Der 06.11.2024 dürfte auf politischer Ebene wohl einer der denkwürdigsten Tage der jüngsten Vergangenheit sein, zumindest aus deutscher Sicht. Nach dem Aufstehen bekam der interessierte Bürger auf der Nachrichten-App seiner Wahl zunächst zu lesen, dass es in den USA wohl stark nach einem Wahlsieg der Republikaner in den USA aussieht – nie für unmöglich befunden, aber für manch einen dennoch überraschend. Tatsächlich aber kam der nächste Paukenschlag für viele noch vor der Schlafenszeit, und zwar aus Berlin.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Mittwochabend den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier um die Entlassung des amtierenden Finanzministers, Christian Lindner (FDP), gebeten und in einer Pressekonferenz kurz nach 21 Uhr auch die Gründe dafür genannt: Egoismus, Verantwortungslosigkeit, kleinkariertes politisches Taktieren usw. Ernsthafte Regierungsarbeit sei mit Lindner so nicht möglich gewesen. Lindners Nachfolger steht mehreren Medienberichten, die sich auf Regierungssprecher Steffen Hebestreit berufen, auch schon fest: Jörg Kukies (SPD), Staatssekretär im Kanzleramt.
Es hatte schon an den Tagen zuvor gehörig zwischen den Koalitionspartnern gekrieselt, vorrangig aufgrund der heißen Diskussion über den Bundeshaushalt 2025. Eine Lösung hat man offensichtlich nicht gefunden. Im Rahmen dieser Entwicklungen will Scholz nun im Januar 2025 die Vertrauensfrage stellen – vorher jedoch noch alle Gesetzentwürfe zur Abstimmung stellen, die „keinerlei Aufschub“ dulden. Bei der Aufzählung, um welche es sich dabei handelt, nannte Scholz u. a. auch die Stabilisierung der gesetzlichen Rente, womit das Rentenpaket II gemeint sein dürfte. Hierfür zeichnet neben Lindner auch Scholz‘ Parteikollege und Arbeitsminister Hubertus Heil verantwortlich. Was in der Aufzählung fehlt: das Altersvorsorgedepot und die Riester-Reform, die vornehmlich das Finanzministerium unter Lindner im Lauf des Jahres ins Rollen gebracht hatte. Wie geht es nun mit den Altersvorsorgereformen in Deutschland ob dieser Entwicklungen weiter? AssCompact hat bei Experten und Branchen-Playern nachgefragt.
Was plant die Politik?
Gut wäre es zunächst einmal, wenn man wüsste, was mit beiden Reformen denn nun eigentlich sicher geplant ist. Denn wie oben bereits geschildert: Der Bundeskanzler bezog sich in seiner Rede in Sachen Altersvorsorge lediglich auf das Rentenpaket II, das Altersvorsorgedepot und die Riester-Reform wurden nicht erwähnt. Das Bundespresseamt um Regierungssprecher Steffen Hebestreit reagierte bis Redaktionsschluss nicht auf eine AssCompact Nachfrage dahingehend – und auch das Finanzministerium entgegnete schlicht, dass man die Geschehnisse derzeit nicht kommentieren könne. Das Bundesarbeitsministerium konnte bis Redaktionsschluss ebenfalls nicht mit einer Antwort dienen.
Einziger „Lichtblick“: tagesschau.de meldete am Donnerstagnachmittag, dass FDP-Fraktionschef Christian Dürr im ARD-Morgenmagazin mitgeteilt habe, dass die FDP Projekte, an denen sie mitgearbeitet hat, nicht fallen lassen wolle.
Was sagt die Branche?
Bernhard Gause, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands Deutscher Versicherungsmakler (BDVM), hält sich auf Nachfrage mit Spekulationen zum weiteren Verlauf bei der Altersvorsorgereform zurück. Als förderlich für die Altersvorsorge befindet er die Geschehnisse in Berlin jedoch keineswegs und betont: „Der BDVM bedauert, dass mit dem Aus der Bundes-Ampel die dringend erforderliche Reform der staatlich geförderten Altersvorsorge ins Stocken gerät.“
Der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) ist nicht optimistischer gestimmt – im Gegenteil. In einer Pressemitteilung des Vermittlerverbands heißt es, dass man durch den „Bruch der Ampel-Regierung die Interessenwahrung der Vermittlerschaft sowie die Reform der privaten Altersvorsorge in einer kritischen Lage“ sehe. Präsident Michael H. Heinz betont, dass der BVK sehr skeptisch sei, ob Scholz‘ Plan, mit einer Minderheitsregierung die noch ausstehenden Gesetzesvorhaben bis Jahresende im Bundestag zu verabschieden, funktionieren werde. Da Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) eine sofortige Vertrauensfrage und Neuwahlen fordert, sei dies sogar eher unwahrscheinlich.
Auch befürchte der BVK Unsicherheiten hinsichtlich der Interimsbesetzung des Finanzministeriums im Hinblick auf die anstehenden Trilog-Verhandlungen zur EU-Kleinanlegerstrategie sowie der Neubesetzung der EU-Finanzkommissarin. Diese Konstellation könne „im Hinblick auf die Diskussion zu Provisionsbeschränkungen in den nächsten Monaten eine Zitterpartie für die Vermittlerschaft in Deutschland“ bedeuten.
Und auch der Bundesverband Finanzdienstleistung AfW (AfW) meldete sich zu Wort. Dieser sieht die aktuellen Entwicklungen ebenfalls mit Sorge. Grundsätzlich sei der Referentenentwurf des Finanzministeriums von vielen Seiten, auch innerhalb der Versicherungs- und Finanzbranche, positiv aufgenommen worden. Er sei eine „echte Chance“ für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die private Altersvorsorge gewesen. Nun sei jedoch mehr als fraglich, ob es bis zur Amtsübernahme einer neuen Regierung überhaupt noch zu einer Umsetzung des Entwurfs kommen wird.
Der Makler als Ansprechpartner in der Unsicherheit
Was macht man nun als Makler mit dieser Unsicherheit? Prinzipiell sind attraktive Vorsorgeangebote sowohl aus Verbrauchersicht als auch aus Maklersicht wünschenswert – und auch eine staatliche Förderung kann hierzu etwas beitragen. Doch Adrian Schmidt vom schwäbischen Maklerhaus KÄPSELE, Finalist beim Jungmakler Award 2023 und 2024, sieht die Sache recht pragmatisch, auch wenn es „sich hart anhört: Die Unsicherheit der Politik bringt die Leute dazu, sich nach unabhängigen Alternativen umzusehen, und hier sind wir als Makler Ansprechpartner. Je mehr die Regierung es nicht auf die Reihe bekommt, neue gesetzliche Lösungen zu schaffen, desto besser für uns als Makler, weil immer mehr Bürger sich auf die private Vorsorge konzentrieren.“
Wie es politisch mit dem Altersvorsorgedepot weiter geht, ist auch für Schmidt schwierig zu beurteilen. Grundsätzlich hält er auch Lindners Nachfolger Jörg Kukies vor dem Hintergrund seiner Laufbahn für durchaus geeignet, das Vorhaben voranzutreiben, allerdings sei die anstehende Neuwahl ein klares Hindernis: „Gute Entscheidungen benötigen Konstanz innerhalb der Regierung und langfristiges Denken durch alle Beteiligten. Solange eigene Machtgeplänkel im Vordergrund stehen, sind die Vorschläge und Ideen erstmal nur Parolen, die einen weiteren Weg zur Umsetzung haben.“
„Ein bis zwei Jahre“ bis zur nächsten Reform
Michael Hauer, Geschäftsführer des Instituts für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP), sieht die Reformen für den Moment vom Tisch. Auf AssCompact Nachfrage geht er davon aus, dass die CDU/CSU die Gesetze nicht unterstützen wird, um Druck auf Scholz auszuüben, wenn der Kanzler die Vertrauensfrage nicht gleich nächste Woche stellen sollte. Daher rechne Hauer nicht mehr damit, dass die Gesetze verabschiedet werden.
Dass die Reform der privaten Altersvorsorge somit im Moment „auf Eis“ liegt, betrachtet der IVFP-Chef kritisch. Denn sie hätte die notwendige Sicherheit und Klarheit in diesem Bereich gebracht. Jetzt werde es wahrscheinlich ein bis zwei Jahre dauern, bis die nächste Reform durchgeführt wird und bis dahin bestehe die Gefahr einer gewissen Verunsicherung der Menschen mit der Folge einer Verdrängung des Problems.
Nichtsdestotrotz: Die Versicherungsbranche biete, so Hauer, nach wie vor sehr gut passende Lösungen für die Altersvorsorge, wie die ungeförderte private Rentenversicherung der dritten Schicht, die betriebliche Altersversorgung in der zweiten Schicht und der Basisrente in der ersten Schicht. Was Hauer zufolge allerdings noch fehlt: der Weckruf von der Politik zur Dringlichkeit der Altersvorsorge.
Wie bei politischen Ereignissen und Vorhaben also oft üblich: Was mit den Altersvorsorgereformen passiert, ist nicht klar. Auf der Kippe stehen die Gesetzentwürfe allemal. Und auch wann die Vertrauensfrage kommt, ist nicht sicher. Es heißt also: abwarten, beobachten und mit allem rechnen – auch mit zwei wegweisenden politischen Ereignissen an einem Tag. (mki)
Bild: © Nataraj – stock.adobe.com
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