Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 11.06.2024 befasst sich mit der Frage, wann Tierhalter für Schäden haften, die durch das Verhalten ihrer Tiere verursacht werden. Im konkreten Fall ging es um einen Unfall, bei dem eine Frau durch den Hund des beklagten Tierhalters verletzt wurde, obwohl das Tier zum Zeitpunkt des Geschehens unter menschlicher Kontrolle stand.
Der Unfall ereignete sich, als die Tochter des beklagten Hundebesitzers mit dem Hund spazieren ging. Der Hund war an einer Schleppleine, die er lose hinter sich herzog. Als die Hunde der Geschädigten und der Tochter des Beklagten zu einem Mäuseloch liefen, rief die Tochter den Hund zurück. Dabei geriet die Geschädigte unbemerkt in die Schleppleine, die sich beim Zurücklaufen des Hundes um ihr Bein zog und sie zu Fall brachte. Sie erlitt eine schwere Beinfraktur und musste im Krankenhaus behandelt werden. Es ging um Behandlungskosten von über 11.000 Euro und um einen erweiterten Schadensersatz.
Haftpflichtversicherer lehnt ab: Keine typische Tiergefahr
Der gesetzliche Krankenversicherer der Geschädigten forderte daraufhin Schadensersatz vom Tierhalter. Konkret nimmt er den mittlerweile verstorbenen Beklagten, dessen unbekannte Erben durch einen Nachlasspfleger vertreten werden, aus Tierhalterhaftung aus übergegangenem Recht für Schäden in Anspruch, die seine Versicherungsnehmerin erlitten hat. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten lehnte vorgerichtlich eine Regulierung des Schadens ab. Es wurde die Auffassung vertreten, in dem Unfall habe sich keine typische Tiergefahr verwirklicht, zudem würden Ansprüche der Klägerin an einem weit überwiegenden Mitverschulden der Geschädigten scheitern.
Es kam zur Klage vor dem Landgericht Bonn (LG) und dem Oberlandesgericht Köln (OLG). Beide wiesen die Klage ab. Sie argumentierten, dass sich im Unfall keine typische Tiergefahr verwirklicht habe. Der Hund habe lediglich auf den Befehl der Tochter reagiert und sei somit unter menschlicher Steuerung gewesen. Daher sahen sie keine Haftung des Tierhalters gemäß § 833 BGB, der eine Gefährdungshaftung für Tiere vorsieht. Zu dem Schadensereignis sei es nur aufgrund einer Verkettung besonders ungewöhnlicher Umstände gekommen. Damit wollte sich der Krankenversicherer nicht zufriedengeben und der Fall ging vor den Bundesgerichtshof (BGH).
BGH: Leitung des Tieres durch den Menschen schließt spezifische Tiergefahren nicht zwangsläufig aus
Der BGH hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und stellte klar, dass die Tierhalterhaftung nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass das Verhalten des Tieres durch menschliche Steuerung ausgelöst wurde. Entscheidend sei, dass das Tier selbstständig gehandelt und seine eigene Energie eingesetzt habe. Auch wenn der Hund auf den Ruf der Tochter reagierte, habe er sich während des Laufens nicht mehr unter ihrer Kontrolle befunden. Zudem sei der Unfall durch die Bewegung des Tieres, die Kraft der Schleppleine und die Unberechenbarkeit des tierischen Verhaltens verursacht worden. Die Gefahr, die von der Schleppleine ausging, falle ebenfalls unter die Tiergefahr.
Der BGH betonte, dass die Tierhalterhaftung auch dann greift, wenn das Tierverhalten durch einen menschlichen Anstoß ausgelöst wird, solange das Tier währenddessen nicht vollständig unter menschlicher Kontrolle steht. Die Tiergefahr besteht darin, dass Tiere, trotz menschlicher Steuerung, unvorhersehbar und eigenwillig handeln können. Das Urteil verdeutlicht, dass Tierhalter auch für indirekt durch ihre Tiere verursachte Schäden haften, wie hier durch die Schleppleine.
Der Fall wurde zur erneuten Verhandlung an das OLG Köln zurückverwiesen. Das Gericht muss nun klären, ob der Tierhalter für den Schaden haftbar gemacht werden kann und in welcher Höhe der Krankenversicherer der Geschädigten Anspruch auf Schadensersatz hat. (bh)
BGH, Urteil vom 11.06.2024 – VI ZR 381/23
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