Die Europäische Zentralbank (EZB) hebt die Zinsen um 0,75 Prozentpunkte an und damit so stark, wie noch nie zuvor (AssCompact berichtete). Das mag drastisch klingen, an den Kapitalmärkten wurde die Nachricht jedoch gelassen aufgenommen. „Nein, das war keine Überraschung mehr“, meint beispielsweise Carsten Mumm, der Chefvolkswirt der Privatbank Donner & Reuschel. Die Märkte hätten genau diesen Zinsschritt um 75 Basispunkte bereits seit mehreren Wochen erwartet.
EZB will Entschlossenheit beweisen
Auch der Chefvolkswirt der Deka-Bank, Dr. Ulrich Kater, war von der EZB-Entscheidung nicht überrascht. Ein Zinsschritt von nur 0,5 Prozentpunkten wäre den Währungshütern seiner Meinung nach als zu laxe Haltung ausgelegt worden. Die EZB zähle ohnehin in ihrem Kampf gegen die Inflation bereits zu den Nachzüglern unter den Notenbanken. Was unter anderem auch damit zusammenhänge, dass die EZB lange die Fehleinschätzung vertreten habe, die Inflation sei nur ein kurzfristiges Phänomen.
Eingeständnis von Fehlern
Das hatte Christine Lagarde auch auf der Pressekonferenz eingestanden, die sich direkt an die Verkündung des Zinsschritts anschloss. „Wir haben Fehler gemacht.“ Außerdem fügte die EZB-Präsidentin hinzu: „Ich übernehme die Verantwortung dafür, weil ich diese Institution leite.“
Uneinigkeit im EZB-Rat
Dass die EZB der Inflation nun so deutlich entgegentritt, war zwar tatsächlich die vorherrschende Erwartungshaltung der Märkte, aber innerhalb des EZB-Rats nicht unumstritten. So hätte es laut Lagarde unterschiedliche Ansichten am Verhandlungstisch gegeben – letztendlich habe man sich jedoch einigen können.
Refinanzierungsprobleme in Südeuropa
Insbesondere südeuropäische Länder dürften sich innerhalb des EZB-Rats für kleinere Zinsschritte ausgesprochen haben, um die Wirtschaft ihrer Heimatländer nicht zu überfordern.
Rezessionsangst und weiter hohe Inflationswerte
Und die Lage dürfte nicht nur für die Südeuropäer herausfordernd werden. So geht Lagarde davon aus, dass sich die Wirtschaftsentwicklung deutlich verlangsamen werde, während die Inflationsprognose für 2023 noch immer 5,5% beträgt.
Etwas optimistischer ist da Carsten Brzeski. Der Chefvolkswirt für Deutschland und Österreich der ING geht von einer Inflationsrate von 4% im Jahresdurchschnitt für 2023 aus. Und auch Morgane Delledonne, ihres Zeichens Head of Investment Strategy für Europa bei Global X, verbreitet etwas Hoffnung: „Der Silberstreif am Horizont ist: Diese Prognosen deuten nicht auf eine Rezession in Europa hin, sondern auf niedriges Wachstum mit hoher Inflation.“
Weitere Roadmap noch offen
Wie es nun genau weiter geht, ist noch unklar. Die EZB behält sich mittlerweile vor, geldpolitisch verstärkt auf Sicht zu fahren. Man wolle aufgrund der Datenlage von Sitzung zu Sitzung entscheiden, wie reagiert werden müsse. Dass es jedoch noch in diesem Jahr weitere Zinserhöhungen geben wird, hat die EZB bereits in Aussicht gestellt.
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