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30. Mai 2024
Prozessualer Anlegerschutz in Massenklagen auf Prüfstand

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Prozessualer Anlegerschutz in Massenklagen auf Prüfstand

Seit dem 13.03.2024 liegt der Regierungsentwurf zur Neuregelung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes vor. Ziel der Reform ist die effektivere Erledigung von kapitalmarktrechtlichen Massenklagen. Wie lauten die wesentlichen Änderungsvorschläge? Und was bedeuten diese für Privatanleger?

Ein Artikel von Dr. Nicolas Nohlen, LL.M. (Yale), Leiter der deutschen Dispute-Resolution-Praxisgruppe sowie Rechtsanwalt und Partner, Dr. Martin Eimer, LL.M. (Edinburgh), Rechtsanwalt und Partner, Katrin Weixlgartner, Rechtsanwältin und Senior Associate, und Alisa Beck, Rechtsanwältin und Associate der Kanzlei Ashurst LLP

Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) soll in erster Linie Anlegern die Durchsetzung von Ansprüchen erleichtern. In einem beispielhaft für eine Vielzahl von gleich gelagerten Fällen geführten Musterverfahren werden die wesentlichen Fragen für alle klagenden Anleger verbindlich geklärt. Zugleich soll so die Justiz entlastet werden. Gemessen an der Häufigkeit seiner Nutzung und der Prominenz der Verfahren wird man das KapMuG als gesetzgeberischen Erfolg betrachten müssen. Prominente Beispiele für vergangene KapMuG-Verfahren sind etwa die Klagen gegen die Deutsche Telekom im Zusammenhang mit dem dritten Börsengang im Jahr 2000 sowie jüngst gegen mehrere Automobilhersteller im Zusammenhang mit der Diesel-Thematik.

Dennoch begegnet die derzeitige Ausgestaltung des KapMuG immer wieder breiter Kritik. Als Schwachstellen des KapMuG gelten insbesondere die oft überlange Verfahrensdauer – das Telekom-Verfahren dauerte 20 Jahre – und die zweistufige Konzeption bei der Anspruchsdurchsetzung, bei der nach Klärung der wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen im Musterprozess (erste Stufe) jeder Betroffene anschließend seinen konkreten Anspruch auf dieser Basis dennoch individuell verfolgen muss (zweite Stufe).

Die Anwendungsdauer des KapMuG ist derzeit bis zum 31.08.2024 befristet. Der Regierungsentwurf sieht vor, diese Befristung abzuschaffen. Er reagiert auf die in der Vergangenheit verschiedentlich geäußerte Kritik u. a. an der Dauer und der Verbindlichkeit des Verfahrens.

Wesentliche Änderungs­vorschläge des Regierungsentwurfs

Der Regierungsentwurf verfolgt zwei zentrale Ziele. Mit kürzeren (Verfahrens-)Fristen und einer Stärkung der Kompetenzen der höherrangigen Gerichte soll die Effizienz der Musterverfahren gestärkt und deren Dauer verkürzt werden. Kläger und Beklagte sollen zudem zukünftig die Wahl haben – der Antrag einer Partei genügt –, ob sie sich die Vorteile eines KapMuG-Verfahrens zunutze machen oder ihren Rechtsstreit hiervon unabhängig führen. Bisher nehmen Parteien kapitalmarktrechtlicher Rechtsstreits, deren Ausgang von gleich gelagerten Fragen abhängig ist, zwingend am Musterverfahren teil. Sie müssen die Entscheidung oder einen Vergleich im Musterverfahren abwarten und sind an den Musterentscheid gebunden. Neben mehr Autonomie der Parteien in Bezug auf ihren Rechtsstreit soll die Neuregelung zu einer Reduzierung der Verfahrensbeteiligten und damit zu einer Entschlackung und Beschleunigung des Musterverfahrens führen.

Der Regierungsentwurf ändert nicht das Grundkonzept des Musterverfahrens als zweistufiges Verfahren. Der Anleger muss seinen Rechtsstreit auch nach einer verbindlichen Musterentscheidung individuell zu Ende führen. Zwar kann ein Anleger ohne eigene Klage seinen Anspruch alternativ durch einen Rechtsanwalt zum Musterverfahren anmelden lassen. Dies führt jedoch nur zu einer Verjährungshemmung. Er profitiert dann weder von der Musterentscheidung noch partizipiert er ohne vertragliche Einbindung an Vergleichen, die Musterkläger und Musterbeklagte schließen. Der Anleger muss seinen Anspruch selbstständig einklagen, sollte der Beklagte nicht freiwillig an ihn zahlen.

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