Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte am 14.05.2019 geurteilt, dass für Arbeitgeber innerhalb der EU grundsätzlich eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ihrer Mitarbeiter bestehen müsse. Das Urteil richtete sich jedoch an die EU-Staaten, die diese Entscheidung erst in ihre nationale Gesetzgebung integrieren müssen – so auch die Bundesrepublik. Doch auch ohne eine rechtsverbindliche Regelung in Deutschland greifen Gerichte in Arbeitsrechtsprozessen bereits auf die Entscheidung des EuGH zurück. So auch in einem Fall, in dem es vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) darum ging, wen die Darlegungs- und Beweislast bei Überstundenprozessen trifft.
Überstundenvergütung für 1,5 Jahre
Geklagt hatte ein Mann, der bis zum 30.09.2019 als Auslieferungsfahrer bei einem Unternehmen tätig war. Der Kläger machte rückwirkend Überstundenvergütung für einen Zeitraum von 1,5 Jahren geltend. Seine Forderung gründete er auf technische Zeitaufzeichnungen, die sein Arbeitgeber erhoben hatte. Das Unternehmen vertrat jedoch die Ansicht, dass diese Aufzeichnungen nicht zur Erfassung der vergütungspflichtigen Arbeitszeit erstellt worden waren.
Gegen Arbeitszeiterfassungspflicht verstoßen
Das Arbeitsgericht Emden hatte der Klage stattgegeben. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass der Arbeitgeber in europarechtskonformer Auslegung des § 618 BGB zur Erfassung und Kontrolle der Arbeitszeiten des Klägers verpflichtet gewesen sei. Dieser Verpflichtung sei das Unternehmen unstreitig nicht nachgekommen. Deshalb reichten die vorgelegten technischen Aufzeichnungen als Indiz für die geleistete Arbeitszeit aus. Diese Indizien habe der Arbeitgeber nicht durch Darlegung von Pausenzeiten oder Ähnlichem entkräften können. Gegen dieses Urteil legte das Unternehmen Berufung ein.
EuGH-Urteil hat keine Aussagekraft im Überstundenprozess
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hob die Entscheidung des Arbeitsgerichts auf. Das Urteil des EuGH vom 14.05.2019 (Az.: C-55/18), mit dem eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung festgestellt wurde, greife hier nicht. Das EuGH-Urteil habe keine Aussagekraft für die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess im Hinblick auf die Frage der Anordnung, Duldung oder Betriebsnotwendigkeit von Überstunden. Dem EuGH komme keine Kompetenz zur Entscheidung über Fragen der Vergütung zu. Dies ergebe sich aus Art. 153 AEUV. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Überstundenvergütung habe der Kläger daher nicht dargelegt.
Gang zum Bundesarbeitsgericht steht offen
Nun wird sich voraussichtlich auch das Bundesarbeitsgericht mit dem Fall beschäftigen müssen. Die 5. Kammer des LAG hat in ihrer Entscheidung die Revision zum obersten deutschen Arbeitsgericht zugelassen. (tku)
LAG Niedersachsen, Urteil vom 06.05.2021 – 5 SA 1292/20
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