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10. Februar 2025
„Zu 90% werden wir alle einmal pflegebedürftig sein“

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„Zu 90% werden wir alle einmal pflegebedürftig sein“

„Zu 90% werden wir alle einmal pflegebedürftig sein“

Als Versicherungsmaklerin und Pflegegutachterin hat Silke Karsten einen besonderen Blick auf die Situation der Pflege in Deutschland. Im AssCompact Interview gibt sie einen Einblick, welche finanziellen und emotionalen Herausforderungen mit der Pflegebedürftigkeit verbunden sind und wie eine rechtzeitige private Vorsorge Entlastung schaffen kann.

Wie groß ist die durchschnittliche finanzielle „Lücke“ zwischen dem, was die gesetzliche Pflegeversicherung zahlt, und was Menschen draufzahlen müssen?

Nach Schätzungen ist die Versorgungslücke, also der Eigenanteil, mit dem ein Versicherter durchschnittlich im Monat bei Pflege mithilfe eines Pflegedienstes rechnen muss, wie folgt:

  • Pflegegrad 1: 150 Euro
  • Pflegegrad 2: 500 Euro
  • Pflegegrad 3: 1.200 Euro
  • Pflegegrad 4: 2.500 Euro
  • Pflegegrad 5: 2.500 Euro

Bei stationärer Pflege im Heim muss mit einer Versorgungslücke zwischen 2.500 Euro und 3.000 Euro im Monat gerechnet werden.

Bei der Versorgungslücke sprechen wir nur von Kosten für die reine Pflege. Hinzu kommen Kosten des täglichen Bedarfs wie für Friseur, Zeitschriften, Medikamente, Kleidung, u.v.m.

Wie hoch ist der Anteil der Menschen, bei denen Sie Gutachten durchführen, die eine private Pflegezusatzversicherung haben?

In meiner zehnjährigen Tätigkeit als Pflegegutachterin habe ich erst eine einzige Versicherte angetroffen, die eine Pflegetagegeldversicherung abgeschlossen hatte.

Eine kürzliche Studie hat ergeben, dass die Mehrheit der Rentner sich mehrere Jahre lang einen Platz im Pflegeheim aus eigener Tasche leisten könnten. Aus Ihrer Erfahrung heraus, wie sehen Sie das? Ist diese Annahme korrekt?

Die Mehrheit der heutigen Rentner wird sich einen Platz im Pflegeheim nicht leisten können, da die Versorgungslücken erheblich sind. Es gibt Berichte, dass selbst Pensionäre mit Pensionen von 3.000 Euro finanziell nicht in der Lage sind, ihren Heimplatz allein zu finanzieren.

Wie erklären Sie Ihren Kunden die Notwendigkeit und Vorteile einer Pflegezusatzversicherung, vor allem jungen Kunden, die potenziell jahrzehntelang von einer Pflegebedürftigkeit weg sind und das Geld vielleicht lieber anderweitig investieren wollen?

Eine private Pflegezusatzversicherung sollte möglichst in frühen Jahren abgeschlossen werden, da die Prämien dann günstiger sind. Niemand weiß, ob oder wann ein Pflegefall eintritt. Fakt ist, zu 90% werden wir alle einmal pflegebedürftig sein, teilweise auch von heute auf morgen durch einen schweren Unfall oder eine schwere Erkrankung. Die Pflege wird immer teurer werden. Oft sind die eigenen Angehörigen berufstätig oder wohnen nicht vor Ort und können so nicht regelmäßig als Pflegeperson zur Verfügung stehen. Eine finanzielle Vorsorge zur Pflegebedürftigkeit ist wichtig.

Es gibt die Möglichkeit der Pflegetagegeldversicherung, die mit vergleichsweise geringen Beiträgen und, beim richtigen Anbieter, auch mit guten Leistungen möglich ist. Die Versicherung dient der Absicherung des Risikos, gezahlte Beiträge können nicht erstattet werden.

Eine Pflegerentenversicherung zahlt eine vereinbarte Pflegerente und ist in der Regel beitragsstabil. Der Beitrag liegt jedoch höher als der zur Pflegetagegeldversicherung, er ist ca. zwei- bis dreimal so hoch. Bei Kündigung sind die Einzahlungen nicht verloren, im Gegensatz zu einer Pflegetagegeldversicherung

Als Maklerin berate ich zur reinen Absicherung des Risikos, also der Pflegetagegeldversicherung. Bei der Pflegerente wird ein Kapital aufgebaut, ähnlich wie bei einer Lebensversicherung. Ich bin der Meinung, dass dies nicht im Vordergrund stehen sollte. Meinen Kunden erkläre ich bei Nachfragen, ob Beiträge bei Nichtinanspruchnahme erstattet werden, dass auch bei Absicherung der Arbeitskraft, oder einer Risikolebensversicherung das reine Risiko versichert wird und es hier akzeptiert wird, dass keine Beiträge erstattet werden. Ich erlebe es immer wieder, dass gerade im Bereich der Pflege die Nachfragen gestellt werden. Pflege ist den Menschen zu weit weg. Sie hat etwas mit dem Alter zu tun, keiner will sich in jungen Jahren damit befassen. Weitere Vorteile einer privaten Pflegezusatzversicherung sind die Entlastung der Angehörigen und die steuerliche Absetzbarkeit. Das eigene Vermögen ist irgendwann aufgebraucht, aber die Versicherung zahlt, solange sie bedingungsgemäß zur Leistung verpflichtet ist.

Wenn sich mit einer neuen Regierung bei der sozialen Pflegeversicherung nichts ändern würde, was würde das Ihrer Meinung nach für Versicherte bedeuten?

Sollten zukünftige Regierungen bei der sozialen Pflegeversicherung nichts ändern, würden Angehörige und Pflegebedürftige weiterhin vor der Herausforderung stehen, dass die Pflegekosten steigen und die finanzielle Belastung weiter zunimmt. Probleme wird auch der Fachkräftemangel bereiten, es werden weiter Heime geschlossen werden.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 02/2025 und in unserem ePaper.

Bild: © Silke Karsten, „Küstenberater“

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Ein Interview mit
Silke Karsten

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Ulrich Welzel … am 11. Februar 2025 - 11:22

Danke Frau Karsten, für den tiefen Blick in die Pflege und in Ihre Aufgabe als Gutachterin beim MD. 

Ergänzend sei gesagt: Im Moment werden nur 16% der Pflegebedürftigen im Pflegeheim gepflegt. Nein: Satt, sauber und trocken gehalten. 

Das bedeutet: 84% der Pflege wird von pflegenden Angehörigen geleistet. Oft unentgeltlich, Arbeitsstunden werden reduziert (mit negativen Auswirken auf die eigene Rente) und zum Teil ist diese Pflege mit extremen psychischen Belastungen behaftet.

Leider erlebe ich keinen Versicherer der seine Vertriebsstrategie auf die 84% pflegender Angehörige legt. Diese Zahl wird sich noch erhöhen, allein aus dem Umstand, das noch mehr Pflegeheime schließen werden. In 2024 waren es über 90 Pflegeheime. Wahnsinn!

Egal welche Präsentation ich von Versicherern sehe, erzählen sie von einem Szenario, das ich meinen Heimplatz nicht mehr zahlen kann, und mich deshalb absichern sollte. Na und, sage ich dazu: Wenn ich mein Vermögen - bis auf das Schonvermögen - verbraucht habe zahlt (z.B. in Bayern) der Bezirk, also der Steuerzahler, und ich darf weiterhin im Pflegeheim leben. Frau Karsten, Sie wissen dass wir in den diesen Fällen bereits bei Vollkasko, nach Verbrauch des Vermögens, angekommen sind. 

In meinen Pflegeschulungen erlebe ich 99% der Finanzdienstleister, die die Infos der Versicherer nachplappern. Ob das eine gute Basis für die Kundenberatung ist, wage ich zu bezweifeln.   

Beste Grüße in den Norden und weiterhin viel Freude in beiden Aufgabenfeldern wünscht 

 

Ulrich Welzel