Eine private Unfallversicherung springt ein, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Doch wie verhält es sich bei einem Suizidversuch aufgrund einer Angststörung mit depressiven Phasen? Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) hatte sich mit einem solchem Sachverhalt zu beschäftigen, wobei Unfälle aufgrund von Geistes- oder Bewusstseinsstörungen in dem Versicherungsvertrag ausgeschlossen waren.
Ausschluss von Geistes- und Bewusstseinsstörung
Eine Frau, die spätere Klägerin, hatte für ihren Sohn, der an einer Angststörung mit depressiven Episoden litt, eine private Unfallversicherung abgeschlossen. Die Versicherungssumme belief sich bis April 2019 auf einen Betrag von 108.000 Euro. In den Bedingungen wurde auch vermerkt, für welche Unfälle kein Versicherungsschutz besteht.
Ausgeschlossen wurden Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, sowie durch Schlaganfälle, epileptische Anfälle oder andere Krampfanfälle, die den ganzen Körper der versicherten Person ergreifen. Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn diese Störungen oder Anfälle durch ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis verursacht waren.
Suizidversuch mit Invaliditätsfolgen
Im Januar 2019 sprang der Sohn in Suizidabsicht aus dem Fenster seines Zimmers. Hierbei zog er sich Frakturen an beiden Beinen sowie der Wirbelsäule zu. Die Mutter meldete den Vorfall der Versicherung. Diese wollte die Leistung nicht erbringen, da es sich nicht um ein unfreiwilliges Ereignis handelte. So kam es zur Klage der Mutter. Auf Grundlage eines angenommenen Invaliditätsgrads von 33,5% hat sie eine Invaliditätsleistung von 36.180 Euro sowie Krankentagegeld und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten geltend gemacht.
Das Landgericht Baden-Baden (LG) hat die Klage im September 2023 abgewiesen (Az. 1 O 6/23). Der Sohn habe aufgrund seiner Erkrankung einem Zwang unterlegen und konnte nicht rational handeln, lautete die Entscheidung. Deshalb gelte der Leistungsausschluss von Unfällen durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, der in den Versicherungsbedingungen festgehalten ist. Die versicherte Person sei nicht in der Lage gewesen, ihr Verhalten an vernünftigen Erwägungen auszurichten und (gefahrabwehrend) richtig zu handeln.
Wahrnehmungsdefizit nicht ausschlaggebend
Diesem Urteil folgte nun auch das OLG Karlsruhe. Dort führte die Klägerin erweiternd an, dass eine den Anspruch ausschließende Geistes- oder Bewusstseinsstörung ein Wahrnehmungsdefizit voraussetze. Der Sohn der Klägerin habe seine Umwelt aber zutreffend wahrgenommen und nur im Rahmen der Willensbildung den Suizid als einzig gangbare und vernünftige Lösung angesehen.
Das OLG Karlsruhe urteilte dagegen, dass eine depressive Episode, welche die freie Willensbestimmung im Hinblick auf den Suizid ausschließt, als eine Geistes- oder Bewusstseinsstörung im Sinne der Versicherungsbedingungen anzusehen ist. Den Einwand, dass Voraussetzung für den Leistungsausschluss ein Wahrnehmungsdefizit bei der versicherten Person sei, weist das Gericht ebenfalls zurück. Auch eine Beeinträchtigung der Willensbildung ohne Störung der Wahrnehmung, auf welche die Klägerin sich bezüglich ihres Sohnes beruft, wird von dem entsprechenden Ausschlusstatbestand erfasst.
Das Gericht weist zudem darauf hin, dass der Ausdruck der Geistesstörung aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers gerade Zustände wie Geisteskrankheit, seelische Störung oder Psychose erfasst und damit Fälle einbezieht, in denen die versicherte Person nicht in ihrer Aufnahme- oder Reaktionsfähigkeit gestört ist, sondern in denen sie nicht in der Lage ist, ihre Handlungen rational zu steuern.
Zweck der Ausschlussklausel für durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich
Auch der für den Versicherungsnehmer ersichtliche Zweck der Klausel, vom Versicherungsschutz solche Unfälle auszunehmen, die sich als Folge einer bereits vor dem Unfall bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigung beim Versicherten darstellen, spricht dafür, auch Fälle einer psychischen Erkrankung, welche die Wahrnehmungsfähigkeit selbst unangetastet lässt, unter die Ausschlusswirkung einzubeziehen. Für eine Differenzierung zwischen einer solchen Erkrankung und einem mit Wahnvorstellungen einhergehenden Leiden, bei dem auch nach der Rechtsauffassung der Klägerin ein Anspruch auf Versicherungsleistung ausgeschlossen wäre, fehlt es an einem sachlichen Grund. (bh)
OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.05.2024 – Az. 12 U 175/23
Vorinstanz: LG Baden-Baden, 11.09.2023 – Az. 1 O 6/23
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