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Steuern & Recht
30. Januar 2019
Lebendorganspende: BGH entscheidet zur Aufklärungspflicht

Lebendorganspende: BGH entscheidet zur Aufklärungspflicht

Der Bundesgerichtshof hat in zwei Verfahren wegweisende Urteile zur Aufklärungspflicht bei Lebendorganspenden gefällt. In beiden Fällen tragen die Spender gesundheitliche Folgen, über die sie ihrer Ansicht nach von Ärzten im Vorfeld nicht ausreichend informiert waren.

Verstöße von Ärzten in der Aufklärung von Lebendorganspendern führen nicht per se dazu, dass die Einwilligung in die Organentnahme unwirksam ist. Der Bundesgerichtshof hat jedoch im Rahmen zweier aktueller Urteile entschieden, dass es zwingend erforderlich ist, den Spender umfassend über die gesundheitlichen Folgen des Eingriffs aufzuklären.

Im ersten Fall spendete die Klägerin ihrem kranken Vater eine Niere. Fünf Jahre später verlor der Vater das Implantat. Die Klägerin gibt vor Gericht an, dass sie infolge der Nierenspende an chronischer Erschöpfung und Niereninsuffizienz leidet. Sie fordert von der Klinik und den behandelnden Ärzten Schmerzensgeld sowie den Ersatz von künftigen Schäden wegen formal und inhaltlich ungenügender Aufklärung.

Nierenspende: Vorinstanzen verneinen Haftung trotz unzureichender Aufklärung

Das erstinstanzliche Gericht sowie das Berufungsgericht stellten fest, dass die Beklagten weder das Aufklärungsgespräch ordnungsgemäß dokumentiert hatten noch dieses in Anwesenheit eines neutralen Arztes abgehalten hatten, wie es den Vorgaben entspräche (§ 8 Abs. 2 Transplantationsgesetz 2007). Dieser formale Verstoß würde jedoch nicht dazu führen, dass die Einwilligung der Frau in die Organspende unwirksam sei. Eine Haftung wegen inhaltlich unzureichender Risikoaufklärung entstehe nicht. Die Frau habe nicht plausibel dargelegt, dass sie sich in diesem Fall gegen die Organspende entschieden hätte.

Im zweiten Fall ging es um die Nierenspende eines Mannes gegenüber seiner nierenkranken Ehefrau. Auch er leidet nach eigenen Angaben seitdem an einem chronischen Fatigue-Syndrom und wirft der Klinik eine unzureichende Risikoaufklärung vor. Die Vorinstanzen argumentierten auf ähnliche Weise wie im ersten Fall und wiesen die Klage ab.

BGH: Keine „hypothetische Einwilligung“ in Organspende

Der Bundesgerichtshof sah die Sache anders. Die Klagen seien auf Grund der inhaltlichen Aufklärungsmängel berechtigt. Bei beiden Spendern waren die Nierenfunktionswerte bereits vor der OP grenzwertig. Vor diesem Hintergrund seien sie laut BGH nicht ordnungsgemäß über die gesundheitlichen Folgen der Organentnahme für ihre Gesundheit aufgeklärt worden. Die Spenderin im ersten Verfahren hätte zudem über das erhöhte Risiko eines Transplantatverlusts bei ihrem Vater aufgrund seiner Erkrankung aufgeklärt werden müssen. Der BGH urteilte, dass somit die Einwilligungen in die Organentnahme unwirksam und die Eingriffe rechtswidrig sind. Der Einwand der Kliniken, die Kläger hätten auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Organspende eingewilligt, ist laut BGH nicht relevant. Bei Lebendorganspenden gelten erhöhte Aufklärungsanforderungen. Die Grundsätze der „hypothetischen Einwilligung“, wie hier von den Kliniken vorgebracht, seien nicht vom Arzthaftungsrecht auf die Lebendorganspende übertragbar.

Lebendorganspender muss jede Risikoinformation erhalten

Das Transplantationsgesetz sei laut dem BGH bewusst streng formuliert, um Organspender davor zu schützen, sich selbst einen größeren Schaden zuzufügen. Im Falle einer Lebendorganspende sei der Spender in einer besonderen Konfliktsituation. Daher muss er jede Risikoinformation erhalten, die relevant sein kann. Eine Kommission muss vorher feststellen, dass die Spende auch tatsächlich freiwillig erfolgt.

Der BGH merkte zu den Verfahren an, dass die Vorgaben des Transplantationsgesetzes auch deshalb zwingend einzuhalten seien, damit das Vertrauen potentieller Spender in die Transplantationsmedizin nicht gefährdet würde und die Bereitschaft insgesamt nicht zurückginge. (tos)

BGH , Urteile vom 29.01.2019, Az.: VI ZR 495/16 und VI ZR 318/17