Interview mit Thorsten M. Kuhr, Geschäftsführer und Partner der BERNHARD Assekuranzmakler GmbH
Herr Kuhr, Sie als Spezialist für die Absicherung von Vereinen: Wie würden Sie die deutsche Vereinslandschaft beschreiben?
Die deutsche Vereinslandschaft ist äußerst vielfältig und umfasst neben Sportvereinen, kulturellen Organisationen, sozialen Hilfsverbänden und klassischen Freizeitvereinen auch politische Gruppen, Schützenvereine und Bildungs- sowie Forschungsvereine. Vereine spielen eine bedeutende Rolle im sozialen und kulturellen Leben Deutschlands, indem sie die Integration fördern, Traditionen erhalten und ehrenamtliches Engagement ermöglichen. Ferner noch sind sie ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft und bieten die Möglichkeit zur zwischenmenschlichen Interaktion und zur Förderung von Talenten.
Die finanziellen Ressourcen vor allem der lokalen Vereine dürften nicht allzu groß sein. Warum sind Vereine für Sie als Zielgruppe dennoch interessant?
Neben dem persönlichen Interesse gibt es eine Vielzahl an Gründen, die Vereine als Zielgruppe so besonders machen. Es gibt in Deutschland aktuell über 600.000 Vereine – Tendenz steigend. Gleichzeitig gibt es wenige Vermittler, die wirklich auf Vereine spezialisiert sind und damit das erforderliche Fachwissen vorhalten, um passende Konzepte anbieten zu können. Unsere Rahmenverträge sind zum Beispiel nach Vereinsgrößen gestaffelt, damit auch kleinere Vereinsbudgets bedient werden können. Die finanziellen Ressourcen werden im Vereinsbereich jedoch teilweise unterschätzt. Viele Vereine erhalten Förderungen und Spenden oder haben Einnahmen aus Veranstaltungen. Weiterhin haben wir die Erfahrung machen dürfen, dass Vereinskunden sehr treue Kunden sind, mit denen sich langfristige Kundenbeziehungen auf- und ausbauen lassen. Oft erleben wir es, dass ein kleiner, frisch gegründeter Verein über die Jahre wächst und wir ihn langfristig in seinem Wachstum begleiten und unterstützen dürfen. Darüber hinaus organisieren viele Vereine übers Jahr verteilt eine Vielzahl von Veranstaltungen, bei denen Versicherungen wichtig sind. Bei vom Verein organisierten Reisen ist eine Versicherung mitunter sogar verpflichtend. Zu guter Letzt sind Vereine in der Regel zuverlässige Multiplikatoren. Hier findet ein Austausch auf einer sehr vertrauensvollen Basis statt, sodass wir oft von Verein zu Verein weiterempfohlen werden.
Welche Vereine zählen zu Ihrer liebsten Zielgruppe?
Jeder Verein trägt auf unverzichtbar wertvolle Weise zu unserer Gesellschaft bei. Als Sportfan begeistere ich mich persönlich besonders für Organisationen im Bereich des Sports. Hier werden sportliche Leistungen und soziale Verbindungen gleichermaßen gefördert. Menschen unterschiedlichen Alters und aus verschiedenen sozialen Schichten können durch sie ein starkes Gemeinschaftsgefühl, Teamgeist und Zusammenhalt erleben. Sie unterstützen Talente und fördern den Wettbewerb, setzen Vorbilder und leben einen gesunden und aktiven Lebensstil vor.
Gibt es pauschal ein paar grundlegende Versicherungen, die jeder Verein braucht?
Generell sollten die wichtigsten Haftungslücken geschlossen werden. Jeder Verein sollte also mindestens eine Vereinshaftpflichtversicherung haben. Die Vermögensschaden- und D&O-Versicherung, eine Rechtsschutz- mit Spezial-Straf-Rechtsschutz und eine Cyberversicherung runden das Paket ab.
Worin liegen dann die Unterschiede zu den Versicherungen, die ein Wirtschaftsunternehmen benötigt?
Letztendlich sind die benötigten Sparten vergleichbar und unterscheiden sich lediglich in der Gestaltung der Inhalte und Deckungssummen. Es wird oft unterschätzt, wie vielfältig die Aktivitäten von Vereinen sind. Standardprodukte sind da in der Regel zu flach aufgestellt.
Wenn die Vereinswelt in Deutschland so vielfältig ist, muss also jeder Verein vollkommen individuell abgesichert werden?
Ja und nein. Wichtig ist immer, genau zu prüfen, was der satzungsmäßige Zweck des Vereins ist. Wir arbeiten seit über 70 Jahren tagtäglich mit Vereinen und verfügen daher über das notwendige Know-how. In unseren Rahmenkonzepten haben wir daher die gängigsten Risiken des Vereinsalltages bereits abgedeckt. Rund 60% der Vereine können wir hierüber versorgen. In der Praxis erleben wir es aber oft, dass sich bei genauerer Betrachtung der Satzung und der Aktivitäten erhöhte oder besondere Risiken ergeben, deren Einschluss wir dann individuell in unsere Konzepte einbauen dürfen.
Und wie läuft so eine Beratung bei Ihnen ab?
Zunächst fragen wir die Grundparameter des Vereins wie die Mitgliederzahl, die Haushaltssumme und die Anzahl der angestellten Mitarbeiter ab und fordern die Satzung an. Wir versuchen im direkten Austausch mit den Kunden ein Verständnis dafür zu bekommen, was der Verein genau macht und welche Risikopotenziale sich darin verbergen. Um ein Gesamtkonzept erstellen zu können, fragen wir eventuell auch bestehende Absicherungen ab. Im Rahmen der Beratung klären wir den Verein zusätzlich über Haftungsrisiken auf und sensibilisieren. Liegt uns die Satzung dann vor, prüfen wir anhand dieser erneut auf eventuelle Sonderrisiken und unterbreiten dem Kunden dann ein maßgeschneidertes Angebot. Hierbei stehen wir während des gesamten Prozesses unterstützend zur Seite.
Sind die Vereine in der Beratung manchmal überrascht, wogegen sie sich alles absichern sollten? Und sind Sie manchmal überrascht, gegen welche Risiken die Vereine vor Ihrer Beratung nicht versichert waren?
Erfreulicherweise haben wir in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass eine spürbare Sensibilisierung zum Thema Versicherungen stattgefunden hat. Viele Gesprächsteilnehmer haben sich auf den Termin bereits im Vorfeld vorbereitet. Die Wichtigkeit einer Grundabsicherung ist den meisten bewusst und es wird sich aktiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Des Öfteren gehen Vereine sogar aktiv auf uns zu, weil ihnen bewusst ist, dass ihre derzeitige Absicherung nicht ausreichend ist.
Überrascht sind wir hingegen, welche Risiken die Vereine vor unserer Beratung teilweise nicht versichert hatten. Hier ist es wichtig, ein Risikobewusstsein zu schaffen. Vor allem die Inventar- und Elektronikversicherung sowie die Veranstaltungsrisiken haben viele Organisationen nicht auf dem Schirm.
Was müssen Vereine beachten, wenn sie auch Events und Veranstaltungen abhalten?
Wichtig ist generell zu prüfen, ob diese mitversichert sind und wenn ja, bis zu welcher Besucherzahl oder in welchem Umfang. Es muss genau darauf geachtet werden, welche Sonderrisiken die geplanten Veranstaltungen bergen. Hier weicht die eigene Risikoeinschätzung des Öfteren vom tatsächlichen Risiko ab. Vielen Vereinen ist gar nicht bewusst, dass sich hinter einigen Veranstaltungen besondere Gefahrenquellen verbergen, z. B. beim traditionellen Maibaumaufstellen. Aber auch der Auf- und Abbau von Bühnen sowie die vom Verein dargestellte Bewirtung bei Veranstaltungen müssen gesondert abgesichert werden.
Die Cyberversicherung haben Sie bereits angesprochen. Wie wichtig ist sie denn für Vereine (geworden)?
Die Cyberversicherung zählt in unserem Absicherungskonzept mittlerweile zur Grundabsicherung. Denn leider werden immer öfter auch Vereine Opfer von Cyberangriffen. Oft geschieht dies im Rahmen einer breit gestreuten Kampagne. Werden dadurch personenbezogene Daten veröffentlicht, entsteht meist auch ein reputativer Schaden.
Wer haftet denn im Schadenfall eigentlich, wenn ein Verein keinen ausreichenden Versicherungsschutz hat?
In diesem Fall haften die Vereinsorgane gesamtschuldnerisch mit dem Privatvermögen. Die Verantwortung einer ausreichenden Absicherung obliegt dem Vereinsvorstand. Stellt sich im Schadenfall heraus, dass hier keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen wurden, kann der Verein den Vorstand in Anspruch nehmen. Daher empfehlen wir den Organen immer, sich über eine Directors-and-Officers-Versicherung zu schützen.
Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 04/2024 und in unserem ePaper.
Bild: © Thorsten M. Kuhr, BERNHARD Assekuranzmakler bzw. LBJeff – stock.adobe.com
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