Interview mit Dr. phil. Stephan Zilkens, Geschäftsführer der Zilkens Fine Art Insurance Broker GmbH
Herr Dr. Zilkens, wie sehr hat sich der Kunstmarkt in der Corona-Pandemie verändert?
Der Kunstmarkt hat sich letztlich in der Pandemie behauptet. Anfänglich versuchten die Galerien und Auktionshäuser verstärkt über soziale Medien und Internetangebote die Aufmerksamkeit hoch zu halten. Es fehlten ja plötzlich die Messen, um dort Kunden auf die Programme der einzelnen Galerien aufmerksam zu machen. Aber 2022 drehte sich die Situation wieder Richtung zurück zum Normalen. Es sind auch heute gerade im Auktionswesen vermehrt Internetangebote festzustellen. Aber der Handel und das Sammeln von Kunst braucht das Original in direkter Anschauung. Parallel zu den klassischen Kunstformen hat sich in der Pandemie ein kurzer NFT- (Non-Fungible-Token-)Kunsthype entwickelt. Das wird zwar bleiben, aber in dem Sektor haben einige Menschen viel Geld verbrannt.
Welche Folgen hatte das auf den Umsatz im Versicherungsgeschäft?
Im Bereich der Galerien gab es weniger Risiko, keine Messen, weniger Transporte – also wurden die Beiträge gesenkt – in dem Segment 2020 vielleicht 20%. Schlimmer hat es die Ausstellungen in Museen getroffen. Die wurden ja in Deutschland und anderen Ländern nicht als systemrelevant eingestuft und mussten monatelang schließen. Auf das Gesamtportefeuille der Kunstversicherung dürfte das mit 15 bis 25% Beitragsrückgang im Jahr 2020 durchgeschlagen haben. Andererseits haben die Auktionsergebnisse 2021 und 2022 hervorragende Ergebnisse gebracht, was sich dann wiederum auf die Bewertung von Sammlungen überträgt und 2022 lief der Markt auch – von den Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine abgesehen – fast normal. Die Umsatzverluste sind ausgeglichen und neue Wettbewerber am Kunstversicherungsmarkt stabilisieren die niedrigen Beitragssätze der Branche.
Wo liegt Ihr Schwerpunkt – auf der Versicherung einzelner Kunststücke oder auf der Versicherung von Künstlern, Galerien und Museen?
Wir fokussieren uns auf alles, was mit Kunst zu tun hat: Künstler, Sammler, Galerien, Restauratoren, Kunsthistoriker, und das völlig unabhängig von deren geschlechtlicher Selbsteinschätzung. Auch Kunstspeditionen spielen bei unseren Kunden eine große Rolle. Aufgrund der gängigen Ausschreibungspraxis der öffentlichen Hand – „Wir wollen nur billig, die Qualität ist uns egal“ – halten wir uns in diesem Bereich der Kunstversicherung sehr zurück.
Wie hat sich Ihr Unternehmen auf den Bereich spezialisiert und wie sind Sie aufgestellt?
Am Anfang meines Berufslebens stand die Kunstabteilung der Nordstern Versicherung, bei deren Aufbau ich mithelfen durfte. Insofern war für mich das Thema Kunst und Versicherung immer präsent. Mit der Gründung meines Unternehmens habe ich dann den alten Fokus wieder aufgenommen, nachdem ich festgestellt habe, dass Sammler und Galerien Ansprechpartner wünschen, die etwas von ihrem Sammelgebiet und ihrem Geschäft verstehen. Unsere Schweizer Kunden und einige Kunden außerhalb der EU bedienen wir über unsere Tochtergesellschaft in der Schweiz. Neben Versicherungskauffrauen sind bei uns auch Kunsthistorikerinnen und Kulturmanagerinnen beschäftigt, die im Versicherungswesen eine Zusatzausbildung absolviert haben.
Ist der Wettbewerb im Maklermarkt intensiv in der Zielgruppe?
Im Bereich der Versicherung von Museen und öffentlichen Institutionen ist der Wettbewerb schon heftig. Es gibt einen Platzhirsch, der seit den 90er-Jahren sein Terrain verteidigt. Ehemalige Mitarbeiter von ihm haben eigene Unternehmen gegründet, die dort in den Wettbewerb eingreifen. In der Privatwirtschaft wird das Thema deutlich diskreter behandelt. Hier zählen Kompetenz, Vertraulichkeit und Schnelligkeit auf der einen Seite – der persönliche Zugang zum Kunden ist aber letztlich der alles entscheidende Faktor.
Nun hören wir immer wieder von Rekordpreisen auf dem Kunstmarkt. Was hat das für Wirkungen auf die Versicherung, die Versicherungssumme und andere Kennwerte?
Auktionsergebnisse sind Indikatoren – aber eben nur das. Wir bewerten in Abstimmung mit unseren Kunden die Sammlungen individuell. Und nur weil gerade ein Warhol für 195 Mio. US-Dollar versteigert wurde, heißt das noch nicht, dass alle Warhols mit ähnlichem Motiv und Größe so zu bewerten sind. Andererseits wirken die Ergebnisse schon auf die Bewertungen, denn letztlich geht es bei der Bestimmung des richtigen Versicherungswertes ja darum, den Besitzer oder die Besitzerin eines Kunstwerkes in die Lage zu versetzen, vergleichbare Qualität am Markt wiederzubeschaffen, wenn eine vom Schaden betroffene Arbeit untergegangen ist.
Man kann daher nicht einfach pauschal vorgehen und nur, weil die Presse berichtet, der Kunstmarkt habe um 15% zugelegt, die Versicherungssummen nach oben fahren. Bei Biedermeiermöbeln wäre das aktuell grundfalsch. In diesem Bereich sind die Preise in den letzten Jahren massiv eingebrochen. Es geht darum, für jedes einzelne Werk den richtigen Wert zu bestimmen – und das setzt tiefe Kenntnisse sowohl beim Makler als auch beim Versicherer voraus.
Finden Sie ausreichend Deckung am Versicherungsmarkt?
Grundsätzlich ja – auch wenn es ein paar Hotspots im Lagerbereich – wie zum Beispiel den Freeport in Genf – gibt, in denen Deckungen sehr teuer geworden sind. Da richtet sich der Preis nur nach Angebot und Nachfrage. Zurzeit können bis zu 5 Mrd. Euro Kapazität auf dem Weltmarkt beschafft werden. Die Frage ist allerdings, wen man als Führungsversicherer auswählt und wie dessen Schadenkompetenz zu werten ist. Da gibt es leider gewaltige Unterschiede und im Gegensatz zu vielen Kunden haben Versicherer Zeit.
Die durch falsch verstandene Compliance-Regeln eingeführte strikte Trennung zwischen Betrieb und Schaden – hier muss man auch der Politik wegen ihrer ideologischen Verblendung im Hinblick auf die Einschätzung des Versicherungswesens einen Vorwurf machen – führt oft zu streitigen Auseinandersetzungen, insbesondere bei größeren Schäden. Da dürfen einem die Underwriter leidtun, deren ursprünglicher Deckungswille oft nicht mehr zählt.
Stellen Fälschungen, Diebstähle und vor allem auch die Attacken von Klimaaktivisten Makler und Versicherer vor steigende Herausforderungen?
Fälschungen sind eigentlich erst ein Thema, wenn sich im Schadenfall herausstellt, dass es eine solche war. Diebstähle von Kunst kommen vor, insbesondere dann, wenn es sich um Arbeiten aus Gold, Silber und anderen leicht verwertbaren Materialien mit hohem Eigenwert handelt. Gemälde und Skulpturen sind da deutlich weniger gefährdet, denn das Art Loss Register und die neue Interpol-App ID-Art blockieren den Markt für gestohlenes Kunstgut. Den Sammler, der sich seine Werke zusammenklauen lässt, um sich dann im bombensicheren Keller daran zu ergötzen, gibt es nur in schlechten Fernsehfilmen – ich habe jedenfalls in fast 40 Jahren noch keinen kennengelernt.
Vandalismus ist da leider schon eher ein Thema. Wenn frustrierte Kriminelle nicht das finden, was sie suchen, kommt es zu Zerstörungen. Die Attacken der Klimaaktivisten sind da schon eher ein Problem, weil sie nicht jedes Bild in jeder Ausstellung hinter Glas schützen können. Die Versicherungswirtschaft hat hier aber noch keine einheitliche Linie und viele Objekte in Museen fallen unter die Staatshaftung, das heißt, wir alle zahlen die Folgen dieser Beschädigungen mit unseren Steuern.
Haben Sie für uns ein besonderes Beispiel eines Schadenfalls und dessen Regulierung?
Ein Sammler gibt eine Porzellanskulptur in eine Ausstellung eines großen internationalen Museums. Beim Auspacken werden Risse in der Bodenplatte festgestellt. Die Versicherung der Institution will den Schaden ablehnen, weil nicht feststeht, ob die Risse nicht schon vor Beginn des Transportes existiert haben. Das Weltmuseum hatte sich die Kosten für ein Zustandsprotokoll gespart und der Sammler war davon ausgegangen, dass ein solches erstellt würde. Letztlich konnte durch zähe Verhandlungen erreicht werden, dass die nicht unerheblichen Restaurierungskosten vom Ausstellungsversicherer übernommen wurden – eine Wertminderung wurde allerdings nicht gezahlt. Hätte der Eigentümer seine eigene Versicherung genommen und das Museum den Beitrag zahlen lassen, wäre er besser entschädigt worden.
Wie versichert man eigentlich ein NFT?
Eigentlich gar nicht! Die klassischen Kunstversicherer trauen sich – zu Recht – an diese Risiken nicht ran und die Cyberversicherer wollen berechtigterweise auch keine hohen Deckungssummen zur Verfügung stellen. Manches Wallet wurde ja schon geknackt – also ist auch dieser Bereich nicht jungfräulich und die Schadenbeispiele motivieren die Risikoträger nicht – was letztlich auch an der problematischen Bewertung der NFTs liegt.
Gibt es sonstige Trends, die den Kunstversicherungsmarkt beeinflussen?
Globale Lieferketten sind auch im Kunstmarkt wichtig. Russische Sammler waren in der Vergangenheit gerne gesehen. Dieser Teil des Marktes fällt in den Ländern, die sich an die Sanktionen halten, komplett aus. Auch die Entwicklung in Hong Kong bleibt abzuwarten, möglicherweise verschiebt sich das Gewicht nach Südkorea. Insgesamt wird der Markt noch internationaler werden, weil Kunst auch als Botschafter für viele Länder gilt. So hat Saudi-Arabien nach Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten angefangen, jetzt auf Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst zu setzen. Entsprechend müssen Versicherer bereit sein, diesen Entwicklungen zu folgen.
Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 02/2023, S. 34 f., und in unserem ePaper.
Bild: © Claudia Ast u. Ralf Jürgens
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