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7. Juli 2022
Embedded Insurance: Gefahr für klassische Vertriebswege
Embedded Insurance: Gefahr für klassische Vertriebswege

Embedded Insurance: Gefahr für klassische Vertriebswege

Wenn Versicherungen direkt in den Produktverkauf vonseiten eines Herstellers integriert werden, spricht man von Embedded Insurance. Und das ist immer öfter der Fall. Embedded Insurance könnte zu großen Veränderungen des Marktes führen und nicht ohne Folgen für die klassische Vertriebswege bleiben.

Ein Beitrag von Justus Lücke, Geschäftsführer der Versicherungsforen Leipzig GmbH

Embedded Insurance – die ganze Branche spricht darüber. Aber spricht sie auch immer über das Gleiche bzw. versteht sie darunter das Gleiche? Daher ist an dieser Stelle vermutlich das Wichtigste direkt zu Beginn eine Begriffsdefinition: die nahtlose Integration von Versicherungsprodukten in die (Verkaufs-)Prozesse von Drittpartnern. Mit anderen Worten: Man tritt im Kern als Risikoträger in Erscheinung und überlässt den wesentlichen Kundenkontakt dem Drittpartner. Und das, wo in den letzten Jahren quasi als Mantra der „Kampf um die Kundenschnittstelle“ ausgerufen wurde. Was treibt also das Thema Embedded Insurance, dass selbst solche Dinge gefühlt billigend, wenn nicht sogar wohlwollend, in Kauf genommen werden? Dies soll im Folgenden genauer beleuchtet und die Abgrenzung zu ähnlichen Themen soll geschärft werden.

Die Ausgangsfrage

Der Kerntreiber dieser gesamten Entwicklung sind die „Kundenakquisitionskosten“. Auch getrieben durch die Entwicklung der Start-up-Szene der letzten Jahre, in deren Pitch-Decks dieser Begriff auf keinen Fall fehlen darf. Im Kern sagt diese Kennzahl aus, wie viel Geld ich pro Vertragsabschluss für die Kundengewinnung investieren muss. Sei es jetzt als Provision an den Vermittler oder an Google für Werbung zum Online-Direktabschluss. Denn das ist jedem kaufmännisch denkenden Menschen klar: Kann ich zu geringeren Kosten an Neukunden gelangen, habe ich einen klaren Wettbewerbsvorteil. Insbesondere in der Vergangenheit bestand hier beispielsweise der Irrglaube, dass das Online-Direktgeschäft ja so kostengünstig sei, da man dort ja keine Provision an einen Vermittler zahle.

Höhere Abschlusskosten für Online-Marketing als für Makler

Aber weit gefehlt. Heutzutage bezahlt man beispielsweise in der Risikolebensversicherung einen höheren Betrag für Online-Marketing pro Abschluss als beispielsweise an Versicherungsmakler. Das zeigt sich auch darin, dass viele Start-up-­Modelle, die sich direkt an den Endkunden gewendet haben, immer mehr auf ein B2B2C-Geschäfts­modell umgeschwenkt sind. Das heißt, sie fokussieren sich mehr auf ihre Kompetenzen als Technologieanbieter, mit denen sie zum Beispiel Versicherer dabei unterstützen, ihre Angebote auf den Markt zu bringen. Denn die Gewinnung von Einzelkunden auf offenen Marktplätzen, insbesondere ohne herausragende Marke, ist aufwendig und kostenintensiv. Indem ich mich nun in den Verkaufsprozess von einem Partner einklinke, übernimmt dieser quasi den Großteil der Kundengewinnung und reduziert somit die Kosten für den Versicherer wesentlich. Klingt auf den ersten Blick nach dem heiligen Gral oder dem Ei des Kolumbus.

Was sind aber die Kernpunkte, um das Potenzial, das hinter Embedded Insurance steckt, vollends zu erschließen?

1. Kooperationsmanagement

Die erste und wichtigste Aufgabe ist die Recherche und Analyse möglicher Kooperationspartner. Insbesondere der zweite Punkt klingt einfacher, als er ist. Ich muss die Bedürfnisse meines Partners genau kennen und in den Mittelpunkt der Kooperation stellen. Beispielsweise reagieren E-Commerce-Unternehmen äußerst empfindlich auf mögliche Abbruchkanten in ihrem digitalen Verkaufsprozess und andererseits äußerst positiv auf Leistungen bzw. Services, die die Kundenbindung, beispielsweise in Form einer Registrierung in ihrem Kundenkonto, erhöhen.

2. End-to-End-Prozessgestaltung

Die Gestaltung des Abschlussprozesses ist meist das geringste Problem. Aber was passiert im Schadenfall? Und was ist, wenn der Kunde eine Frage zum Produkt hat? Deshalb ist es von Anfang an wichtig, den Prozess rund um die Einbettung des Versicherungsproduktes wirklich von Anfang bis Ende zu betrachten und zu designen. Dies hat noch einen positiven Nebeneffekt. Denn wenn ich mich als Versicherer hier an verschiedenen Stellen mit dem Partner verzahne, so steigert das für diesen signifikant die Wechselkosten. Eines muss jedem Versicherungsunternehmen immer bewusst sein: Wenn man über einen Partner viel Geschäft generiert, wird dieser vielleicht dazu verleitet sein, seine Machtposition auszunutzen und seinen Anteil am Ertrag zu erhöhen. So war früher die ERGO der Risikoträger hinter der Elektronikversicherung Amazon Protect, inzwischen ist es die London General Insurance Company Limited.

3. Cross-Selling

Ein Großteil der Embedded-­Insurance-Angebote basiert auf Kleinstprodukten mit geringen Beiträgen. Hierüber lassen sich selbst bei großen Plattformen also eher keine großen Prämienvolumen generieren. Aus diesem Grund sollte idealerweise schon bei der Gestaltung der Partnerschaft das Thema der weitergehenden Kundenansprache berücksichtigt werden. So kann es gelingen, auch in den übrigen Sparten neue und vor allem junge Kunden zu gewinnen.

Potenzial für große Veränderungen

Ist Embedded Insurance also wirklich mehr Segen als Fluch? Es kommt drauf an, aus wessen Blickwinkel man es betrachtet. So ist der E-Commerce-Markt in vielen Bereichen eher ein Oligopol. Beispielsweise der Verkauf von Fahrrädern, Gebrauchtwagen oder Musikinstrumenten erfolgt häufig über wenige große Plattformen. Diese Oligopolstruktur würde sich durch Embedded Insurance dann auch auf den Versicherungsmarkt übertragen. Denn ein Partner braucht üblicherweise nur einen Versicherungspartner, nicht mehrere. Dies kann sich dann in einem Negativszenario sogar auf gesamte Sparten und damit auch Vertriebswege auswirken. Man stelle sich einmal vor, die Integration der Kfz-Versicherung gelänge sowohl in Verkaufsprozesse für Neuwagen der Autohersteller als auch für Gebrauchtwagen der wesentlichen großen Plattformen so nahtlos, effizient und günstig, dass quasi alle Kunden hierüber abschließen. Das würde zu signifikanten Verschiebungen im Markt führen und auch für den ein oder anderen Vermittler ein existenzielles Problem darstellen.

Embedded Insurance erweitert den Markt

Alles in allem ist Embedded Insurance, wenn richtig praktiziert, aber uneingeschränkt positiv zu sehen. Es setzt nämlich vor allem auf den Blue-Ocean- und nicht den Red-Ocean-Effekt: Im Wesentlichen erweitert es den bestehenden Markt durch einen neuen Zugang zu vor allem jungen und digitalaffinen Kunden, die man vielleicht vorher mit Versicherungsprodukten direkt nicht erreichen konnte. Es erfordert aber eine komplett neue Aufstellung und Einstellung. Denn insbesondere E-Commerce-Unternehmen haben vollkommen andere Anforderungen, Prozesse und Erwartungen als alle bisher bekannten Vertriebspartner. Und zu guter Letzt darf man sich zu keiner Sekunde darauf ausruhen, wenn man einmal eine entsprechende Partnerschaft etablieren konnte. Denn die Märkte haben in der Vergangenheit häufig gezeigt: Ein Oligopol bleibt meistens ein Oligopol, aber die Oligopolisten können insbesondere in Zeiten der Digitalisierung schneller wechseln, als man sich vorstellen kann.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 06/2022, S. 112 f., und in unserem ePaper.

Bild: © Sutthiphong – stock.adobe.com; Porträtfoto: © Versicherungsforen Leipzig

 
Ein Artikel von
Justus Lücke

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Jan Susai (577538) am 09. Juli 2022 - 08:23

Embedded Insurance ist nur für den Versicherer oder Ausschließlichkeitsvermittler ein Problem - warum?

Ist das E-Commerce-Unternehmen clever, dann hat es für die kompletten Fragen rund um das Change-, Claims- und Bestandsmanagement zum Vertrag (Kunde hat fragen zum Produkt oder im Schaden) kein Problem: 

Es kann dies über eine eigene Abteilung aufbauen mit entsprechendem Fachpersonal.

Es kann sich mit einem Maklerunternehmen als zusammenschließen und dazu eine Servicegesellschaft gründen. 

Im zweiten Fall bring der Makler alles inklusive der Marktkenntnis mit und profitiert von den technischen Fähigkeiten des Oligopolisten. Der Oligopolist wiederum profitiert vom Markt-, Prozess- und Verhandlungsknowhow des Maklers. 

Wird die Schnittstelle zum Risikoträger so konzipiert, dass die Hoheit darüber beim Makler und Oligopolisten hängt und gut anpassbar ist, hat nur noch der Risikoträger = Versicherer das Problem. Denn spielt er nicht mit, wird er einfach ausgetauscht. Genauso wie ein Beteiligter in einem Konsortium. 

Problematisch ist das somit nur für all jene die an einen Risikoträger gebunden sind oder den Risikoträger selbst, da Sie mangels Alternativen keine bzw. nur sehr eingeschränkte Verhandlungsspielräume haben. 

Insofern ist es für einen technologieaffinen Makler mit dem richtigen Partner kein Problem.