Das Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) hat mit Beschluss vom 09.01.2025 entschieden, dass ein Beratungsverzicht eines Versicherungsnehmers nach § 6 Abs. 3 VVG auch auf vorformulierten Formularen erfolgen darf, sofern er optisch deutlich hervorgehoben und eigenhändig unterschrieben ist. Ein gesondertes Dokument ist dafür nicht erforderlich.
Tobias Strübing, Fachanwalt für Versicherungsrecht in der Kanzlei Wirth-Rechtsanwälte, weist auf die weitreichenden Folgen dieser Entscheidung für Versicherer und Versicherungsvermittler hin. Er hätte es begrüßt, dass der Bundesgerichtshof (BGH) den Fall höchstrichterlich hätte überprüfen können.
Versicherungsnehmer unterschreibt vorformulierten Beratungsverzicht
Im entschiedenen Fall erhielt der Kläger nach einem rund 45-minütigen Telefongespräch mit dem Versicherer ein Antragsformular für eine fondsgebundene Basis-Rentenversicherung (Rürup-Rente). Darin war die Option „Ich verzichte auf die Beratung“ bereits vorgedruckt und angekreuzt. Der Kläger unterschrieb diesen Verzicht eigenhändig. Später forderte er Schadenersatz in Höhe von etwa 30.000 Euro, da er sich unzureichend beraten fühlte und die Folgen des Verzichts nicht verstanden habe. Der Versicherer argumentierte, dass der Verzicht wirksam sei und daher kein Anspruch auf Schadenersatz bestehe.
Vorformulierte Verzichtserklärung laut Urteil zulässig
Das OLG Nürnberg folgte dieser Argumentation und stellte klar, dass eine Verzichtserklärung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG nicht zwingend in einem separaten Dokument erfolgen muss. Entscheidend sei, dass sie optisch hervorgehoben, bewusst abgegeben und eigenhändig unterschrieben werde. Auch vorformulierte Erklärungen seien zulässig, sofern der Verbraucher auf mögliche Nachteile hingewiesen werde.
Das Gericht betonte, dass der Verzicht eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung sei und daher keiner AGB-Kontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unterliege, die unwirksame Klauseln ausschließen würde. Das Gericht betonte jedoch auch, dass ein Beratungsverzicht nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und unwirksam sein kann, wenn ein deutliches Verhandlungsungleichgewicht besteht oder der Versicherer besonderen Beratungsbedarf erkennen musste. Dafür trägt der Versicherungsnehmer die Beweislast, was der Kläger im vorliegenden Fall nicht hinreichend darlegte.
Bedeutung für den Beratungsverzicht gegenüber Vermittler ungeklärt
„Ich schaue sehr kritisch auf diese Entscheidung des OLG Nürnberg, weil der Fall im Wege eines Beschlusses nach § 522 ZPO entschieden und damit die Revision zum BGH zumindest erschwert wurde. Die Tragweite dieser Entscheidung ist meines Erachtens so weitgehend, dass eine höchstrichterliche Überprüfung durch den BGH mehr als wünschenswert gewesen wäre. Denn diese Entscheidung lässt sich so auch auf den Beratungsverzicht für Vermittler gemäß § 61 Abs. 2 VVG übertragen und hat damit Auswirkungen auf die gesamte Branche“, so Fachanwalt für Versicherungsrecht Tobias Strübing von Wirth Rechtsanwälte in Berlin.
„Gerade bei komplexen und erklärungsbedürftigen Produkten wie der fondsgebundenen Basis-Rentenversicherung besteht doch ein hoher Verbraucherschutz und mit Sicherheit sehr häufig auch ein hoher Beratungsbedarf. Die fehlende Möglichkeit einer höchstrichterlichen Klärung erschwert nun aber weiter eine einheitliche Rechtsprechung und lässt Verbraucher, Vermittler und Versicherer mit Rechtsunsicherheiten zurück.“ (bh)
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