Jeder nimmt die Realität anders wahr. Philosophen treibt, untertrieben gesagt, schon seit geraumer Zeit die Frage nach der „objektiven Wahrheit“ um – und ob es diese überhaupt gibt. Tatsache ist aber: Wirtschaftlich gesehen ist man sich einig. Die Inflation im Euro-Raum lag Ende Mai bei 6,1%. Doch so einfach ist es eben nicht.
Neben der tatsächlichen Teuerungsrate gibt es auch noch die „gefühlte“ Inflation. Und die beiden Größen sind für gewöhnlich und gewiss nicht auf demselben Niveau. Der Kreditversicherer Allianz Trade hat eine Studie veröffentlicht, die die aktuelle gefühlte Inflation in Deutschland auf 18% beziffert – also etwa dreimal so hoch. So weit klafften die gefühlte und die tatsächliche Inflation zuletzt bei der Euro-Einführung vor mehr als 20 Jahren auseinander.
Einfluss auf die Wirtschaft
Eine derart hohe Diskrepanz sei „nicht unerheblich, denn die gefühlte Inflation beeinflusst das Handeln der Verbraucher stark, zum Beispiel beim Kaufverhalten“, erläutert Jasmin Gröschl, Senior Volkswirtin bei Allianz Trade, die Ergebnisse der Studie. Gerade für die Wirtschaft und die Unternehmen sowie für die Zinspolitik spiele die gefühlte Inflation also eine wichtige Rolle.
Die Diskrepanz habe laut der Studie verschiedene Gründe. Verbraucher würden beispielsweise stärker auf Preisänderungen bei häufig anfallenden Einkäufen wie Lebensmittel und Getränke, Kraftstoff oder sonstigen Besorgungen im Supermarkt achten. Wenn dort diese Preise überdurchschnittlich steigen, dann würden die Menschen dazu neigen, eine wesentlich höhere Teuerung zu empfinden. Aber auch psychologische Aspekte, demografische und regionale Unterschiede, und individuelles Konsumverhalten könnten dazu führen, dass Verbraucher den Preisanstieg anders beurteilen als die offizielle Inflationsmessung. So entstünden ein verzerrtes Bild und eine starke Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen und tatsächlichen Inflation.
Diese Inflationsentwicklung erwarten die Deutschen
Vielleicht passend zur hohen gefühlten Inflation fallen auch die Erwartungen an die Teuerungsrate aus. Die Deutsche Bundesbank befragt regelmäßig deutsche Privatpersonen dazu, wie sich die Inflation ihrer Meinung nach in den nächsten zwölf Monaten entwickeln wird. Bei der aktuellen Untersuchung von Mitte Juni rechnet lediglich ein Viertel der rund 2.000 Befragten mit einem Abnehmen der Inflation – die meisten davon glauben, dass sie auch nur geringfügig sinken wird. Umgekehrt erwarten über 40%, dass die Inflation geringfügig oder deutlich steigen wird. Weitere Informationen zur Studie der Bundesbank gibt es hier.
So kommt die Inflation in Deutschland zustande
In Europa und im deutschsprachigen Raum klaffen auch die tatsächlichen Inflationsraten weit auseinander. So liegt sie zum Beispiel in Griechenland bei 2,8% und in Österreich bei 8,8%. In Deutschland kommen alle Faktoren, die die Inflationsrate beeinflussen, zum Tragen, wie Allianz Trade weiter darlegt: Die hohe Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland ließ die Energiepreisrechnung stark ansteigen. Die deutsche Regierung hat dem mit Strom- und Gaspreisbremse entgegengewirkt. In der Eurozone hat ein schwacher Euro gegenüber dem US-Dollar die Inflation erhöht, da Rohstoffe wie Öl oder Gas, die in US-Dollar gehandelt werden, teurer geworden sind. In den letzten Wochen und Monaten hat Deutschland aufgrund der Zinserhöhungen der EZB von dem stärkeren Euro profitiert. Die Erzeuger- und Großhandelspreise sind daher seit Herbst 2022 gesunken, was die Inflation mit einer gewissen Verzögerung dämpfen wird.
BaFin gibt Infoblatt für wichtige Finanzthemen heraus
Auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat sich mittlerweile eingeschaltet, um dem Verbraucher im Wust des Finanzjargons an die Hand zu gehen. Zusammen mit anderen nationalen Aufsichtsbehörden und den drei europäischen Aufsichtsbehörden EBA, EIOPA und ESMA hat sie ein Informationsblatt zur Inflation und ihren Folgen veröffentlicht. Darin werden verschiedene finanzielle Begriffe, die mit den steigenden Zinsen und der Inflation zusammenhängen, sowie die Auswirkungen der Teuerungsrate erläutert und mehrere Fragen behandelt, die es in der aktuellen Situation beim persönlichen Finanzmanagement zu beachten gilt. Das Infoblatt findet sich hier. (mki)
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