An einer großen Reform der gesetzlichen Pflegeversicherung haben sich die Bundesregierungen in den vergangenen Jahren mehrfach vergeblich versucht. Nun ist es aber geschafft. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch die zweite Stufe der Pflegereform von Gesundheitsminister Hermann Gröhe beschlossen. Damit muss der Entwurf nun nur noch im Bundestag beschlossen werden. Um allen Seiten ausreichend Zeit für die Umstellungen zu geben, ist der vollständige Start erst für 2017 geplant.
Pflegegrade statt Pflegestufen
Das Pflegestärkungsgesetz II verändert die gesetzliche Pflegeversicherung grundlegend. Zentraler Punkt ist ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff. Die Einteilung in drei Pflegestufen ist Geschichte. Künftig wird es fünf Pflegegrade geben. Diese sollen den individuellen Pflegebedarf besser berücksichtigen. Künftig wird nicht mehr die Zeit gemessen, die zur Pflege notwendig ist. Entscheidend ist vielmehr, wie sehr die Selbstständigkeit eines Menschen eingeschränkt ist.
0,5 Millionen mehr Empfänger
Vor allem bei psychischen Krankheiten bringt die Reform Leistungsverbesserungen. So erhalten unter anderem Demenzkranke Anspruch auf die gleichen Leistungen wie Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. „Pflegebedürftige aufgrund von Demenz und deren pflegende Angehörige werden durch das Pflegestärkungsgesetz II endlich bessergestellt“, begrüßt Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland diese Änderung. Laut Tests des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen werden insgesamt rund eine halbe Million Menschen mehr Geld aus der Pflegeversicherung bekommen als im alten System.
Bestandsschutz für Altempfänger
Für die bisherigen Leistungsempfänger gilt ein Bestandsschutz. Von den 2,7 Millionen Altempfängern soll im neuen System niemand schlechter gestellt werden, selbst wenn eine Neueinstufung eigentlich einen geringeren Betrag zur Folge hätte. Die Ansprüche werden generell nur nach oben angepasst. Einzig bei neuen Anträgen kann es passieren, dass Pflegebedürftige schlechter abschneiden, als sie es im alten System der drei Pflegestufen getan hätten.
Steigende Beiträge
Die mit der Reform verbundenen steigenden Kosten werden durch höhere Beiträge ausgeglichen. Anfang 2015 wurden die Beiträge bereits im Rahmen des ersten Pflegestärkungsgesetzes von 2,05 auf 2,35% erhöht. Ab 01.01.2017 sollen weitere 0,2 Prozentpunkte hinzukommen. Insgesamt dürften die Einnahmen so um rund fünf Mrd. Euro gesteigert werden. Das ist ein Plus von rund 20% im Vergleich zu den vorherigen Einnahmen.
Beträchtliche Verbesserungen
Bei Pflegeunternehmen stößt das Gesetz auf positives Echo. „Das zweite Pflegestärkungsgesetz bietet den heutigen Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen beträchtliche Verbesserungen. Die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes, verbunden mit der Überleitung in die neuen Leistungen, verschafft den Betroffenen Erleichterung“, so der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). Eine drohende Absenkung von bis zu 300 Euro für die Bewohner von Pflegeheimen in den niedrigen Pflegegraden sieht der Verband allerdings kritisch.
Richtige Weichenstellungen
Auch die Krankenkassen reagieren positiv. „Nach jahrelanger fachlicher und politischer Diskussion werden die fünf Pflegegrade endlich Realität. Es ist gut, dass nicht mehr allein körperliche Beschwerden im Vordergrund stehen, sondern künftig der ganze Mensch und sein Grad der Selbstständigkeit beurteilt wird“, sagt Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbandes. Die Arbeitgeber reagierten hingegen skeptisch. „Das Zweite Pflegestärkungsgesetz bringt einige richtige Weichenstellungen wie die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs oder die Stärkung der Qualitätssicherung. Es lässt aber kein Konzept erkennen, wie die Pflegeversicherung auf Dauer leistungsfähig und finanzierbar bleiben soll“, kommentiert die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) die Pflegereform. (mh)
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