Pflegebedürftigen im Pflegeheim gepflegt. Nein: Satt, sauber und trocken gehalten. 

Das bedeutet: 84% der Pflege wird von pflegenden Angehörigen geleistet. Oft unentgeltlich, Arbeitsstunden werden reduziert (mit negativen Auswirken auf die eigene Rente) und zum Teil ist diese Pflege mit extremen psychischen Belastungen behaftet.

Leider erlebe ich keinen Versicherer der seine Vertriebsstrategie auf die 84% pflegender Angehörige legt. Diese Zahl wird sich noch erhöhen, allein aus dem Umstand, das noch mehr Pflegeheime schließen werden. In 2024 waren es über 90 Pflegeheime. Wahnsinn!

Egal welche Präsentation ich von Versicherern sehe, erzählen sie von einem Szenario, das ich meinen Heimplatz nicht mehr zahlen kann, und mich deshalb absichern sollte. Na und, sage ich dazu: Wenn ich mein Vermögen - bis auf das Schonvermögen - verbraucht habe zahlt (z.B. in Bayern) der Bezirk, also der Steuerzahler, und ich darf weiterhin im Pflegeheim leben. Frau Karsten, Sie wissen dass wir in den diesen Fällen bereits bei Vollkasko, nach Verbrauch des Vermögens, angekommen sind. 

In meinen Pflegeschulungen erlebe ich 99% der Finanzdienstleister, die die Infos der Versicherer nachplappern. Ob das eine gute Basis für die Kundenberatung ist, wage ich zu bezweifeln.   

Beste Grüße in den Norden und weiterhin viel Freude in beiden Aufgabenfeldern wünscht 

 

Ulrich Welzel