Ein Mann hatte im Juli 2016 für 35.000 Euro einen Gebrauchtwagen gekauft. Er leistete eine Anzahlung in Höhe von 9.000 Euro. Zur Finanzierung des restlichen Betrags schlossen der Verkäufer des Fahrzeugs und der Mann einen Darlehensvertrag. Den wollte der Darlehensnehmer jedoch im April 2018 widerrufen. Das lehnte der Autoverkäufer ab. Schließlich sei die Widerrufsfrist längst abgelaufen.
Hat die Widerrufsfrist begonnen?
Der Mann war jedoch überzeugt, dass die Widerrufsfrist nie zu laufen begonnen habe, da die Widerrufsbelehrung des Darlehensvertrags fehlerhaft sei. Aus diesem Grund klagte er gegen den Autoverkäufer und forderte die Rückzahlung sämtlicher erbrachter Leistungen und die Übernahme der eigenen vorgerichtlichen Anwaltskosten.
Kaskadenverweis ist nach EU-Recht unzulässig
Die Vorinstanzen hatten zugunsten des Autoverkäufers entschieden. Der BGH hingegen urteilte nun im Sinne des klagenden Mannes und änderte damit auch seine eigene bisher vorherrschende Rechtsprechung. In der Widerrufsbelehrung wird eine Norm benannt, die wiederum auf einen weiteren Paragraphen verweist. Dieser sogenannte Kaskadenverweis war bisher zulässig. Nach einem Urteil des EuGH ist jedoch klar, dass ein derartiger Kaskadenverweis nicht mit der Verbraucherkreditrichtlinie des EU-Rechts vereinbar ist (AssCompact berichtete).
Gesetzlichkeitsfiktion greift nicht
Im vorliegenden Fall konnte sich der Autoverkäufer auch nicht auf die sogenannte Gesetzlichkeitsfiktion berufen, da er von der erforderlichen Mustervorlage abgewichen war. Die Gesetzlichkeitsfiktion greift, sobald sich der Darlehensgeber bei seiner Widerrufsbelehrung stur an den Mustertext hält, den der Gesetzgeber selbst bereitstellt. Bei dieser Musterwiderufsbelehrung wird angenommen, dass sie alle gesetzlich vorgeschriebenen Anforderungen erfüllt und dementsprechend nicht fehlerhaft sein kann. Aus diesem Grund können Widerufsbelehrungen mit Kaskadenverweis auch nach dem Urteil des EuGH noch gültig sein, wenn sie nicht maßgeblich von der Mustervorlage abweichen. (AssCompact berichtete).
Liegt Missbrauch des Widerrufsrechts vor?
Der Kläger hatte der Entscheidung des BGH zufolge auch 2018 noch ein Widerrufsrecht. Die Bundesrichter haben das Verfahren zur weiteren Entscheidung an das OLG Stuttgart zurückverwiesen. Dort muss noch geprüft werden, ob der Käufer mit dem späten Widerruf sein Widerrufsrecht missbraucht habe. (tku)
BGH, Urteil vom 27.10.2020, Az.: XI ZR 498/19
Bild: © Pavlo Vakhrushev – stock.adobe.com
Lesen Sie zum Thema Widerrufsbelehrung auch:
- Ministerium bringt EU-konforme Muster-Widerrufsbelehrung auf den Weg
- Widerrufs-Joker: Nationales Recht schlägt EU-Recht?
- Unzählige Kreditverträge könnten rückabgewickelt werden
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können