Ein Artikel von Stefan Schmuttermair, Aktuar (DAV) und Bereichsleiter Underwriting im Zentralbereich Deutschland der E+S Rückversicherung AG, und Mariko Wassy, Aktuarin (DAV) und Leiterin Referat Technisches Underwriting im Zentralbereich Deutschland der E+S Rückversicherung AG
Die Zeichentrickserie „Die Jetsons“, die ab 1962 im US-Fernsehen zu sehen war, zeigt das Leben einer amerikanischen Durchschnittsfamilie im Jahr 2062. Beim Blick 100 Jahre nach vorne entwickelten die Macher der Serie ihre Mobilitätsvision für die Zukunft: Die Jetsons verlassen morgens das gemeinsame Zuhause in einem Klein-Jet und werden nach und nach auf den letzten Metern mit einer Ein-Personen-Kapsel an ihr Ziel transportiert. Als letzter erreicht der Familienvater seinen Arbeitsort, an dem sich das Gefährt zu einem handlichen Aktenkoffer zusammenfaltet. Inwieweit sich diese Vision tatsächlich realisiert, werden wir erst in ein paar Jahrzehnten wissen. Doch wie steht es heute, 60 Jahre nach Entstehen der Jetsons, um die Mobilität? Und welche Trends sehen wir auf den deutschen Straßen?
Weniger Neuzulassungen, mehr Risiken
Im vergangenen Jahr war die Kraftfahrtversicherung in Deutschland mit Beitragseinnahmen von 29,1 Mrd. Euro erneut die größte Sparte in der Schaden-/Unfallversicherung. Obwohl die Pkw-Neuzulassungen in den letzten Jahren rückläufig waren (2019: 3,6 Millionen, 2020: 2,9 Millionen, 2021: 2,6 Millionen), nimmt die Zahl der Kfz-Risiken im Markt weiterhin zu. Für 2022 rechnen wir mit einem Bestand von rund 70 Millionen Fahrzeugen. Da die Zahl der Risiken im Verhältnis stärker gewachsen ist als die Beitragseinnahmen, kommt es bei den Durchschnittsbeiträgen in allen Teilsparten seit zwei Jahren zu Rückgängen.
Entwicklung der Straßenverkehrsunfälle
2022 passierten immer noch weniger Verkehrsunfälle als vor der Pandemie. Quelle: Statistisches Bundesamt
Auswirkungen von Covid-19
In den letzten beiden Jahren hat die Kraftfahrtversicherung Rekordergebnisse erzielt. Das lag insbesondere daran, dass die Menschen 2020 und 2021 deutlich weniger gefahren sind als in den Jahren davor. Lag die Schadenfrequenz in der Kfz-Haftpflicht 2019 noch bei 54‰, waren es 2020 nur noch 44‰ und 2021 sogar nur 42‰. So zählte das Statistische Bundesamt im März 2019 noch 216.000 Verkehrsunfälle. Im März der folgenden Jahre lagen die Zahlen bei 163.000 bzw. 175.000, im März 2022 kam es zu 188.000 Unfällen. Das waren immer noch weniger Schadenfälle als vor der Pandemie.
Ergebnisse 2022 unter Druck
Die E+S Rückversicherung geht davon aus, dass die Schadenfrequenz in der Kfz-Haftpflicht 2022 steigen, aber das Vor-Corona-Niveau nicht erreichen wird. Belastend dürfte sich zudem die ungewohnt hohe Inflation auswirken, die sich auch in der Verteuerung von Ersatzteilen und Reparaturen ausdrückt. Daher kalkuliert E+S für 2022 ein bestenfalls ausgeglichenes Ergebnis in der Kraftfahrtversicherung.
Trends: E-Mobilität, autonomes Fahren, Telematik
Kaum etwas begeistert uns mehr als neue Möglichkeiten und Technologien in der Mobilität. Neben Hoverboards und Segways sind E-Roller das bekannteste Phänomen der „Last-Mile“. Hier konkurrieren Sharing-Anbieter um die Gunst der Kunden, aber auch private E-Roller mit Versicherungskennzeichen werden immer beliebter. Allerdings steigt damit auch das Unfallrisiko. Während 2020 2.155 Unfälle registriert wurden, waren es 2021 bereits 5.105. Zu den häufigsten Ursachen zählen dabei das Fahren unter Alkoholeinfluss (18,3%) sowie die falsche Fahrbahnnutzung (16,6%).
E-Mobilität
Auch bei den Pkw erfreuen sich Elektroantriebe immer größerer Beliebtheit. Im Jahr 2021 waren 28,8% der Neuzulassungen Hybride (inkl. Plug-in-Hybride) sowie 13,6% reine E-Autos. Bis 2030 strebt die Bundesregierung 15 Millionen vollelektrische Pkw an – bei den aktuellen Wachstumsraten durchaus ein erreichbares Ziel.
Die Umstellung auf E-Autos ist einer von vielen Beiträgen zum Klimaschutz. Ziel ist es, bis 2030 die CO2-Emissionen im Verkehr um 40 bis 42% gegenüber 1990 zu verringern. Der Klimawandel hat insbesondere in Deutschland extremere Wetterereignisse zur Folge, die zu hohen Schäden – auch für Kraftfahrtversicherer – führen können.
Neuzulassungen von E-Autos
Fahrzeuge mit Elektroantrieb werden immer beliebter. Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt
Autonomes Fahren
Zusätzlich zu den CO2-Emissionen soll mit „Vision Zero“ auch die Zahl der Verkehrstoten mittelfristig auf Null sinken. Im Jahr 2021 starben in Deutschland 2.562 Menschen bei Straßenverkehrsunfällen. Zum Vergleich: 1970 waren es mit ca. 21.330 fast zehnmal so viele Personen – obwohl zwei Drittel weniger Pkw auf den Straßen unterwegs waren.
Um „Vision Zero“ zu erreichen, werden Fahrerassistenzsysteme (FAS) kontinuierlich weiterentwickelt und ausgebaut. Nach der Norm SAE J3016 für autonomes Fahren definiert man die unterschiedlichen Abstufungen von Level 0 bis 5.
Level 5 erinnert uns wieder an Familie Jetson, wo der Sohn in einer autonomen Kapsel in die Schule gelangt. Was wäre, würde er nun mit einem anderen Fahrzeug kollidieren? Kann man ihn noch als Fahrer bezeichnen oder haftet das Fahrzeug – eine wichtige Frage für die Versicherungsdeckung. Besonders kritisch sind Situationen, in denen autonome Fahrzeuge auf unerwartete Hindernisse treffen. Sie erfordern nicht nur Sensorik, sondern spontane Einschätzung im Kontext.
Doch auch hier gilt: Der Weg ist das Ziel. FAS machen das Autofahren sicherer und drücken so die Schadenlast. Der GDV erwartet bis 2040 8-15% geringere Entschädigungsleistungen (inflationsbereinigt), obwohl die Reparaturen selbst durch die zusätzliche Technik teurer werden.
Telematik
Um möglichst genau das tatsächliche Fahrverhalten von Versicherungsnehmern einschätzen zu können, gibt es auf dem Markt Telematiklösungen – so auch die es|Tmatik der E+S Rück. Dort werden mithilfe eines Beacons an der Windschutzscheibe Daten aus dem Fahrzeug analysiert. Risikoarmes Fahrverhalten wird dann zum Beispiel über einen Beitragsrabatt belohnt. Diese Transparenz trägt dazu bei, das Fahrverhalten der Nutzer zu verbessern. Die Daten werden einen maßgeblichen Einfluss auf die künftige Tarifierung haben. Wer keine Telematikdaten berücksichtigt, wird langfristig nicht bestehen. Für die Versicherer ist es bereits heute essenziell, solche Datenschätze aufzubauen und bestmöglich zu nutzen, denn die Telematik wird die Kfz-Versicherung revolutionieren.
Bild auf deutschen Straßen wird sich stark verändern
Selten unterlag die Mobilität einem so großen Wandel wie heute. Die Jetsons waren ihrer Zeit voraus – 2062 werden wir Level 5 noch nicht erreicht haben und fahren statt fliegen. Sicher ist jedoch, dass sich das Bild auf deutschen Straßen stark verändern wird und die Kraftfahrtversicherung diesen Wandel mitgehen muss. Bei den nötigen neuen Lösungen wird die E+S Rück die Erstversicherer weiterhin begleiten.
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 09/2022, S. 38 f., und in unserem ePaper.
Bild: © Sondem – stock.adobe.com


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