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7. Juli 2023
EU-Kleinanlegerstrategie erfordert Anpassung der Vertriebsmodelle
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EU-Kleinanlegerstrategie erfordert Anpassung der Vertriebsmodelle

Ende Mai hat die EU-Kommission Reformvorschläge zur EU-Kleinanlegerstrategie präsentiert. Der Entwurf wird für Vermögensverwaltung und Anlagevermittlung weitreichende Folgen haben. Worauf sich Beratung, Vermittlung und Verwaltung einstellen sollten, erklären Rechtsexperten von GSK STOCKMANN.

Ein Beitrag von Philippe Lorenz, Rechtsanwalt bei der Kanzlei GSK STOCKMANN, und Nicole Habersetzer, Rechtsanwältin bei GSK STOCKMANN

Schon länger war bekannt, dass die Europäische Kommission im Rahmen ihrer sogenannten Kleinanlegerstrategie die Provisionsregelungen im Finanz- und Versicherungsvertrieb in den Blick nimmt. Seit dem 24.05.2023 liegt nun ein erster Richtlinienentwurf vor. Die darin vorgestellten Regelungen werden erhebliche Auswirkungen auf die bisher bestehenden Möglichkeiten zur Vereinnahmung von Provisionen haben. So wird es zwar – wie im Vorfeld schon bekannt geworden – kein vollständiges Zuwendungsverbot geben, im Einzelnen werden die Möglichkeiten zur Annahme bzw. Gewährung von Zuwendungen jedoch deutlich und erheblich eingeschränkt.

Dienstleistungsspezifische Vorgaben

Abhängig von der konkreten Wertpapierdienstleistung gelten unterschiedliche Vorgaben. So ist im Rahmen der Anlagevermittlung und des reinen Ausführungsgeschäfts ein Verbot der Annahme oder Zahlung von Provisionen von und an alle Dritten vorgesehen, die für die Gestaltung, Entwicklung und Emission von Finanzinstrumenten verantwortlich sind. Dieses Provisionsverbot ist sehr weit gefasst und betrifft auch nicht-­monetäre Vorteile wie Essenseinladungen, Veranstaltungen und sonstige Vergünstigungen ab 100 Euro.

Für die Fälle einer Anlageberatung besteht demgegenüber kein Zuwendungsverbot – außer für die Fälle der unabhängigen Anlageberatung. Stattdessen tritt an die Stelle der bisherigen engen Voraussetzungen für die Vereinnahmung und Zahlung von Zuwendungen die Pflicht, eine Beratung nur noch auf Basis eines Best-Interest-Tests zu erbringen. Demnach sollen Finanzberater verpflichtet werden, die Anlageberatung auf der Grundlage einer breiten Palette von Finanzinstrumenten vorzunehmen sowie die für den Kunden geeigneten und kosteneffizientesten Finanzinstrumente zu empfehlen. Daneben soll dem Kunden aus dem Kreis der für ihn geeigneten Finanzinstrumente zumindest eine Alternative ohne zusätzliche Merkmale empfohlen werden, die für die Erreichung der Anlageziele des Kunden nicht erforderlich sind und zusätzliche Kosten verursachen.

Zuwendungen bei Anlagevermittlungen, die unmittelbar infolge einer vorgeschalteten Anlageberatung – oder bei der Ausführung bestimmter Emissions- bzw. Platzierungsgeschäfte – erfolgen, bleiben ebenfalls von dem neuen Zuwendungsverbot ausgenommen und unter den vorstehenden Anforderungen des Best-Interest-Tests möglich. Gleiches gilt für anderweitige Zahlungen von und an Dritte, die nicht für die Finanz-instrumente verantwortlich sind.

Vertriebsketten stehen vor diffizilen Fragen

Für die Finanzportfolioverwaltung bleibt es bei dem bisher bestehenden Verbot der Vereinnahmung von Zuwendungen. Hinzu kommt nun ein Verbot der Zahlung von Zuwendungen an Dritte, sodass für die Portfolioverwaltung künftig ein generelles Zuwendungsverbot gilt.

Diese unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Dienstleistungen wird auch in den Fällen zulässiger Zuwendungen ganz praktische und erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten auslösen, wenn künftig nur noch der beratende Bestand verprovisioniert werden darf, nicht mehr aber der vermittelte.

Ebenso werfen Vertriebsketten sehr diffizile Fragen auf, wenn nämlich Vertriebe Gelder von Depotbanken entgegennehmen dürfen – da diese nicht für die Finanzinstrumente verantwortlich sind –, es aber unklar ist, ob die Depotbanken die entsprechenden Zuwendungen und Bestandsprovisionen selbst überhaupt annehmen und weiterleiten dürfen.

In der Konsequenz legt der Gesetzgeber damit das aufsichtsrechtliche Brennglas sehr deutlich auf das gesamte Zuwendungsregime und verlangt eine sehr genaue Abgrenzung der einzelnen Wertpapierleistungen und Zahlungsströme.

In diesem Sinne sollen als weitere Neuerungen des kommenden Rechtsregimes auch die Anforderungen an die Kostendarstellungen weiter konkretisiert werden, indem z. B. ein Bezugsrahmen auf die Produktlaufzeit bzw. auf die empfohlene Haltedauer anzugeben ist.

Verschärfung der Product-Governance-Vorgaben

Ebenso sind Verschärfungen der Product-Governance-Vorgaben sowie der Verhaltensregeln für Anlageberater vorgesehen. So sollen die entsprechenden Informationen um Angaben zum Pricing-Prozess erweitert werden und u. a. auch Vergleiche mit Benchmark-Produkten beinhalten.

Ferner sollen die beruflichen Anforderungen an Finanzberater verschärft und gemeinsame Mindeststandards für die erforderlichen Kenntnisse und Kompetenzen eingeführt werden. Regelmäßige berufliche Weiterbildung und Schulungen werden verbindlich. Schließlich sollen auch die Anforderungen an Marketinginformationen weiter konkretisiert werden. Nähere Details hierzu sollen in einer De-legierten Verordnung noch ausgearbeitet werden.

Beratungen im Trilog

Die vorgenannten Vorschläge müssen nun mit dem EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten beraten und verabschiedet werden. Entsprechend den vorgesehenen Umsetzungsfristen in das letztlich maßgebliche nationale Recht ist mit einer Anwendbarkeit der neuen Vorgaben frühestens in zwei Jahren zu rechnen. Bereits jetzt behält sich die EU-Kommission aber vor, die Regelungen drei Jahre nach Verabschiedung des Pakets neu zu bewerten. Sollte sie dabei zu dem Schluss kommen, dass weitere Verschärfungen für den Anlegerschutz erforderlich sind, könnte letztendlich doch ein vollständiges Provisionsverbot kommen.

Ungeachtet dessen ist aber auch der jetzt vorliegende Richtlinienentwurf sehr weitgehend und die geplanten Regelungen werden – sofern es im weiteren parlamentarischen Prozess keine Anpassungen mehr gibt – erheblich in viele derzeit bestehende Vertriebsmodelle eingreifen.

Fazit

Vor diesem Hintergrund sollte die Zeit genutzt werden, um zu prüfen, ob und inwiefern bestehende Vertriebsmodelle zwischen Provisionsverbot und strengem Zuwendungsregime weiterhin sinnvoll und wirtschaftlich bleiben – oder, in welchem Rahmen Anpassungen bei den derzeit bestehenden Geschäfts- und Gebührenmodellen erforderlich werden. Denkbar ist hier vieles: von Abomodellen über zusätzliche Serviceleistungen, Portfolioberatungen bis hin zur Erhöhung von Transaktionsgebühren. Wichtig ist vor allem aber zweierlei: eine klare Abgrenzung der angebotenen Wertpapierdienstleistungen und eine baldige Umsetzung, um mögliche neue Modelle rechtzeitig auf den Weg zu bringen.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 07/2023 und in unserem ePaper.

Bild oben: © vectorfusionart – stock.adobe.com, Porträtfotos: © GSK STOCKMANN

 
Ein Artikel von
Nicole Habersetzer
Philippe Lorenz