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5. Dezember 2023
Rürup-Analyse: Das Klimafonds-Urteil und seine Folgen für die Wirtschaft

Rürup-Analyse: Das Klimafonds-Urteil und seine Folgen für die Wirtschaft

Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institute, beleuchtet im Interview mit AssCompact die wirtschaftlichen Konsequenzen des Urteils zum Klimafonds. Er erörtert, wie diese Entscheidung das Wachstum Deutschlands beeinflussen und ob die finanzielle Stabilisierung der Altersvorsorge darunter leiden wird.

Ein Interview mit Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institute
Herr Rürup, was die Wirtschaft gar nicht mag, ist Unsicherheit. Wie groß ist die Verunsicherung in der Wirtschaft angesichts der Verfassungswidrigkeit des Klimafonds, womit Klimaschutzvorhaben finanziert werden sollten?

Wirtschaftsminister Robert Habeck erwartet als Folge der Nichtverfügbarkeit der Gelder aus dem Klimatransformationsfonds (KTF) im nächsten Jahr einen Wachstumsverlust von um die 0,5 Prozentpunkte. Nun kann man sicher darüber streiten, ob die direkten gesamtwirtschaftlichen Folgen des Urteils so groß sind – oder ob Habeck bereits bei seiner Prognose zu viel Optimismus an den Tag gelegt hat und nun einen Weg sucht, gesichtswahrend zurückrudern zu können. Ich gehe davon aus, dass unter Berücksichtigung aller vorliegenden Konjunkturdaten gesamtwirtschaftlich eher eine schwarze Null eine realistische Konjunkturprognose für das nächste Jahr wäre.

Der Wirtschaftsmotor stottert bereits, für dieses Jahr ist hierzulande mit einer Rezession zu rechnen. Kann man abschätzen, was das fehlende Geld zusätzlich an Wirtschaftswachstum kosten wird?

Insgesamt stehen um die 60 Mrd. Euro zur Disposition, verteilt auf vier Jahre. Insgesamt entspricht dieser Betrag etwa 1,5% des Bruttoinlandsprodukts. Nun gibt es zahlreiche Untersuchungen über den Multiplikatoreffekt von Staatsausgaben, von denen die meisten von einem Wert von kleiner eins ausgehen. Insofern dürften die gesamtwirtschaftlichen Folgen zwar merklich, aber durchaus überschaubar bleiben. Nicht das Bundesverfassungsgericht ist schuld an der Wachstumsmisere, sondern das nachgerade sträfliche Fehlen von Wachstumspolitik in den beiden zurückliegenden Legislaturperioden.

Welche kurzfristigen Folgen hat dieses Urteil für die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland? Gehen Mitbewerber im globalen Wettbewerb wie die USA oder China durch das Urteil nun gestärkt hervor?

Die in hohem Maße exportabhängige deutsche Industrie steckt in einer Energiepreisfalle, da die Belastung durch gestiegene Energiekosten zu einem veritablen Hemmschuh der deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb geworden ist. Die Folge wird ein Rückgang der Produktion sein. Nach Lage der Dinge wird das Versprechen der Bundesregierung, teures, klimaschädliches Erdgas durch preisgünstigeren grünen Strom zu ersetzen, auf Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, nicht erfüllbar sein.

Die Folge ist, dass viele deutsche Unternehmen derzeit bis zu dreimal mehr für Strom zahlen müssen als ihre internationale Konkurrenz. Das jedenfalls zeigen – bislang nicht widerlegte – Berechnungen des Bundesverbands der Deutschen Industrie, der Unternehmensberatung Boston Consulting Group und des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft.

Erhöhen diese Folgen in ihrer Zusammenschau die Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft auch nächstes Jahr auf Schrumpfungskurs bleiben wird?

Leider ja, denn die längerfristigen Wachstumsperspektiven des Landes sind merklich trüber, als es die Politik wahrhaben will. Der Sachverständigenrat beziffert in seinem aktuellen Gutachten das Trendwachstum der deutschen Wirtschaft auf knapp 0,5% – also nur noch ein Drittel der Werte der vergangenen Dekade. Die unausweichliche Dekarbonisierung, der seit Jahrzehnten prognostizierte Alterungsschub der Bevölkerung und die neuen geopolitischen Verwerfungen werden vom einstigen Globalisierungsgewinner Deutschland einen beachtlichen Tribut fordern.

Nun gerät die geltende Gesetzesgrundlage zur Schuldenbremse in die Kritik: zu statisch, zu zukunftsvergessen. Gehen Sie bei dieser Kritik mit?

Die seit 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ist ein Kind der globalen Finanzkrise der Jahre 2007/2008. Bis zum Ende des vergangenen Jahrzehnts konnten die restriktiven Vorgaben dieser Regeln eingehalten werden. Denn diese Jahre waren so etwas wie eine wirtschaftlich goldene Dekade. Die Folge: Investitionen in die wirtschaftliche Zukunft des Landes unterblieben zugunsten klientelspezifischer Sozialleistungen.

Diese wirtschaftlich goldenen Jahre sind unwiederbringlich vorbei. In Deutschland sind daher dringend mehr Investitionen in Bildung, Digitalisierung, Brücken und Mobilitätsnetze erforderlich. Anders lässt sich eine ökonomisch erfolgreiche Zukunft der Gesellschaft nicht sichern. Die damit verbundenen Lasten können durchaus via Verschuldung ein Stück weit auch auf die folgenden Generationen übertragen werden – im Interesse einer intertemporalen Gleichbehandlung. Schließlich profitieren nicht zuletzt die zukünftigen Generationen von diesen Investitionen.

Das viele Geld könnte nun an anderer Stelle fehlen. Könnten etwa die Zuschüsse für die angedachte Aktienrente – und damit die Stabilisierung der Altersvorsorge hierzulande – darunter leiden?

Der Einstieg in die Aktienrente, das Prestigeprojekt der FDP, ist bereits verschoben worden. Die deutsche Rentenversicherung steht angesichts der Alterung der Wohnbevölkerung und der in den kommenden zwei Dekaden zu erwartenden merklich schwächeren gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vor großen Herausforderungen. Eher früher als später wird die Politik nicht umhinkommen, unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie und der Energiepreiskrise haben gezeigt, dass Hilfsmaßnahmen nach dem Gießkannenprinzip sehr teuer sind und den Staat schnell an die Grenzen seiner finanziellen Möglichkeiten bringen können.

Eine diskussionswürdige Reformoption – zumindest nach der geplanten Anhebung des Rentenniveaus – wäre daher eine Aufwertung von Niedrigrenten sowie eine moderate Abflachung der Zuwächse höherer Renten, eine Option, für die sich der Sachverständigenrat mehrheitlich in seinem jüngsten Jahresgutachten starkgemacht hat.

Bild: mpix-foto – stock.adobe.com; Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup, Handelsblatt Research Institute