Wir befinden uns in einer „Pflegekrise“. Welche Rolle spielt denn die betriebliche Pflegeversicherung und wie wichtig wird sie wohl zukünftig noch?
Immer mehr Mitarbeitende sehen sich mit der Situation konfrontiert, dass noch Kinder im eigenen Haushalt leben und nahe Angehörige pflegebedürftig werden. Nicht immer wohnen diese in der Nähe, sodass zusätzliche Herausforderungen auf Betroffene zukommen. So entsteht schnell eine Mehrfachbelastung, die zu eingeschränkter Leistungsfähigkeit, krankheitsbedingten Abwesenheiten, Teilzeit oder sogar zum völligen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben führt. In 94% aller Fälle übernehmen nach Angaben der Pflegekassen Angehörige die Pflege. Ein betriebliches Pflegekonzept kann hier wertvolle Unterstützung leisten. Es ermöglicht den Beschäftigten z. B. Zugang zu Beratung, Betreuungsleistungen, unterstützenden Organisationsleistungen und einem monatlichen Pflegebudget zur finanziellen Entlastung. Erste Angebote für Arbeitgeber hält der Markt bereit, wir erwarten für die Zukunft noch weitere Anbieter und neue Leistungsvarianten. Das Thema wird zukünftig noch stärkere Relevanz für Arbeitgeber haben.
In Ihrer Studie zu Risikoleistungen 2024 heißt es, der Einfluss von ESG-Kriterien steige, v. a. das „S“, („Soziales“). Was bedeutet das in diesem Zusammenhang und was steckt hinter dem Trend?
Die ESG-Kriterien stehen für die Bewertung von Unternehmen in den Dimensionen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Eine Gewährung von Risikoleistungen kann dabei als Kriterium im Bereich des Sozialen gesehen werden. Unternehmen zeigen soziale Verantwortung durch das Angebot nachhaltiger Vergütungsbestandteile. Bereits 44% der in der Studie befragten Unternehmen nutzen den Benefit der Risikoleistung, um ihrer sozialen Verantwortung als Arbeitgeber gerecht zu werden. Besonders für große und international agierende Unternehmen ist es wichtig, mit einer guten Risikoabsicherung belastbar soziale Verantwortung zu zeigen. Wir beobachten auch, dass Unternehmen dies bereits verstärkt nutzen.
Kann es auch unpassende oder zu viele Benefits geben, die somit eher abschreckend wirken? Wie wichtig ist eine individuelle Risikoabsicherung?
Jeder Dritte würde für ein besseres Benefits-Paket bei vergleichbarer Tätigkeit und Vergütung den Arbeitgeber wechseln. Und ja, es kann auch zu viele und auch unpassende Benefits geben. Ehemals beliebte Benefits wie Tankgutscheine haben an Attraktivität verloren. Gesundheitsleistungen, klimafreundliche Mobilitätsangebote, flexibles Arbeiten oder Engagement des Arbeitgebers erfahren nun stärkere Popularität. Welche Benefits erwartet werden, richtet sich nach Faktoren wie Alter, Lebenssituation, Gesundheitszustand, Einkommen etc. „One fits all“ war gestern. Wir empfehlen einen Mix aus arbeitgeberfinanzierten Benefit ergänzt um eine individuelle Auswahl an Zusatzbenefit und moderne Benefits-Kommunikation. Denn die besten Benefits verfehlen ihren Zweck, wenn sie am Bedarf vorbeigehen, nicht wahrgenommen oder nicht verstanden werden. Ist das Benefits-Portfolio einmal festgelegt, empfiehlt sich eine regelmäßige Überprüfung, z. B. über Befragungen, um zu erheben, welche Leistungen tatsächlich genutzt und wertgeschätzt werden. Dabei ist ein Abstand von etwa zwei Jahren ratsam.
Wie könnte sich das Thema Risikoabsicherung in Zukunft weiterentwickeln?
Kollektive Risikolebensversicherung und kollektive BU werden in Zukunft eine bedeutende Weiterentwicklung erfahren. Diese wird angetrieben durch gesellschaftliche Veränderungen, technologische Fortschritte und neue Anforderungen im Bereich der Arbeitswelt nach sozialer Absicherung. Bereits heute ist zu erkennen, dass eine stärkere Integration in betriebliche Vorsorgekonzepte erfolgt. Arbeitgeber können die kollektiven Risikoabsicherungen als festen Bestandteil der bAV anbieten, um Arbeitnehmer besser abzusichern und ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern. Mit der Automatisierung von Prozessen und Datenanalyse durch globale Broker wie WTW mithilfe von Big Data und KI können Risikoeinschätzungen vorgenommen werden, die es ermöglichen, Policen genauer zuzuschneiden. Das könnte die Prämien für Arbeitgeber langfristig senken, wodurch kollektive Risikoabsicherungen erschwinglicher würden. In der Kombination mit Gesundheitspräventionsprogrammen wird auch ein Anreiz für ein gesünderes Arbeitsumfeld geschaffen.
Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 12/2024 und in unserem ePaper.
Bild: © Nicoletta Blaschke, WTW
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