Bereits die Keynote hatte es in sich. Den Anfang der Plenardiskussion zum Thema „Ist Deutschlands Rentensystem noch reformierbar?“ nutzte der Rentenexperte von der Uni Freiburg, Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, um seine Standpunkte in einer 20-minütigen Keynote kundzutun. Diese Eingangsbemerkungen sollten die Grundlage für die folgende Diskussion sein, die im Rahmen der virtuellen Jahrestagung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) stattfand.
Babyboomer tragen die Schuld an der Misere
„Deutschland altert“, stellte Raffelhüschen zu Anfang seiner Rede fest. Das Hauptproblem sei jedoch nicht nur die demografische Alterung Deutschlands, sondern speziell die Babyboomer. Bei ihnen handele es sich um demografische bzw. reproduktive Rohrkrepierer. Sie hätten vielleicht ein Kind, aber häufig keine Kinder, sondern lediglich einen Hund. Die gute Nachricht sei jedoch, es handele sich um ein Übergangsproblem. Sobald die zahlreichen Babyboomer „abgestorben“ seien, stabilisiere sich das System wieder.
Corona ändert nichts am demografischen Wandel
Die Corona-Pandemie hingegen habe bisher keine relevanten Auswirkungen auf die Demografie gezeigt. Im vergangenen Jahr habe keine Übersterblichkeit geherrscht und die überwiegende Zahl der Corona-Toten hätte statistisch gesehen nicht mehr viel Lebenszeit vor sich gehabt.
Regierung hat versagt
Für die aktuelle Lage der gesetzlichen Rentenversicherung macht Raffelhüschen die Regierungspolitik der letzten Jahre und vor allem das Wirken der SPD verantwortlich. Die gesetzliche Rentenversicherung sei 2007 fast vollständig saniert und nachhaltig ausgerichtet gewesen – ein Umstand, für den sich Raffelhüschen als Mitglied der damaligen Rürup-Kommission einen Mitverdienst zuschreibt. Olaf Scholz, Andrea Nahles und Hubertus Heil hätten im Anschluss daran jedoch „eine Fehlentscheidung nach der anderen“ getroffen.
Gleichbehandlung entscheidend
Deutschland stehe nach Überzeugung des Rentenexperten nun vor der Entscheidung, entweder die Rentenbeiträge oder das Rentenniveau stabil zu halten. Aus Gründen der Gleichbehandlung plädiert Raffelhüschen für fixe Rentenbeiträge. Seiner Ansicht nach sei es keinem jungen Menschen vermittelbar, dass seine Rentenbeiträge steigen müssten, nur weil die Babyboomer es versäumt hätten, für Nachwuchs zu sorgen.
Rentenniveau wird auf unter 40% sinken
Perspektivisch führe unter diesen Umständen nichts an einer Absenkung des Rentenniveaus auf 37–38% vorbei (aktuell ca. 48%). Außerdem werden die Versicherten nach Ansicht des Rentenexperten länger arbeiten müssen. Dafür schlägt Raffelhüschen eine Koppelung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung vor. Und auch der aktuell pausierte Nachhaltigkeitsfaktor müsse dringend wieder reaktiviert werden.
Grüner gibt Contra
Bei den beiden eingeladenen Politikern überzeugte Raffelhüschen mit seinen Ausführungen nicht. Markus Kurth, der rentenpolitische Sprecher der Grünen, warf dem Wissenschaftler vor, er verkürze seine Kritik unzulässig. Die absoluten Ausgaben für die gesetzliche Rentenversicherung stiegen zwar kontinuierlich, setze man die Ausgaben aber in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), blieben die Ausgaben seit ca. 20 Jahren nahezu konstant bei unter 10% des BIP. Außerdem sei die gesetzliche Rentenversicherung nicht eine von drei Säulen, sondern das Fundament, auf das sich gerade Geringverdiener verlassen können müssten, die weder privat noch über eine bAV ausreichend fürs Alter vorsorgen könnten.
CDU-Politiker will bAV stärken
Auch Peter Weiß, der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der Unionsfraktion im Bundestag, wollte die Kritik nicht ohne Weiteres auf sich sitzen lassen. Seiner Aussage nach, habe die SPD in der großen Koalition viele sinnvolle Reformen blockiert. Das Rentenniveau zu stark absinken zu lassen, lehnt der CDU-Politiker jedoch ab. Man müsse im Ruhestand auch von seiner Rente leben können. Er könne sich jedoch eine Stärkung der bAV, die Ausübung eines gewissen Vorsorgezwangs auf die Bürger und eine Abkehr von der 100%-igen Beitragsgarantie gut vorstellen.
Grüne wollen Bürgerfonds
An diesen Punkt konnte Kurth anknüpfen und das Konzept der Grünen für einen Bürgerfonds als Standardprodukt in der bAV vorstellen – der auch gleichzeitig als Riester-Ersatz dienen soll. Dabei handelt es sich um einen Fonds, in den alle Bürger einzahlen, sofern sie nicht aktiv ablehnen (Opt-out-Modell). Der Fonds würde öffentlich-rechtlich verwaltet und könnte aufgrund seiner Größe mit niedrigen laufenden Kosten angeboten werden.
Norwegischer Staatsfonds ist kein Konzept für Deutschland
Raffelhüschen wiederum zeigte sich von dem Konzept nicht überzeugt. Zwar sei beispielsweise der norwegische Staatsfonds ein Erfolgsmodell, aber nur deshalb, weil die Norweger aus dem durch Erdölreichtum entstandenen Überfluss agieren könnten. Der deutschen Politik würde er einen derartigen Fonds jedoch nicht anvertrauen. „Das ist, als würde ich einem Hund zwei Knochen hinwerfen und sagen, einer ist für morgen.“ Der Anlagestrategie des norwegischen Staatsfonds kann Raffelhüschen jedoch durchaus etwas abgewinnen. Dem sei es nämlich explizit verboten, in Staatsanleihen zu investieren. (tku)
Bild: © anut21ng Stock – stock.adobe.com
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Leserkommentare
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Das Rückstellungsdilemma bei Beamten???
Bemerkenswert ist, dass die Unfinanzierbarkeit der Beamten/Politiker/Richterpensionen mit einem Rückstellungsdefizit von 3 BILLIONEN EURO in Zahlen € 3.000.000.000.000,00 nicht in Frage gestellt wird. Das in besten Wirtschaftszeiten entstand, im angeblich SCHULDENFREI Deutschland. Ein Privileg das in erfolgreichen Nachbarstaate wie in A, CH, NL längst, wegen Unfinanzierbarkeit, abgeschafft wurde. Schröder SPD hatte den Mut genau diese Problematik anzugehen und eliminierte damit die Volkspartei SPD. Das hat Merkel in 3 Regierungszeiten nicht annähernd geschafft. Wenn hier nur die SPD erwähnt wird, die im Gegensatz zu Kohl und Merkel auch noch die Steuersätze senkte, ist in diesem Forum natürlich nicht erwähnenswert, auch weshalb Merkel in 3 Regierungsperioden, daran nichts änderte.
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