Gerade noch rechtzeitig zur Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht am 02.11.2022 hat die BaFin ein Merkblatt über die „wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekte bei kapitalbildenden Lebensversicherungen“ veröffentlicht. Und darin ist die Aufsicht nun von einer Provisionsbegrenzung bei Lebensversicherungen abgerückt. „Mit der Veröffentlichung [...] beendet die BaFin die von ihr selbst initiierte Debatte um einen Provisionsrichtwert. Nun herrscht für Versicherer und Vermittler Klarheit, dass die BaFin [...] keine Obergrenzen vorgibt“, kommentiert Martin Klein, geschäftsführender Vorstand beim Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungsunternehmen in Europa e. V. (VOTUM), die BaFin-Bekanntmachung. Bei der Umsetzung einer Provisionsdeckelung ist wohl das Bundesfinanzministerium (BMF) auf die Bremse getreten, denn auf AssCompact-Nachfrage bei der BaFin hieß es lediglich, dass man hier in enger Abstimmung sei. Allerdings: Die BaFin ist dem BMF unterstellt und Finanzminister Lindner ein erklärter Gegner der Provisionsbegrenzung.
Produktfreigabeverfahren im Fokus
Nichtsdestotrotz nimmt die BaFin die Lebensversicherer ins Visier. Konkret will die BaFin mit dem 20-seitigen Merkblatt sicherstellen, dass Lebensversicherer ihren Kunden einen angemessenen Nutzen bieten und Interessenkonflikte beim Vertrieb dieser Produkte vermieden werden. Der Schwerpunkt des Merkblattes liegt auf dem Produktfreigabeverfahren. Dabei geht es darum, dass die Versicherer den Kundennutzen ihrer Produkte gewährleisten und die hierfür gesetzlich vorgegebenen Prozesse einrichten. Für einen angemessenen Kundennutzen müssten die Produkte laut BaFin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit über ihre Laufzeit hinweg einen realen Anlageerfolg erzielen – also eine Rendite nach Kosten, die oberhalb einer begründeten Inflationserwartung liegt. „Und genau dies müssten die Versicherer bei der Produktprüfung sicherstellen“, heißt es von der Aufsicht.
BaFin: Überprüfung bei deutlich erhöhten Effektivkosten
In ihrem Papier hat die BaFin außerdem ihren risikoorientierten Aufsichtsansatz näher erläutert, den sie im Umgang mit den Lebensversicherern künftig verfolgen wird. Demzufolge wird die Aufsicht „vor allem die Versicherer näher prüfen, bei denen die Effektivkosten der kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukte im Branchenvergleich deutlich erhöht sind“. Das seien Unternehmen, deren wichtigste Verträge Effektivkosten im oberen Viertel der Branchenwerte aufweisen. Gleiches solle für Anbieter gelten, die durch hohe Aufwendungen für Versicherungsvermittler auffallen. „Dabei soll es vor allem um hohe Abschlussprovisionen gehen“, schreibt die BaFin weiter. Michael H. Heinz, Präsident beim Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute, erklärt daraufhin: „Wir begrüßen, dass die BaFin in ihrem Merkblatt keinen fixen Provisionsrichtwert vorgibt, sondern Auslegungsregeln für § 48 a Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG).“
Eine im März veröffentlichte BaFin-Studie (AssCompact berichtete: BaFin: Lebensversicherungen sind zu teuer für eine gute Rendite) hatte ergeben, dass in einem Alter von 37 Jahren und einer Vertragslaufzeit von 30 Jahren in 75% der untersuchten Fälle die Effektivkosten 2,35% betrugen – und damit die Rendite um diesen Prozentsatz schmälern. Laut BaFin-Merkblatt müssten nun alle Produktgeber mit höheren Kosten als diese 2,35% mit einer näheren Überprüfung durch die BaFin rechnen.
Auch ein hohes Neugeschäft kann Hinweis für aggressive Verkaufspraxis sein
Im Rahmen des nun verfolgten risikobasierten Ansatzes ist laut BaFin auch ein hohes Neugeschäft oder ein erhöhtes Storno Ausdruck einer aggressiven Verkaufspraxis. In solchen Fällen, vermutet die Aufsicht, könne im Interesse des Absatzerfolges nämlich keine interessengerechte Beratung stattfinden. Gerade die Stornoquote sei allerdings kein geeignetes Kriterium zur Messung der Beratungsqualität. Denn Stornos gingen auch mit einer Änderung von Lebensumständen bei den Versicherten einher – und seien für den Vermittler bei Vertragsabschluss nicht vorhersehbar, moniert VOTUM am BaFin-Merkblatt.
Allerdings: Bei dem BaFin-Merkblatt handelt es sich vorläufig nur um einen Entwurf. Interessierte Unternehmen und Organisationen, so heißt es von der BaFin, seien nun dazu aufgefordert, sich bis Mitte Januar 2023 zum Entwurf des Merkblattes zu äußern. (as)
Bild: © Tiko – stock.adobe.com
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