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10. Dezember 2021
Sozialversicherung: Das Problem mit der einfachen Lösung
Sozialversicherung: Das Problem mit der einfachen Lösung

Sozialversicherung: Das Problem mit der einfachen Lösung

„Den Bundeszuschuss zur GKV dynamisieren wir regelhaft“, heißt es im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. Auch der Steuerzuschuss zur Rentenkasse kennt nur eine Richtung: laufend nach oben. Aber sollten die Sozialversicherungssysteme wirklich dauerhaft vom Bund unterstützt werden?

Die Finanzlage der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme bleibt weiterhin angespannt. Bereits für das kommende Jahr 2022 hat noch die alte Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD per Verordnung beschlossen, den Bundeszuschuss in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf insgesamt 28,5 Mrd. Euro aufzustocken – ein neuer Rekordwert in der langen Tradition der GKV. „Was die darauffolgenden Jahre angeht, da muss die Ampel wohl noch nachlegen“, prognostizierte Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, nun sogar gegenüber dem Wirtschaftsmagazin Handelsblatt. Und in der Rentenkasse sieht es auch nicht wirklich besser aus: Allein im Jahr 2021 wird der Zuschuss aus Steuermitteln nach Angaben des Bundesministeriums für Soziales und Arbeit etwa 92 Mrd. Euro betragen, was einem Anteil am Gesamtetat von 17% entspricht. Und auch hier: Tendenz steigend.

Bundeszuschüsse als bequeme und einfache Lösung

Steigende Steuerzuschüsse zur Sozialversicherung sind von den jeweiligen Regierungen ein bequemes Mittel, die Defizite in den Kassen zu kompensieren. Ihre Abstimmung per Haushaltsplan oder Bundesverordnung gelingt relativ rasch und wenig bürokratisch. Zudem brauchen die Beitragssätze nicht angetastet werden, sodass die Sozialabgaben für Unternehmen und Beschäftigte nicht weiter steigen. Bundeszuschüsse haben damit also vorrangig das Ziel, die viel zitierte Sozialgarantie – die sogenannte 40%-Grenze bei den Sozialabgaben – mit relativ einfachen Mitteln konstant zu halten. Nicht zuletzt stabilisieren üppige, staatliche Zuwendungen in der Sozialversicherung auch die Arbeitskosten, wodurch die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen nicht weiter beeinträchtigt wird. Insgesamt also sind Bundeszuschüsse in den Sozialversicherungen eine vermeintlich einfache Lösung und in der Politik scheint sich genau diese Auffassung zu verfestigen; und an diesem Punkt beginnt das Problem ...

Steuerzuschüsse illusionieren lediglich Beitragsstabilität

Vor dem Hintergrund steigender Steuerfinanzierungsanteile hat nun der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) ein zuschusskritisches Gutachten veröffentlicht. Darin prangert die Studie unter Leitung der Autoren Prof. Volker Ulrich, Universität Bayreuth, und Prof. Eberhard Wille, Universität Mannheim, an, dass die dynamische Entwicklung bei den zusätzlichen Steuermitteln an die Sozialversicherungen lediglich eine Illusion von Beitragsstabilität vermittelt. Arbeitgeber wie Versicherte profitieren zwar von stabilen Beitragssätzen. Allerdings sind beide Marktteilnehmer stets auch Steuerzahler. Damit werden Arbeitgeber wie Versicherte wiederum mittelbar an der ökonomischen Traglast steuerfinanzierter Sozialversicherungssysteme beteiligt. Steuerfinanzierung bedeutet also keinen automatischen Schutz vor einer steigenden Belastung. Vielmehr besteht die Gefahr, dass im Falle künftiger Beitragserhöhungen und stabiler Bundeszuschüsse die Belastung von Arbeitgebern und Versicherten sogar zusätzlich angehoben wird.

Einschränkung von Haushaltsspielräumen

Die zunehmende Steuerfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme steht im Bundeshaushalt außerdem in Konkurrenz mit weiteren Ausgaben. Mehr Steuern für Rente und Gesundheit auf der einen Seite beeinflussen die Mittelverfügbarkeit für wichtige Investitionsausgaben des Bundes auf der anderen Seite. Wichtige Zukunftsprojekte wie die Nachhaltigkeitswende in Gesellschaft und Wirtschaft, die Beschleunigung der Digitalisierung oder der kontinuierliche Ausbau von technischer wie sozialer Infrastruktur erfordern investive Ausgaben vonseiten des Bundes und werden durch die beschleunigte Dynamik bei den konsumtiven Staatsausgaben für Rente und Gesundheit gleichzeitig ausgebremst. „Das Gutachten zeigt die Hypothek, die auf der Finanzierung der Sozialversicherungen lastet“, kommentierte dazu der Direktor des PKV-Verbandes, Florian Reuther, die Ergebnisse der Wissenschaftler. „Immer mehr pauschale Bundeszuschüsse auf Kosten der Steuerzahler sind keine Lösung“, so Reuther weiter.

Steuerfinanzierte Gesundheitssysteme anfällig für Leistungsrationierungen

Steuerfinanzierung schützt zudem nicht vor Leistungskürzungen, wie das Gutachten weiter ausführt. Gerade in Ländern mit steuerfinanziertem Gesundheitswesen komme es immer wieder zur Rationierung von Leistungen, gibt die Studie der beiden Gesundheitsökonomen zu bedenken. Hier konkurrieren die Gesundheitsleistungen mit anderen Budgetpositionen um knappe Steuergelder, so dass diese Gesundheitssysteme in der Regel unterfinanziert sind. Hinzu kommt eine noch stärkere Abhängigkeit von konjunkturellen und insbesondere auch politischen Einflüssen, führt die Studie weiter an.

Das Problem mit der einfachen Lösung

Die sich unter politischen Entscheidungsträgern verfestigende Ansicht, permanent steigende Steuerzuschüsse seien ein probates Mittel zur Beseitigung von Finanzierungslücken in den sozialen Sicherungssystemen, gaukelt also lediglich eine bequeme und vermeintlich ökonomisch tragbare Lösung vor. Realistisch betrachtet ist diese einfache Lösung Teil eines großen Problems, da sie strukturelle Veränderungen wie die des demografischen Wandels verschleiert, Beitragsstabilität illusioniert und zu Budgetkonflikten im Bundeshaushalt führt. (as)

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