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27. Juli 2024
Wer will eigentlich noch eine Führungsrolle in der Branche?

Wer will eigentlich noch eine Führungsrolle in der Branche?

Auch Führungskräfte in der Versicherungsbranche müssen mit einer sich stark wandelnden Arbeitsmarktsituation klarkommen. Zur IT-Transformation kommen auch New-Work-Modelle, die Althergebrachtes auf den Kopf stellen. Will da eigentlich noch jemand die Führungsposition übernehmen?

Ein Artikel von Ralf Kurschildgen, Personalberater in der deutschen Versicherungsbranche, spezialisiert auf Führungs- und Managementpositionen, Gründer des Beratungsunternehmens Kurschildgen-Consulting

Die Arbeitsmarktsituation für Führungskräfte in der deutschen Versicherungswirtschaft hat sich radikal verändert. Einerseits ergeben sich aufgrund von demografischen Gründen – eine Vielzahl der aktuellen Führungskräfte wird in den nächsten Jahren in den Ruhestand wechseln und die Menge der nachrückenden Talente und Führungskräfte ist zu gering, um alle offenen Stellen optimal zu besetzen – viele Chancen für ambitionierte Talente und Führungskräfte, andererseits ändern sich die Anforderungen an Versicherungsunternehmen und die allgemeinen Rahmenbedingungen radikal. So ist die Komplexität bei vielen derzeit am Markt eingeführten bzw. noch zur Einführung geplanten Geschäftsmodellen stark gestiegen; das Thema Führung wird durch vielfältige, hybride Arbeitsmodelle (Stichwort: New Work) durchaus komplizierter, die umfangreiche IT-Transformation (Stichworte: Digitalisierung, KI, Robotics) stellt neue Anforderungen an die Führungskräfte von morgen und der aktuelle Fachkräfte­mangel führt nicht selten zu Qualitätseinbußen und Arbeitsrückständen in den Teams.

Will man da eigentlich noch eine Führungsrolle übernehmen?

Diese Frage stellt sich tatsächlich. So berichtet der Spiegel in seiner Ausgabe vom 21.02.2024 aus einer Umfrage der „Initiative Chef:innensache“, „dass nur noch knapp 29% der Beschäftigten in Deutschland eine (weitere) Führungs­rolle im Laufe ihres Berufslebens übernehmen wollen“. Vor sechs Jahren (2018) waren es noch 44%. Woran liegt das? Führungsposi­tionen galten schließlich lange als Inbegriff von Karriere und Status, und oft gehen sie auch mit einer hohen Vergütung einher, aber eben auch mit Druck und Stress. Es werden immer weniger, die sich den Herausforderungen einer Führungs­aufgabe freiwillig stellen. Die konkreten Gründe:

  • Verantwortung für Mitarbeitende und das Unternehmen übernehmen: Es ist ein Balanceakt, der vielen zu riskant erscheint.
  • Dauerhafter Zielerreichungsdruck: Ziele setzen, verfolgen, erreichen – das ist für viele Arbeitnehmer eine zu große Belastung.
  • Work-Life-Balance: Der Trend geht zur Teilzeitarbeit und nicht zur 6-Tage-Woche. Viele wollen heute mehr von der Welt sehen und das Leben genießen, statt 60 Stunden pro Woche am Schreibtisch zu verbringen.
  • Wohlstand vs. Verantwortung: Viele streben zwar nach Wohlstand, scheuen aber das damit verbundene Engagement.
  • Schwierige Entscheidungen und Gespräche: Kritikgespräche führen bzw. Kündigungen aussprechen? Da reißt sich vermutlich niemand drum.
Führung bietet viele Chancen

Führungsaufgaben bieten viele Vorteile. Man kann deutlich mehr Einfluss auf Entscheidungen und das Vorgehen im Unternehmen nehmen. Man hat die Möglichkeit, die konkrete Führung der Mitarbeitenden individuell zu gestalten. Dabei bieten die neuen Arbeitsformen auch viele Vorteile. Beobachtungen haben z. B. ergeben, dass durch eine Flexibilisierung von Arbeitsort und -zeiten die Mitarbeitenden deutlich zufriedener sind und auch die Ausfallzeiten sichtbar rückläufig sind. So berichtete der damalige Personalleiter des börsennotierten AXA-Konzerns, dass die Anzahl der durchschnittlichen Krankheitstage nach der Einführung des AXA New-Work-Modells signifikant zurückgegangen ist.

Wichtig ist bei diesen Arbeitsmodellen aus Sicht des Verfassers, dass man eine gesunde Mischung aus Home-Office-Zeiten und gemeinsamen Zeiten im Unternehmen gestaltet, um ein aktives Teambuilding zu gewährleisten. Gerade die vielen informellen persönlichen Kontakte tragen aktiv zum Erfolg einer Organisation bei. Die unterschiedlichen Ansätze der Arbeitsmethoden wie z. B. die Umsetzung eines agilen Settings können helfen, mehr Verantwortung auf die Teammitglieder zu verteilen und somit die Zufriedenheit zu steigern. Dazu bieten agile Ansätze die Chance, z. B. Produktentwicklungsprozesse deutlich zu beschleunigen. Weiterhin bietet eine Führungsaufgabe die Chance, Talente aktiv zu entwickeln und so einerseits Glücksmomente zu schaffen und andererseits ein eigenes, lang­fristiges Netzwerk zu entwickeln.

Fazit: Führung als Chance

Führung ist eine riesige Chance, etwas zu gestalten, aktiv Einfluss zu nehmen, eine eigene Handschrift zu hinterlassen, Teams zu formen, Talente zu entwickeln und Netz­werke aufzubauen und auszubauen. Wichtig ist dabei, im richtigen kulturellen Umfeld zu arbeiten (hier gibt es viele Unterschiede wie international, national, börsen­notierte Unternehmen, VVAGs, wachstumsgetriebene Organisationen, Start-ups, die erstarkte Maklerwelt etc.). Daneben spielen die direkten Kollegen, Mitarbeitenden und Vorgesetzten eine entschei­dende Rolle. Mit den passenden Menschen zusammenzuarbeiten, ist ein entscheidender Erfolgsfaktor.

Bei der Auswahl des richtigen Unternehmens und der richtigen Führungsfunktion sollte man daher mehr auf seinen Instinkt hören. Jeder sollte in dem Umfeld arbeiten, das zu ihm passt. In vielen Fällen ist es am besten, neben harten Fakten wie Gehalt, Titel, Karrierechancen etc. auf das eigene Bauchgefühl zu hören. Das klingt vielleicht wie ein Ratschlag aus einem Glückskeks, aber es ist wirklich weise, seinem Instinkt zu folgen. Unser Bauchgefühl basiert oft auf unserer unbewussten Einschätzung einer Situation und es kann bemerkenswert genau sein. Wer also zwischen verschiedenen Stellenangeboten abwägt, sollte sich etwas Zeit nehmen, um seine Entscheidung zu überdenken und zu sehen, was das Bauchgefühl sagt. Natürlich gibt es keine Garantie dafür, dass es immer zum best­möglichen Ergebnis führt, wenn man seinem Bauchgefühl folgt, aber in vielen Fällen ist es die sicherste Entscheidung.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 07/2024 und in unserem ePaper.

Bild: © Jacob Lund – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Ralf Kurschildgen