Klimawandelbedingte Extremwetterereignisse wie Starkregen, Hochwasser oder Überschwemmungen können überall in Deutschland vermehrt auftreten und für enorme Schäden an Gebäuden sorgen, wie AssCompact bereits berichtete. Allerdings zeigen aktuelle Zahlen vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) e. V., dass Ende 2021 nur etwa die Hälfte der Wohngebäude bundesweit gegen Elementarschäden versichert war. Es entstehen also neue Gefährdungsgrundlagen und damit auch neue Risiken für Immobilienbesitzerinnen und -besitzer, aber auch für die Versicherungswirtschaft im Bereich der Schadenregulierung. Braucht es also nicht doch eine Versicherungspflicht?
Sachverständigenrat befürwortet Versicherungspflicht
Der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV) hat nun ein Gutachten zur kontrovers diskutierten Einführung einer Versicherungspflicht an die Bundesregierung überreicht. Darin spricht sich der SVRV für eine „Basisversicherung für Wohngebäude“ und auch für die umgehende Einführung einer Versicherungspflicht gegen Naturgefahren aus. Denn: „Die Flutkatastrophe des Sommers 2021 hat gezeigt, dass Deutschland vom Klimawandel voll erfasst wird, aber nicht hinreichend an die Folgen des Klimawandels angepasst ist“, heißt es in dem 72-seitigen Dokument, das AssCompact vorliegt. Daher würden alle Eigentümerinnen und Eigentümer von Wohngebäuden gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Gebäude gegen durch die Natur verursachte Schäden zu versichern. Diese Basisversicherung könnte dann individuell erweitert werden, abhängig von persönlichen finanziellen Möglichkeiten und der Risikoeinstellung oder auch Gefährdungslage.
Freiwilligkeit genügt nicht
Ohne Versicherungspflicht bestünde hingegen permanent die Gefahr eines sogenannten „Charity Hazards“, erläutern die Autorinnen und Autoren des SVRV. Darunter versteht das Gutachten eine Situation, in der sich Versicherte fragen, warum man sich selbst gegen Elementargefahren versichern solle, wo doch im Notfall die öffentlichen Haushalte schon einstehen werden. Dies würde die Bereitschaft von Grundstückseigentümerinnen und -eigentümern, sich selbst um eine Versicherung zu bemühen, entscheidend ausbremsen, so das Gutachten. Zudem stellte eine das Gutachten ergänzende und repräsentative Umfrage fest, dass der Klimawandel nach wie vor für viele der Befragten nur eine abstrakte Gefahr darstelle. Außerdem genießen die Versicherer insgesamt allenfalls ein moderates Vertrauen in der Bevölkerung, gerade wenn es um Zuverlässigkeit bei der Schadenregulierung geht. „Die Möglichkeit, das eigene Wohngebäude gegen Elementarschäden zu versichern, ist den meisten Eigentümerinnen und Eigentümern bekannt, viele scheinen sich aber ganz bewusst gegen eine Versicherung zu entscheiden, so zeigt es unsere empirische Erhebung. Die Gründe sind unzureichendes Vertrauen in Versicherer und mangelndes Risikobewusstsein“, resümiert das Gutachten. Eine weiterhin auf Freiwilligkeit beruhende Versicherung reiche daher nicht für einen flächendeckenden Schutz aus, schlussfolgert daher das Schreiben an die Bundesregierung.
Gutachten zerstreut verfassungsrechtliche Bedenken
Allerdings greift eine Versicherungspflicht unmittelbar in die Handlungsfreiheit von Menschen ein, schließlich würden sie im Falle ihrer Umsetzung zum Abschluss eines Versicherungsvertrages gezwungen werden. Wäre also eine solche Versicherungspflicht – wie vom SVRV vorgeschlagen – überhaupt grundgesetzkonform? Ein Gutachten des renommierten Verfassungsrechtlers Prof. Dr. Thorsten Kingreen, Universität Regensburg, zerstreut solche verfassungsrechtlichen Bedenken. Demnach sei eine Pflicht grundsätzlich mit dem bestehenden EU-Recht vereinbar. Aber auch mit dem deutschen Grundgesetz sollten sich nach Expertise des Verfassungsrechtlers keine Konflikte ergeben. So schreibt Kingreen in seinem Gutachten: „Nicht nur besteht ein ordnungsrechtliches Interesse an der Vermeidung von Obdachlosigkeit und ist es ein städtebauliches Anliegen, zerstörte Wohngebäude wiederherzurichten, sondern es besteht auch ein öffentliches Interesse daran, die öffentlichen Haushalte zu schonen.“ Ohne Versicherungspflicht würde der Staat nämlich bei Großschadenereignissen unter einen politischen Handlungsdruck geraten, der sich in der Vergangenheit stets zu politischen Zahlungsverpflichtungen verdichtet hat, gibt der Verfassungsexperte zu bedenken.
Zurückhaltung bei GDV und Verbraucherzentrale
Unterdessen geben sich bei der Frage nach einer Versicherungspflicht sowohl GDV als auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) weiterhin zurückhaltend, wie auf der Diskussionsveranstaltung des SVRV zu beobachten war. Der GDV schlägt nämlich vor, dass die Versicherungswirtschaft allen Eigentümerinnen und Eigentümern, die eine Wohngebäudeversicherung abgeschlossen haben, eine zusätzliche Naturgefahrendeckung anbietet, ihnen aber gleichzeitig ein Opt-out ermöglicht, allerdings nur Zug um Zug gegen eine Haftungsfreistellung von Versicherern und Staat für den Fall des Eintritts einer nicht versicherten Naturgefahr. Der GDV begründet den Verzicht auf eine Versicherungspflicht so, dass damit „Klagerisiken, wie sie einer Pflichtlösung innewohnen, entfallen". Der vzbv strebt indes die Schaffung eines gesetzlichen Leitbilds für eine Allgefahrendeckung und eine forcierte Informationskampagne über den Abschluss einer Elementarschadenversicherung an. Die Einführung einer Versicherungspflicht hält der vzbv nur dann für notwendig, falls in den nächsten Jahren die Versicherungsdichte die vorgeschlagene Zielmarke von 80% nicht übersteigt. (as)
Bild: © Andrey Popov – stock.adobe.com
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