Staatliches Handeln ist weitreichend versichert
Der BGH hat weitere umstrittene Rechtsfragen geklärt und vielen gängigen Argumenten der Versicherer eine Absage erteilt. So erfordert eine behördliche Schließungsanordnung keinen konkret-individuellen Verwaltungsakt gegenüber dem einzelnen versicherten Betrieb. Ausreichend ist eine Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung, die eine Schließung anordnet. Der Versicherungsschutz setzt auch nicht voraus, dass die behördliche Maßnahme rechtmäßig war, wenn die Bedingungen die Rechtmäßigkeit nicht ausdrücklich fordern. Der BGH hat zudem erneut bestätigt, dass nicht nur betriebsinterne (sogenannte „intrinsische“) Gefahren versichert sind, sondern auch Gefahren aus „generalpräventiven Gründen“.
Wichtige Rechtsfragen weiter offen
Andere wichtige Rechtsfragen sind weiter ungeklärt, weil sie der BGH nicht entscheiden musste: Gastro- und Hotelbetriebe versuchten, finanzielle Verluste durch den erlaubten Außer-Haus-Verkauf zu mildern. Geschäftsreisende durften weiterhin in Hotels übernachten. Umstritten ist daher die Frage, ob in diesen Fällen überhaupt eine „Schließung des versicherten Betriebs oder einer versicherten Betriebsstätte“ im Sinn der Versicherungsbedingungen vorliegt. Im BGH-Fall war dies nicht relevant, da die ERGO-Bedingungen eine sogenannte Teilschließung explizit versicherten. Richtigerweise nimmt der BGH eine Teilschließung an, wenn lediglich die Beherbergung aus touristischen Zwecken untersagt werde und der Betrieb nur insoweit eingestellt werden musste. Die Mitversicherung von Teilschließungen ist jedoch in vielen auf dem Markt verbreiteten allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht ausdrücklich vereinbart. Ob nach diesen AVB eine Betriebsschließung vorliegt, wird der BGH noch entscheiden müssen.
Da die Hotelbetreiberin hinsichtlich des zweiten Lockdowns nur auf Feststellung der Leistungspflicht des Versicherers klagte, musste der BGH zur konkreten Höhe der Entschädigung nicht entscheiden. Auch bei der Frage der Entschädigungshöhe liegen Versicherer mit ihren Kunden über eine Reihe von Rechtsfragen im Clinch, beispielsweise, ob Kurzarbeitergeld oder die sogenannte Novemberhilfe Ansprüche mindern. Das sind wichtige Fragen. Ein Versicherungsanspruch dem Grunde nach hilft Unternehmen wenig, wenn kein Geld vom Versicherer fließt, weil staatliche Leistungen anzurechnen sind. Auch hierzu müssen wir künftige Entscheidungen des BGH abwarten.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Das Fazit nach zwei Grundsatzentscheidungen des BGH: Das Thema BSV beschäftigt Gerichte weiter. Im Dauerstreit mit ihren Versicherern haben Kunden weiter Chancen auf eine Entschädigung. Zumindest für Schäden im zweiten Lockdown, wenn sie Bedingungen ohne Auflistung von Krankheiten und Erregern haben und die Versicherungsbedingungen nicht auf eine konkrete Fassung des IfSG vor dem 23.05.2020 verweisen.
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 04/2023, S. 110 f., und in unserem ePaper.
Bild: © kristina rütten – stock.adobe.com
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