Ein Artikel von Dr. Frank Baumann, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Sozietät Wolter Hoppenberg
Ein Versicherungsnehmer ließ sich durch Mitarbeiter eines Mehrfachvertreters beraten, um seine Beitragslast zu reduzieren. Unter anderem verfügte er über zwei Berufsunfähigkeitsversicherungen, wobei die eine bereits seit längerer Zeit lief, während bezüglich der anderen kurz vorher abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung eine Sondervereinbarung abgeschlossen war, die einen Ausschluss für Allergien und daraus resultierenden obstruktiven Erkrankungen und Funktionsstörungen der Atemwege beinhaltete.
Der Inhalt der geführten Beratungsgespräche war streitig. Unstreitig war aber, dass sich die Mitarbeiter des Mehrfachvertreters nicht die Sondervereinbarung zeigen ließen und insoweit auch keine Informationen bei dem Versicherer anforderten. Unter ebenfalls streitigen Umständen wurde die nicht durch einen Risikoausschluss eingeschränkte ältere Berufsunfähigkeitsversicherung gekündigt und dafür eine Grundfähigkeitsversicherung mit dem Versicherer A abgeschlossen.
Der Kläger nahm vor dem Landgericht Leipzig sowohl den Mehrfachvertreter als auch den Versicherer A auf Schadensersatz in Anspruch und vertrat hierzu die Rechtsauffassung, die Mitarbeiter des Mehrfachvertreters hätten ihm nicht raten dürfen, die ältere Berufsunfähigkeitsversicherung zu kündigen, weil diese nicht durch einen Risikoausschluss eingeschränkt gewesen sei. Da er unter allergischen Erkrankungen leide, bestehe in seinem Beruf die durchaus naheliegende Möglichkeit einer darauf beruhenden Berufsunfähigkeit. Eine neue Berufsunfähigkeitsversicherung ohne Risikoausschluss könne er nicht mehr abschließen. Auch wenn die Grundfähigkeitsversicherung für ihn günstiger sei, laufe er Gefahr, dass er nicht in den Genuss vormals versicherter Leistungen komme, wenn er aufgrund einer allergischen Erkrankung berufsunfähig werde. Der Versicherer A müsse sich das Fehlverhalten seines Mehrfachvertreters zurechnen lassen.
Phase des Beratungsprozesses ist entscheidend
Das Landgericht Leipzig gab dem Kläger recht. Die gegen das Urteil eingelegte Berufung des Versicherers A war erfolgreich, denn das Oberlandesgericht Dresden änderte das Urteil des Landgerichts Leipzig ab und wies die gegen den Versicherer gerichtete Klage ab. Damit hat das Oberlandesgericht Dresden durch Urteil vom 07.11.2023 (Az. 4U54/23) entschieden, dass sich ein Versicherer einen Verstoß des Mehrfachvertreters gegen § 61 Versicherungsvertragsgesetz nicht stets zurechnen lassen muss.
In der Anbahnungsphase scheide die Zurechnung eines Fehlverhaltens des Mehrfachvertreters zulasten des Versicherers aus. Erfolge die Pflichtverletzung des Mehrfachvertreters in der Anbahnungsphase, das heißt vor Beginn der Beratung über die von dem Versicherer tatsächlich angebotene Versicherung – hier die Grundfähigkeitsversicherung –, so müsse sich der Versicherer ein Fehlverhalten des Mehrfachvertreters noch nicht zurechnen lassen, weil ein Mehrfachvertreter eben nicht verpflichtet sei, für die mit ihm vertraglich verbundenen Versicherer tätig zu werden. Wenn sich der Mehrfachvertreter in der Anbahnungsphase noch nicht für einen Versicherer entschieden habe, so müsse sich derjenige Versicherer, mit dem dann später ein Versicherungsvertrag abgeschlossen worden sei, ein in dieser Anbahnungsphase verursachtes Fehlverhalten noch nicht zurechnen lassen.
Schlussfolgerungen des Urteils
Das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden hat weitreichende Auswirkungen für die Haftung eines Versicherers für das Fehlverhalten eines Mehrfachvertreters, mit dem der Versicherer kooperiert. Während nämlich der Versicherungsmakler treuhänderähnlicher Sachwalter seines Kunden ist, dessen Interessen er wahrzunehmen hat, muss sich der Versicherer grundsätzlich ein Fehlverhalten des von ihm eingesetzten Versicherungsvertreters gem. § 278 Bürgerliches Gesetzbuch zurechnen lassen.
Bei einem Ausschließlichkeitsvertreter, der keine Versicherungsprodukte anderer Versicherer anbietet, ist dies grundsätzlich nachvollziehbar. Etwas anderes gilt aber für das Verhältnis zwischen einem Mehrfachvertreter und den Versicherern, mit denen der Mehrfachvertreter zusammenarbeitet. In der Phase der Risikoerfassung wird sich der Mehrfachvertreter meist noch gar nicht für ein konkretes Versicherungsprodukt entschieden haben. In dieser frühen Phase der Tätigkeit eines Mehrfachvertreters, die das Oberlandesgericht Dresden als „Anbahnungsphase“ bezeichnet, muss sich ein Versicherer das Fehlverhalten eines Mehrfachvertreters in der Tat noch nicht zurechnen lassen, da in dieser frühen Phase der Tätigkeit auch für den Kunden noch gar nicht erkennbar ist, für welchen Versicherer der Mehrfachvertreter tätig werden will. Häufig und so auch im konkreten Fall unterscheidet sich das Tätigwerden des Mehrfachvertreters in der Anbahnungsphase nicht sehr viel von der Tätigkeit eines Versicherungsmaklers, dessen Fehlverhalten sich ein Versicherer ebenfalls nicht zurechnen lassen muss.
Anders sieht es natürlich dann aus, wenn sich die Entscheidung des Mehrfachvertreters schon auf das Versicherungsprodukt eines konkreten Versicherers konkretisiert hat. Das war im konkreten Fall allerdings nicht so, sodass die gegen den Versicherer gerichtete Klage zu Recht abgewiesen wurde. Das aktuelle Urteil des Oberlandesgerichts Dresden zeigt, wie wichtig es ist, bei der Vermittlung eines Versicherungsvertrags durch einen Mehrfachvertreter genau zu klären, worin die behauptete Pflichtverletzung besteht und in welcher Phase des Vermittlungsprozesses sich die Pflichtverletzung ereignet haben soll.
Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 04/2024 und in unserem ePaper.
Bild: © olly – stock.adobe.com
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