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13. September 2022
Die Bedeutung steigender Leitzinsen für Versicherer
Die Bedeutung steigender Leitzinsen für Versicherer

Die Bedeutung steigender Leitzinsen für Versicherer

Die Kapitalanleger deutscher Versicherungsunternehmen wurden von den drastisch steigenden Leitzinsen massiv überrascht. Wie konnte es dazu kommen? Welchen Einfluss haben die Zinssteigerungen auf die Portfolios der Versicherer? Und wie weit könnten die Zinsen noch steigen?

Die Zinsen steigen – und das deutlich stärker als erwartet. Das hat das Analysehaus Assekurata ermittelt. Gemeint ist diesmal jedoch nicht die Erwartung der Kapitalmärkte vor der jüngsten EZB-Ratssitzung oder vor der Tagung der Notenbanker im US-amerikanischen Jackson Hole. Vielmehr hat sich Assekurata für die Erwartungshaltung der deutschen Versicherungsunternehmen interessiert. Die Analysten haben aus diesem Grund die Kapitalanleger deutscher Versicherungsunternehmen gefragt, wo sie den Zinssatz für Hauptrefinanzierungsgeschäfte – landläufig auch als „der Leitzins“ bezeichnet – Ende 2022 sehen.

Versicherer verschätzen sich massiv

Das Ergebnis: Die meisten Kapitalanleger der Versicherer prognostizierten einen Zinssatz von 0 bis 0,25%. Im Durchschnitt lag die Schätzung bei 0,13%. Vereinzelt wurde auch mit einem negativen Leitzins gerechnet. Lediglich zwei der Befragten rechneten mit einem Leitzins von 0,5% – keiner mit einem höheren. Und voraussichtlich keiner der Befragten wird den Zinsstand Ende 2022 korrekt prognostiziert haben. Denn nach ihrer historisch drastischen Zinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte wird der Leitzins im Euroraum ab dem 14.09.2022 einen Wert von 1,25% erreichen.

Leitzins 2023 deutlich über 2%

Und damit nicht genug: EZB-Präsidentin Lagarde hat mindestens noch eine weitere Leitzinserhöhung in diesem Jahr in Aussicht gestellt. Die Kapitalmarktteilnehmer erwarten jedoch eher noch zwei weitere Zinsanhebungen. Für das Frühjahr 2023 sehen die Volkswirte verschiedener bedeutender Vermögensverwalter wie Vanguard, PIMCO oder AXA Investment Managers den Leitzins bei über 2%.

Neubewertung der Lage nötig

Wie kommt angesichts dieser Prognosen aber die große Schere zwischen den Erwartungen der Kapitalanleger deutscher Versicherer und der Realität zustande? Die Antwort ist einfach: Die Assekurata-Umfrage fand zwischen April und Mai 2022 statt. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Inflationsrate zwar bereits auf einem bedenklichen Hoch und aus den USA kamen bereits erste Signale, die auf eine deutliche Zinssteigerung hindeuteten – die Fed hatte im März ihre erste Zinserhöhung seit 2018 angekündigt.

Hohe Inflationsrate nicht mehr nur temporär

Doch im Euroraum war zu dem damaligen Zeitpunkt noch immer das Mantra von der vorübergehend oder temporär hohen Inflation zu vernehmen. Diese Sicht auf die Dinge wandelte sich jedoch von da an dramatisch. Die Notenbanken beidseits des Atlantiks versuchen seitdem, den anhaltend hohen Inflationsraten mit höheren Leitzinsen zu Leibe zu rücken.

EZB muss kompletten Währungsraum berücksichtigen

Gerade die EZB galt diesbezüglich lange Zeit als Nachzüglerin unter den Notenbanken. Dieses Zögern der europäischen Währungshüter wird unter anderem auch auf die Sonderrolle zurückgeführt, die die EZB einnimmt. Im Gegensatz zu anderen Notenbanken ist sie nicht für die Währung eines Landes sondern eines ganzen Währungsraums verantwortlich. Das führt dazu, dass sich Euroländer selbst in einer Währung verschulden, über die sie keine Hoheit haben. Kurz gesagt: Während andere Länder ihre Währung notfalls abwerten können, um wettbewerbsfähig zu bleiben und den eigenen Schuldendienst erfüllen zu können, ist das innerhalb der Eurozone nicht der Fall – ein Problem insbesondere für den ökonomisch schwächeren Süden des Währungsraums.

TPI als Absicherung der wirtschaftlich schwachen Euro-Länder

Um auf die betroffenen Länder Rücksicht zu nehmen, die nur zu vergleichsweise hohen Zinsen Staatsanleihen ausgeben können, wurde zunächst ein Werkzeug benötigt, mit dem sichergestellt werden kann, dass eine Staatspleite der Südländer – insbesondere des ökonomischen Schwergewichts Italien – nicht eintreten wird. Mit dem Transmission Protection Instrument (TPI) wurde dieses Instrument im Juli 2022 vorgestellt (AssCompact berichtete).

Versicherer und Banken profitieren

Nun war der Weg frei für drastischere Zinserhöhungen, mit denen die ausufernden Inflationsraten wieder eingefangen werden sollten, ohne gleichzeitig einzelne Länder an den Rand der Staatspleite zu bringen. Doch während die Leitzinsanhebungen für Länder wie Italien trotz TPI eine Belastung darstellen, erleichtert das höhere Zinsniveau auch einzelnen Branchen das Geschäft – insbesondere zu nennen sind hier Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen.

Staatsanleihen auch wegen Solvency II bedeutsam

Denn die Zinswende, so schlussfolgern auch die Analysten von Assekurata, könnte Investitionen in festverzinsliche Wertpapiere womöglich wieder attraktiver werden lassen. Während zehnjährige Bundesanleihen noch im Januar 2022 leicht negativ rentierten, lagen sie zuletzt (12.09.2022) bei ca. 1,7%. Und auf die Anlageklasse Staatsanleihen sind Versicherer de facto angewiesen. Nicht zuletzt hatte sich auch in der Niedrigzinsphase gezeigt, dass die Versicherer unter Solvency-II-Gesichtspunkten nicht auf Rentenpapiere verzichten können bzw. wollen.

Lebensversicherer wollen Anleihe-Exposure nicht ausweiten

Zum Befragungszeitpunkt – als die deutlich anziehenden Renditen der Staatsanleihen noch nicht in vollem Ausmaß absehbar waren – hatten die Kapitalanleger der deutschen Lebensversicherer mehrheitlich (60%) angegeben, den Anteil an festverzinslichen Wertpapieren im Portfolio ihrer Unternehmen verringern zu wollen. Nur 4% strebten eine Erhöhung der Rentenquote an.

Realwertorientierte Anlagen vielfach die bessere Wahl

Wie sich das im weiteren Jahresverlauf nun tatsächlich entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Die Assekurata-Analysten geben jedoch zu bedenken, dass es nicht ausreichend ist, wenn sich die Renditeaussichten festverzinslicher Anlagen verbesserten. Vielmehr sei es nötig, dass Staatsanleihen auch in Relation zu anderen Anlageklassen profitabler werden müssten. Bis das der Fall sei, dürften realwertorientierte Anlagen für die Portfolios der Lebensversicherer weiterhin eine bessere Wahl darstellen.

Auch bei den Kapitalanlegern der Kranken- sowie Schaden-/Unfallversicherer ist im Vergleich zum Vorjahr laut Assekurata kein gesteigertes Interesse daran messbar, den Anteil der festverzinslichen Wertpapiere in den eigenen Portfolios zu erhöhen.

Dynamische Entwicklung – Vager Ausblick

Und wie wird es nun weitergehen? Angesichts der immensen Unsicherheiten, die mit der anhaltend hohen Inflation und einer drohenden Rezession in Europa einhergehen, halten es die Assekurata-Analysten für schwierig, tragfähige Prognosen für den weiteren Verlauf der Zinsentwicklung abzugeben und einzuschätzen, wie diese die Kapitalanlage der Versicherer beeinflusst. Vielmehr bleibe es abzuwarten, wie hoch die Zinsen konkret noch steigen müssen, damit die Kapitalanleger deutscher Versicherungsunternehmen wieder vermehrt in Staatsanleihen und andere festverzinsliche Wertpapiere investieren. Schlussendlich hänge dies auch von den individuellen Anlagestrategien der Versicherer und den Anforderungen der betriebenen Geschäftsfelder ab. Festzuhalten bleibe laut Assekurata aber auch, dass – mit Blick auf Solvency II und die damit einhergehenden Solvenzanforderungen – die gestiegenen Zinsen bereits für eine deutliche Entlastung bei den Lebensversicherern gesorgt haben Und das sollte eher den Investitionen in renditestärkere Asset-Klassen zugutekommen. (tku)

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