Werbeanrufe in der Praxis
Werbeanrufe zur Neukundenakquisition haben im Versicherungsvertrieb eine lange Tradition. Unvergessen die Verkaufsseminare „Bei Anruf Termin“ oder „Dem Kunden keine Chance“. Besonders beliebt sind Anrufe im Empfehlungsgeschäft, das eine solide Basis für eine langfristig erfolgreiche Vermittlertätigkeit bildet und kostengünstiger und einfacher zu bewerkstelligen ist als aufwendige und mühsame Neukundenakquisition. Nicht nur Vermittler in Strukturvertrieben, sondern auch Makler fragen nach dem Abschluss bei einem Kunden mehr oder weniger offensiv nach Kontaktdaten von Empfehlungsadressen, um diese später wegen der Vermittlung von Versicherungen kontaktieren zu können. Im nächsten Schritt werden die Kontaktdaten telefonisch abgearbeitet: „Guten Tag, mein Name ist Justus Versicherungsvermittler. Mein Name wird Ihnen nichts sagen. Aber ich habe kürzlich mit Herrn und Frau Empfehlungsgeber gesprochen. Die kennen Sie doch? In dem Gespräch ging es um Folgendes ... Wäre das für Sie nicht auch interessant, wann können wir das mal besprechen?“ Und schon ist ein Termin mit einem neuen Kunden verabredet. Wenn nur das Wettbewerbsrecht nicht wäre.
Werbemaßnahmen im Wettbewerbsrecht
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) ist jede geschäftliche Handlung, durch die ein Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt wird, unzulässig.
Telefonwerbung
Dabei ist eine unzumutbare Belästigung stets anzunehmen bei Werbung mit einem Telefonanruf gegenüber einem Verbraucher ohne dessen vorherige ausdrückliche Einwilligung oder gegenüber einem sonstigen Marktteilnehmer ohne dessen zumindest mutmaßliche Einwilligung, § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG.
Als Werbung angesehen werden alle Maßnahmen, die den Absatz von Waren und Dienstleistungen fördern sollen. Auch Anrufe eines Versicherungsmaklers bei Bestandskunden können als unerwünschte Werbung eingestuft werden, wenn Änderungen, Ergänzungen oder Ausweitung bestehender Verträge angesprochen oder ein Neuvertrag angeboten wird. Im Rahmen des Versicherungsmaklervertrages ist der Makler verpflichtet, die Versicherungsverträge des Kunden zu verwalten und ihn im Schadenfall zu unterstützen. Insoweit sind alle Maßnahmen des Versicherungsmaklers, die diesem Zweck dienen, nicht als Werbung, sondern als Erfüllung vertraglicher Nebenpflichten grundsätzlich zulässig.
Nach der Rechtsprechung ist unter einer ausdrücklichen Einwilligung jede Willensbekundung zu verstehen, die ohne Zwang für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgt. Dazu ist erforderlich, dass der Erklärende weiß, dass seine Erklärung ein Einverständnis darstellt, worauf sie sich bezieht (Kenntnis der Sachlage) und welche Waren oder Dienstleistungen welcher Unternehmen seine Einwilligungserklärung konkret umfasst (konkreter Fall). Soweit die Einwilligung im Rahmen allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) erklärt werden soll, ist eine gesonderte, nur auf die Einwilligung in die Werbung bezogene Zustimmungserklärung erforderlich. Wenn die Einwilligung über eine Website erklärt werden soll, liegt eine wirksame Erklärung nur vor, wenn der Erklärende aktiv ein Kästchen anklicken muss (Opt-in). Ein voreingestellter Haken reicht nicht aus.
Telefonanrufe bei Verbrauchern ohne vorherige Einwilligung des Angerufenen sind demnach grundsätzlich unzulässig. Seit dem 01.10.2021 ist die vorherige Einwilligung eines Verbrauchers in die Telefonwerbung gemäß § 7 UWG zum Zeitpunkt der Erteilung in angemessener Form zu dokumentieren und ab Erteilung der Einwilligung sowie nach jeder Verwendung der Einwilligung fünf Jahre aufzubewahren.
Bei Gewerbetreibenden ist das anders. Dort reicht eine mutmaßliche Einwilligung. Der Begriff „mutmaßlich“ ist allerdings wertausfüllungsbedürftig und unpräzise: Der Anrufer kann von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgehen, wenn er aufgrund konkreter Umstände ein sachliches Interesse des Angerufenen an gerade dieser Art der Kontaktaufnahme annehmen darf. Dabei ist vor allem auf die Umstände vor dem Anruf und auf Art und Inhalt der Werbung abzustellen. Maßgeblich ist, ob der Werbende bei verständiger Würdigung der Umstände annehmen durfte, der Anzurufende erwarte einen solchen Anruf oder werde ihm jedenfalls positiv gegenüberstehen. Indizien können sein: die Verwendbarkeit des Produkts im Kernbereich des angerufenen Unternehmens („Versicherungen braucht jeder“ ist insofern kritisch), eine besondere Eilbedürftigkeit oder objektive Günstigkeit des Angebots. Anders gewendet muss der Anrufer von einem konkreten Bedarf der beworbenen Mittel ausgehen können.
Werbung über sonstige Telemedien (Fax, E-Mail, SMS, Messenger)
Werbung über sonstige Telemedien sind gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG grundsätzlich unzulässig, wenn der Betroffene nicht zuvor darin eingewilligt hat. Eine Unterscheidung zwischen Verbrauchern und Unternehmen wird hier nicht mehr vorgenommen. Es ist also immer eine vorherige Einwilligung erforderlich. Eine Ausnahme gilt gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 1–4 UWG für E-Mail-Werbung, wenn der Unternehmer die E-Mail-Adresse des Kunden im Zusammenhang mit dem Verkauf seiner Dienstleistung erhalten hat, der Unternehmer die Adresse zur Direktwerbung für eigene ähnliche Dienstleistungen verwendet, der Kunde der Verwendung nicht widersprochen hat und der Kunde bei Erhebung der Adresse und bei jeder Verwendung klar und deutlich darauf hingewiesen wird, dass er der Verwendung jederzeit widersprechen kann, ohne dass hierfür andere als die Übermittlungskosten nach den Basistarifen entstehen.
Briefwerbung
Briefwerbung ist grundsätzlich zulässig, soweit sie sich nicht als unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG erweist, weil die Werbung trotz erkennbar gegenteiligen Willens hartnäckig fortgeführt wird. Der Werbeadressat muss dazu dem Absender zu erkennen gegeben haben, dass er eine derartige Werbung nicht wünscht.
Fazit
Versicherungsmaklern ist zu empfehlen, diese Grundsätze insbesondere bei Kaltakquisitionen und bei Akquisitionen zur Erweiterung bestehender Geschäftsbeziehungen zu berücksichtigen. Wenn auch in bestehenden und funktionierenden Geschäftsbeziehungen in der Regel nicht damit zu rechnen ist, dass zufriedene Kunden etwa bei Anrufen zwischen Vertragsverwaltung und Geschäftserweiterung feinsinnig unterscheiden, ist es dennoch sinnvoll, bei allen Kunden perspektivisch eine vom Maklervertrag getrennte und für den Kunden freiwillige, klare und verständliche Einwilligungserklärung für alle oder gegebenenfalls einzelne Telemedien zu erlangen. Die dauerhafte Ablage in der Kundenakte erfüllt zugleich die neue Dokumentationspflicht.
Über den Autor
Hans-Ludger Sandkühler ist ausgewiesener Experte in Maklerfragen, gefragter Referent und Autor zahlreicher Veröffentlichungen. Außerdem ist er Mitinitiator des Arbeitskreises „Beratungsprozesse“ sowie Geschäftsführer des Instituts für Verbraucherfinanzen.
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 04/2022, S. 74 f., und in unserem ePaper.
Bild: © A Stockphoto –stock.adobe.com
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