Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hatte bereits beim letzten Leitzinsentscheid im Juni 2023 eine weitere Erhöhung des Leitzinssatzes um 25 Basispunkte angedeutet. Dementsprechend fielen auch die Prognosen vieler Finanz- und Investmentunternehmen im Vorfeld zum Entscheid am Donnerstag, 27.07.2023, aus. Martin Wolburg, Senior Economist bei Generali Investments, stufte die Erhöhung um 0,25 Prozentpunkte als „sehr wahrscheinlich“ ein. Auch das European Economics Team vom Vermögensverwalter Vanguard ist in einem vorläufigen Statement von einer Anhebung um 25 Basispunkte ausgegangen – ebenso Michael Weidner, Mitglied der Geschäftsführung bei Lazard Asset Management.
Es herrschte also Konsens in der Branche darüber, dass die EZB weiterhin ihrer Zinspolitik vertraut und den nächsten Schritt wie geplant gehen würde. Und die vielen Expertenmeinungen sollten Recht behalten. Am frühen Donnerstagnachmittag gab die EZB die Erhöhung genau wie vorhergesagt bekannt. Alle drei Leitzinssätze werden um 0,25 Prozentpunkte nach oben justiert. Der Hauptrefinanzierungssatz beträgt nun 4,25%, der Spitzenrefinanzierungssatz 4,50% und der Einlagenzinssatz 3,75%.
EZB erhöht Leitzins
Hintergrund der Leitzinserhöhung ist nach wie vor die Bekämpfung der Inflation, wie aus der Mitteilung der Bank hervorgeht. Denn sie rechnet damit, dass die Teuerungsrate zu lange zu hoch bleiben wird. Mittelfristig liegt das Ziel bei 2% p. a., der aktuelle Wert vom Juni 2023 liegt allerdings für den Euro-Raum bei 5,5% p. a. – ebenso der von schwankungsanfälligen Preisen für Energie und Lebensmittel bereinigte Wert der Kerninflation, der als guter Indikator für den mittelfristigen Preistrend gilt.
Zwar soll die Inflation im Rest des Jahres weiter sinken, so die EZB, aber längerfristig noch über dem Zielwert bleiben. Die zugrunde liegende Inflation bleibe insgesamt hoch, auch wenn bei einigen Messgrößen Anzeichen einer Abschwächung zu erkennen seien. Denn die bisherigen Zinserhöhungen würden weiterhin eine starke Wirkung zeigen: Die Finanzierungsbedingungen hätten sich erneut verschärft und die Nachfrage zunehmend gedämpft. Dies zeigt auch die vierteljährliche Kreditumfrage der EZB, die am Dienstag, 25.07.2023, veröffentlicht wurde. Demnach hätten Unternehmen im zweiten Quartal deutlich weniger Bankdarlehen aufgenommen, als die Banken erwartet hatten. Die Nachfrage sei stärker gesunken als je zuvor seit Beginn der Umfragen 2003.
Konjunkturerwartungen getrübt
Laut EZB seien für das nachlassende Interesse an Krediten die steigenden Zinsen und der geringere Finanzierungsbedarf für Anlageinvestitionen verantwortlich. Doch auch konjunkturell sind zumindest die deutschen Unternehmen nicht gerade optimistisch, wie der neue Geschäftsklimaindex des ifo Instituts zeigt, der ebenfalls am Dienstag erschienen ist. Der Index ist im Juli auf 87,3 Punkte gefallen, nach 88,6 Punkten im Juni – der dritte Rückgang in Folge. Insbesondere seien die Unternehmen mit den laufenden Geschäften merklich unzufriedener und die Erwartungen hätten erneut nachgegeben.
Insgesamt hat sich laut Geschäftsklimaindex das Klima in den vier Sektoren Verarbeitendes Gewerbe, Dienstleistung, Handel und Bauhauptgewerbe verschlechtert. Vor allem das Bauhauptgewerbe ist pessimistisch, denn dort ist der Geschäftsklimaindikator auf dem niedrigsten Stand seit Februar 2010. Die Unzufriedenheit mit der aktuellen Lage hätte merklich zugenommen. Auch der Ausblick auf die kommenden Monate sei pessimistischer.
Wie geht es weiter?
Interessanter als die Frage, ob die EZB am Donnerstag den Leitzins weiter erhöhen wird, war bereits im Vorfeld die Frage, wie viele Erhöhungen noch kommen. Die auf 4,25% ist die neunte in Folge. Nach den letzten Erhöhungen hatte EZB-Präsidentin Lagarde schon den nächsten Zinsschritt bei der darauffolgenden Sitzung in Aussicht gestellt – nicht so diesmal. Wie die Zentralbank weiter verfahren wird, hat Lagarde auch in der Pressekonferenz zum Zinsentscheid auf mehrfaches Nachfragen der Journalistinnen und Journalisten offengelassen.
Sie hat lediglich, analog zur EZB-Pressemitteilung, betont, dass man weiterhin einen datengestützten Ansatz verfolgen werde, vor allem basierend auf der Einschätzung der Inflationsaussichten vor dem Hintergrund aktueller Wirtschafts- und Finanzdaten, der Entwicklung der zugrunde liegenden Inflation sowie der Stärke der geldpolitischen Transmission.
Die Experten der Branche haben bereits kurz nach Veröffentlichung der Entscheidung Statements abgegeben. So unterstützt bspw. Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken, die Zinserhöhung. Gerade auch mit Blick auf die Märkte sei dies die richtige Entscheidung, denn der Kampf gegen die hohen Preissteigerungen sei noch nicht gewonnen. Entscheidend sei die Perspektive für das kommende Jahr: „Solange die Inflationserwartungen für 2024 über dem eigenen 2%-Ziel liegen, sollte die EZB Zinssenkungen ausschließen.“
Die DWS sieht derweil das Ende der Zinserhöhungen nahen, u. a. weil der sehr „hawkische Grundton“ der letzten EZB-Pressemitteilung abgeschwächt worden sei. Das Ende des Zinserhöhungszyklus würde durch die verschärften Finanzierungsbedingungen und die gedämpfte Nachfrage in greifbare Nähe rücken. (mki)
Bild: © Prasong – stock.adobe.com
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