Interview mit Prof. Hanno Beck, Autor und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim.
Herr Beck, Sie haben einen Warnkatalog erstellt, mit denen Anleger dubiose Experten entlarven können. Hat das Phänomen wieder zugenommen, oder was war der Anlass dafür?
Ich glaube, es ist nie kleiner geworden. Generell haben Leute, die entweder Reichtum bis in alle Ewigkeit versprechen oder die ewige Verdammnis prophezeien, natürlich in extrem volatilen Zeiten Konjunktur. Ihre Masche funktioniert immer dann besonders gut, wenn die Leute besonders ängstlich oder euphorisch sind.
Was sind die verbreitetsten Tricks und Aussagen solcher Gurus?
Der Klassiker ist zum Beispiel der mexikanische Scharfschütze.
Was macht diesen aus?
Sie schießen mit möglichst vielen Schüssen auf ein Scheunentor und pinseln danach eine Zielscheibe um die Einschusslöcher. Im Anschluss sagen sie, dass sie ja so gut getroffen haben. Wer möglichst viele Prognosen macht, wird immer mit einigen davon recht behalten. Diese richtigen Prognosen werden lautstark vermarktet. Über die anderen 100, die komplett daneben lagen, wird der Mantel des Schweigens gelegt. Man sollte einen Analysten nicht anhand seiner korrekten Prognosen beurteilen, sondern anhand seiner Erfolgsquote. Ich wette mit Ihnen, bei den meisten läge die Quote gerade einmal bei 50%. Da können Sie auch eine Münze werfen.
In dieselbe Kerbe schlägt die Strategie der kaputten Uhr. Sie müssen den Zeitraum ihrer Prognose nur lang genug wählen. Auch eine kaputte Uhr geht zwei Mal am Tag richtig. Gleiches gilt für Börsenprognosen. Irgendwann wird der Dax sicher mal über 20.000 steigen.
Sagt der Börsenguru Hanno Beck ...
Der dann im besten Falle auch noch möglichst vage bleibt. Das ist keineswegs ein neues Phänomen. Schon die Weissagungen des Nostradamus sind spektakulär eingetroffen. Warum? Weil er hinreichend unpräzise geblieben ist. Das sind die gleichen Methoden, die auch Wahrsager benutzen. Man schaut in die Hand oder Glaskugel und bleibt dann so unpräzise, dass man in den meisten Fällen recht hat. Ich spüre gerade, dass es einen wichtigen Menschen in Ihrem Leben gibt. Der ist ein wenig jünger als Sie. Zudem haben Sie eine sehr enge Bindung zu dieser Person.
Herr Beck, woher wissen Sie das?
Sehen Sie. Solche Aussagen treffen auf fast jeden zu. Irgendwann steigen die Leute dann darauf ein und sagen: Ja genau, das ist meine Frau oder mein Mann, und geben dem Wahrsager selbst die richtigen Stichwörter für weitere Prophezeiungen. Gurus machen eine vage Prognose und die Leute legen dann das hinein, was sie ohnehin glauben oder was sie hören wollen. Das Ganze wird dann am besten noch bedeutungsschwanger formuliert.
Gibt es auch Ähnlichkeiten zu allgemeinen Verschwörungstheorien, die viel Zulauf gewonnen haben?
Ja, ich glaub schon. Wenn Sie Guru werden wollen, dann müssen Sie in allererster Linie laut trommeln. An der Börse sind das spektakuläre Prognosen, in Politik und Gesellschaft die großen Weltverschwörungen. Das ist etwas, worunter seriöse Wissenschaftler leiden. Eine nüchterne und differenzierte Analyse verkauft sich nicht annähernd so gut wie eine spektakuläre Schlagzeile. Das Kunstfertige daran ist, dass Sie nicht einfach irgendetwas verkaufen können. Das Ganze muss dann noch durch eine in sich schlüssige Geschichte untermauert werden.
Was ist rein vom Erzählerischen Ihre Lieblingstheorie?
Meine Lieblingsverschwörungstheorie sind ganz klar die Echsenmenschen. Das ist so skurril, aber erzählerisch auf irgendeine Weise auch genial konstruiert. Man nehme echte, wahre Fakten. Aber nur Teile davon und baut sie in die eigene Erzählung ein und gibt ihnen eine andere Bedeutung. Diese Erzählung vermischen Sie dann mit nicht widerlegbaren Theorien, die durch die Fakten eine gewisse Plausibilität bekommen. Es ist schon eine Kunst, das gescheit hinzubekommen und dann auch noch eloquent, sauber und logisch konsistent umzusetzen.
Was braucht es noch für einen erfolgreichen Guru?
Im letzten Schritt müssen Sie sich noch gegen jegliche logischen und sachlichen Angriffe immunisieren. Zum Beispiel indem man behauptet, dass Kritiker ihre Kritik nur äußern, weil sie von den Reptilienmenschen bezahlt werden. Wichtig ist dabei immer, dass Aussagen nicht falsifizierbar sind. Sie können zum Beispiel nicht falsifizieren, dass es den Weihnachtsmann gibt. Man kann zwar behaupten, ihn auf der ganzen Welt gesucht und nicht gefunden zu haben. Aber haben Sie auch wirklich überall gesucht? Und es ist ja ohnehin klar, dass man ihn nicht findet, denn er ist doch immer da, wo man ihn nicht sucht. Ähnlich gehen Verschwörungstheoretiker und Börsengurus mit ihren Theorien vor. Wenn ihre Theorien nicht falsifizierbar sind, finden sie auf Kritik immer einen argumentativen Ausweg.
Und das verfängt bei den Menschen tatsächlich?
Ja. Hinzu kommt, dass, wenn Sie sich einmal eine Meinung gebildet haben, Sie dazu tendieren, alle weiteren Aussagen im Kontext Ihres Meinungsbildes einzuordnen. Es ist zudem schwer, sich von einer einmal eingenommenen Einstellung zu verabschieden. Dann muss man sich schließlich vor seinem gesamten Umfeld die Blöße geben. Wer will schon seiner Frau und seinen Nachbarn erklären, dass man jahrelang falsch gelegen hat? Eventuell findet man einen argumentativen Ausstieg, zum Beispiel, dass die Echsenmenschen die Welt verlassen haben und deshalb die Welt nun nicht mehr steuern. Auch Anlegern fällt es oft schwer, sich Fehler einzugestehen. Da liegen dann Anlageleichen noch jahrelang im Depot oder es wird sogar nachgekauft, um den durchschnittlichen Kaufkurs zu senken. Hier wie da geht es um menschliche Schwächen. Der erste wichtige Schritt ist, sich dieser Schwächen bewusst zu werden, denn dann kann man besser damit umgehen.
Keine Verschwörungstheorie ist die Inflation. Sie kletterte zuletzt auf 2,5%. Kommt die Inflation nun dauerhaft zurück oder ist das eher ein kurzes Aufflackern?
Darauf kann ich nur die klassische Antwort eines Ökonomen geben: Es kommt darauf an. Dafür spielen vor allem zwei Einflüsse eine Rolle. Kurzfristig ist das ganz klar die Corona-Pandemie. Da deutet einiges darauf hin, dass es kurzfristig zu erhöhten Preisen kommt. Auf der Angebotsseite sind Lieferketten unterbrochen und Kapazitäten reduziert worden. Die Frage ist, wie schnell sich das wieder aufbauen lässt. Auf der anderen Seite, der Nachfrageseite, sehen wir, dass die Leute im vergangenen Jahr sehr viel mehr gespart haben als sonst. Diese Überschussersparnisse drohen jetzt zu einer deutlich erhöhten Nachfrage zu werden. Dazu kommen noch die umfassenden Fiskalpakete der Regierungen. All das sprich kurzfristig für inflationäre Tendenzen. Teilweise sehen wir sie ja bereits.
Und langfristig?
Auch da sieht es zumindest problematisch aus. Seit mehr als zehn Jahren fluten die großen Notenbanken die Welt mit Geld. Zumindest nach alten Lehrbuchtheorien deutet das langfristig auf erhöhte Preise hin. Hinzu kommen noch die bereits erwähnten umfassenden Fiskalpakete und die historisch niedrigen Zinsen. Wenn die Staaten zudem irgendwann mal von ihren Schuldenbergen herunterkommen wollen, ist Inflation die scheinbar bequemste Möglichkeit.
Ist die Theorie aber so einfach auf die Praxis übertragbar?
Kritiker der Hypothese sagen, dass wir diese Entwicklung ja schon seit Jahren haben und dennoch nichts von einer Inflation gesehen haben. Eine Theorie, die ich durchaus unterstütze, besagt, dass die riesigen Geldmengen nicht in die Gütermärkte, sondern nur in die Vermögensmärkte fließen. Statt zu einer Güterinflation kommt es deshalb zu einer Inflation der Vermögenspreise. Die normale Inflation misst nur die Teuerung eines Güterkorbes. Vermögensgüter wie Aktien, Anleihen Immobilien oder Rohstoffe fließen darin nicht mit ein. Das könnte zum Teil erklären, warum der Dax so hoch ist und warum Immobilien so teuer sind. Vielleicht haben wir also die ganze Zeit auf die falsche Inflation gestarrt, nämlich auf die Inflation von Brokkoli und Pizza. Die sind nach wie vor relativ günstig. Aktien und Immobilien nicht mehr. Dann kommt etwas anderes hinzu.
Was?
Die Erwartungen. Die Leute machen sich ein Bild davon, wie Wirtschaft funktioniert, und reagieren darauf. Steigende Geldmengen und hochverschuldete Staaten bedeuten für sie eine zukünftige Inflation. Auf diese Erwartung reagieren sie bereits, bevor die Inflation kommt, und fliehen zum Beispiel in Sachwerte, um der drohenden Inflation zu entkommen.
So ganz rational agieren die Sparer aber nicht, wenn sie so viel Geld wie nie auf Sparbüchern und Girokonten bunkern ...
Ja, das liegt an der Habitualisierung. Übersetzt: Wir tun das, was wir immer tun. In dem Fall also bei steigender Unsicherheit mehr Geld auf das Sparbuch legen. Das scheint gerade in der deutschen Mentalität fest verankert zu sein. Zum Teil erbt man das Investmentverhalten der Eltern. Und unsere Eltern haben oft ihr Leben lang gesagt: Wir gehen auf Nummer sicher. Aktien waren lange Zeit nicht Teil der deutschen Anlagekultur. Und als sie es geworden sind, ging es Anfang der 2000er-Jahre ordentlich in die Grütze. Für die deutsche Aktienkultur kam der Zusammenbruch des Neuen Markts zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Das wirkt sicherlich bis heute nach.
Sie selbst haben schon 2014 in einem Buch von der großen Geldschmelze gesprochen. Sind Sie damit nicht auch ein Crash-Prophet?
Ich bin Rheinhesse und der Rheinhesse ist von Natur aus ein optimistischer Mensch. Aber ehrlich gesagt deuten alle Fakten, die ich kenne, darauf hin, dass das nicht gut gehen kann. Hochgradig überschuldete Staaten, aufgeblähte Geldmengen, negative Zinsen, um mal die wichtigsten Fakten zu nennen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass langfristig eine Welt mit negativen Zinsen möglich ist. Wie soll das funktionieren?
Bisher ging es aber gut ...
Dieses Argument erinnert mich ein wenig an den Mann, der vom 22. Stock eines Hochhauses springt, und als er am 13. Stockwerk vorbeifliegt, denkt er sich: „Bis jetzt ist ja alles gut gegangen.“ Man hat sehr kritische Anreize geschaffen.
Wie sehen diese aus?
Man könnte übertrieben gesagt aufgrund der Negativzinsen einfach 100 Mio. Euro aufnehmen und dann von den negativen Zinsen leben. Auch die Anreize für das Investieren sind kritisch. Wenn Kapital zu billig ist, wird es verschleudert. Das führt dazu, dass Investments gemacht werden, die völlig unsinnig sind. Und das ist dann wirklich Kapitalvernichtung. Welche Folgen das haben kann, hat nicht zuletzt die letzte große Immobilien- und Finanzkrise gezeigt. Mikroökonomisch sind solche Anreize verheerend. Es läuft aktuell ein historisch einmaliges Experiment.
Das klingt jetzt aber sehr nach einem Crash-Prophet-Guru und dem Ende der Welt. Sollen wir Sie Arm in Arm mit einer Echse abbilden?
Mag sein, dass das negativ klingt. Überschuldete Staaten, aufgeblähte Geldmengen, negative Zinsen sind aber Fakten und keine Verschwörung. Und beim Blick auf diese bekomme ich als Mikroökonom ein sehr mulmiges Gefühl. In Europa kommt noch erschwerend hinzu, dass wir eine Währungsunion haben, die nicht funktioniert. Die Folgen der Corona-Pandemie können zudem dazu führen, dass die EU-Staaten noch weiter auseinanderdriften und die Spannungen in der Währungsunion noch größer werden. Wenn ich all die Fakten zusammentrage, sehe ich kein gutes Gesamtbild. Ich kann aber überhaupt nicht sagen, ob, wann und wie wir wieder einen Weg aus dieser Situation herausfinden. Das können nur Gurus. Zumindest würden sie vorgeben, dass sie es können. Ich kann dagegen nicht sagen, wann das Experiment schiefgehen wird. Vielleicht geht es auch gut und wir finden einen Weg heraus, der nicht zu größeren Verwerfungen führt. Am wahrscheinlichsten ist, dass man sich mit mehreren Maßnahmen irgendwie durchwurstelt, inklusive kleinerer Katastrophen. Für einen genauen Blick in die Zukunft, muss ich Sie aber an eine Wahrsagerin verweisen.
Was kann man Anlegern in dieser Situation raten?
Das sind die langweiligen Sachen: Nicht alle Eier in einen Korb, nur mit Geld spekulieren, das man auch wirklich hat, langfristig denken und Ähnliches. Nur weil etwas alt und langweilig ist, heißt es noch lange nicht, dass es in der Breite der Öffentlichkeit erklärt ist. Die alten Weisheiten sind zudem vor allem deshalb alt geworden, weil sie sich bewährt haben. Gerade Inflation ist ein systemisches Risiko. Dem kann niemand entkommen. Die Alternative zu langweiligen Anlageratschlägen ist daneben noch: Hauen Sie es raus. Haben Sie Spaß. Gönnen Sie sich Dinge, die Sie sich sonst nicht gönnen würden. Was ebenfalls immer eine gute Rendite abwirft, ist Bildung. Zum einen in Form eines besser bezahlten Jobs, zum anderen in Form einer Bereicherung der eigenen Persönlichkeit. Und vielleicht hilft sie auch dabei, Anlagegurus und Verschwörungstheoretiker leichter zu entlarven.
Über den Autor
Hanno Beck ist nicht nur Ökonom, sondern auch Sachbuchautor und Hochschullehrer sowie ehemaliger Wirtschaftsjournalist. Von 1998 bis 2006 war er Redakteur für Wirtschaft und Finanzmärkte bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seit 2006 ist er Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim. Zudem war Beck mehrmals Lehrbeauftragter an verschiedenen deutschen Fachhochschulen sowie an der Warsaw School of Economics. 2007 erhielt er den deutschen Journalistenpreis in der Kategorie Vermögensverwaltung, 2013 den deutschen Finanzbuchpreis für den Titel „Geld denkt nicht“.
Abseits der Finanzwelt widmet er sich der Labradordame Lillie und hat mit „Alles, was Recht ist. Eine Geschichte für kleine Juristen“ auch das Feld der Kinderbücher als Co-Autor betreten. Nicht zuletzt das hat ihn gelehrt, wie man komplizierte Dinge möglichst einfach und anschaulich herunterbricht und erklärt.
Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 07/2021, Seite 56 f., und in unserem ePaper.
Bild: © Andrey Popov – stock.adobe.com
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