Spontane Offenbarungspflicht?
Das Verschweigen des Beschuldigtenstatus stelle einen solchen Umstand dar, so das LG Stade. Es handele sich um einen evidenten Umstand, den der Versicherungsnehmer spontan, also auch ungefragt, zu offenbaren habe. Denn es liege für den Versicherungsnehmer auf der Hand, dass der Versicherer ein erhebliches Interesse an der Mitteilung dieses Umstandes hat. Außerdem habe der Versicherer im Formular auch nach der Brandursache gefragt. Es sei schwer möglich, von dem Formularaufbau auf eine Kenntnis der Beklagten im konkreten Fall zu schließen. Indes sei die Annahme, eine Obliegenheitsverletzung könnte in dem Verschweigen der wirtschaftlichen Situation gesehen werden, nicht geeignet, die Entschädigungspflicht der Beklagten in Gänze infrage zu stellen. Nach dem Dafürhalten des Gerichts könne davon ausgegangen werden, dass ein arglistiges Handeln vorliege. Arglistig handele der Versicherungsnehmer schon dann, wenn er sich bewusst sei, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Regulierung möglicherweise beeinflussen kann. Von Täuschungsabsicht könne ausgegangen werden, wenn ein anderes Motiv nicht ansatzweise auszumachen sei. Das sei hier der Fall. Das LG war also davon überzeugt, dass durch das Verschweigen des Beschuldigtenstatus die Klägerin zumindest versucht habe, die Regulierung nicht über Gebühr zu verzögern.
Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung?
Weiter führte das LG aus, dass dieser Obliegenheitsverletzung grundsätzlich die vollständige Leistungsfreiheit des Versicherers folge. In diesem Fall sei dies jedoch unbillig. Daher sei die Leistungsfreiheit insoweit nur hälftig einzuschränken, meint das LG. Denn das Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin sei eingestellt worden. Auch habe sich der Versicherer nicht (mehr) auf Eigenbrandstiftung berufen. Letztlich habe das arglistige Verschweigen nur auf die Beschleunigung der Durchsetzung eines berechtigten Anspruchs gezielt. Schließlich sei angesichts des Verbraucherinsolvenzverfahrens der Klägerin bei Versagung des gesamten Versicherungsschutzes eine Existenzbedrohung anzunehmen.
Fazit und Hinweis für die Praxis
Die Entscheidung des LG Stade ist anzuzweifeln. Das Gericht verneint eine Deckung aufgrund des eigenständigen Verwirkungsgrundes der arglistigen Täuschung, der in fast allen allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Sachversicherung enthalten ist. Die Annahme einer arglistigen Täuschung dürfte jedoch etwas überspitzt sein, zumal bei Brandschäden häufig gegen die Eigentümer von Amts wegen ermittelt wird, um gerade eine Eigenbrandstiftung – welche ein besonders schweres Delikt im Strafgesetzbuch darstellt – auszuschließen. Noch weniger überzeugend ist jedoch der Umstand, dass das Gericht nach § 242 BGB eine Anspruchskürzung auf die Hälfte vornimmt. In dieser Hinsicht verkennt das Gericht grundlegend, dass eine Kürzung über § 242 BGB nur bei Täuschungen bezüglich der Anspruchshöhe in Betracht kommt. Sodann sind einerseits eine wirtschaftliche Existenzgefährdung und andererseits weitere Voraussetzungen für eine solche Kürzung auf die Hälfte erforderlich, deren Vorliegen das LG Stade im Streitfall jedoch nicht näher geprüft hat.
Weiterführende Informationen
Ein weitergehender Leitartikel zu diesem Thema ist nachfolgend zu finden: Spontane Anzeigeobliegenheit des Versicherten
Über den Autor
Björn Thorben M. Jöhnke ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow. Außerdem ist er Fachanwalt für Versicherungsrecht, Gewerblichen Rechtsschutz und für Informationstechnologierecht.
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