Interview mit Marie Christina Schröders, Gründerin und Geschäftsführerin der Adviris GmbH
Marie Christina, könntest du vielleicht einleitend deine Zielgruppe einmal konkret beschreiben?
Die Zielgruppe von Adviris ist LGBTQIA+ und alle Freund*innen und Unterstützer*innen.
Die LGBTQIA+-Gemeinschaft ist eine vielfältige und dynamische Gruppe von Menschen, die sich durch ihre sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität auszeichnen. Dazu gehören Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Queer und andere, die sich nicht in das traditionelle binäre Geschlechtersystem einfügen oder heteronormative Vorstellungen von Sexualität und der persönlichen Lebensführung haben. Diese Gemeinschaft ist bunt, kreativ und kämpft leidenschaftlich für Gleichberechtigung, Akzeptanz und Respekt in der Gesellschaft.
LGBTQIA+-Personen bringen unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen mit, die unsere kulturelle Landschaft bereichern. Sie sind in allen Bereichen des Lebens aktiv, sei es in der Kunst, in der Politik, in der Wissenschaft oder in der Wirtschaft. Ihre Stimmen und Geschichten tragen maßgeblich dazu bei, eine inklusive und vielfältige Gesellschaft zu formen. Die LGBTQIA+-Gemeinschaft steht für Authentizität, Mut und die Freiheit, man selbst zu sein, und inspiriert damit viele Menschen weltweit. Sie unterstützen auf dem Weg zum „New Normal“, einer Gesellschaft, die nicht nur ökologisch nachhaltiger wird, sondern auch sozial nachhaltig agiert.
Wie bist du denn zu dieser Zielgruppe gekommen und warum hast du dich dafür entschieden?
Ich bin Teil dieser Zielgruppe. Mit meiner Frau und zwei Kindern fühle ich mich allen Bereichen der LGBTQIA+-Community zugehörig und auch verpflichtet. Privat habe ich schon für viele weitere Gleichstellungen kämpfen müssen, bspw. im Rahmen des Kinderwunsches, steuerlicher Gleichstellung und auch im Versicherungsbereich zeigt sich die Branche innen nicht so divers, wie sie es außen gerne darstellt. Die Beispiele dafür wären unzählig, begonnen bei meiner eigenen Laufbahn in der Branche bis hin zur Produktwelt, die sich für viele Menschen der Community nicht gleich erschließt: die Nachversicherungsoption für Kinder gleichgeschlechtlicher Paare in der Krankenversicherung, private Krankenversicherung für Menschen mit HIV Prep oder auch eine Arbeitskraftabsicherung nach Transition. Somit habe ich mich dafür entschieden, weil es in meinen Augen zu viel zu tun gibt!
Wie groß ist diese Zielgruppe und wie gut gedeckt ist sie durch Makler?
Die Größe der LGBTQ+-Zielgruppe in Deutschland lässt sich nur grob schätzen, da es keine exakten Zahlen gibt. Allerdings basieren die Schätzungen auf verschiedenen Studien und Umfragen, die sich mit der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität der Bevölkerung befassen.
Laut verschiedenen internationalen Studien liegt der Anteil der LGBTQ+-Bevölkerung in der Regel zwischen 5% und 10% der Gesamtbevölkerung. Überträgt man diese Schätzungen auf Deutschland, das etwa 83 Millionen Einwohner*innen hat, ergibt sich folgendes Bild: Konservativ geschätzt (5%) ca. 4,15 Millionen Menschen; höher geschätzt (10%) ca. 8,3 Millionen Menschen.
Diese Schätzungen umfassen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Queer und andere nicht-heteronormative Identitäten. Meines Erachtens befasst sich bisher kein(e) Kollege*in mit dem Thema so umfassend, ich würde mich aber über Mitbewerber*innen oder auch Partner*innen und Interessierte sehr freuen.
Inwiefern haben deine Kunden denn einen speziellen Absicherungsbedarf? Welchen?
Spezieller Absicherungsbedarf ist nicht der Hauptgrund, warum man sich an uns als Berater*in wendet, trotzdem liegt er vor: LGBTQIA+-Personen haben spezifische Bedürfnisse und Herausforderungen im Versicherungsbereich, die aufgrund ihrer Lebenssituation und rechtlichen Rahmenbedingungen besondere Aufmerksamkeit erfordern. Zum Beispiel brauchen Transgender-Personen oft spezifische medizinische Leistungen wie Hormonersatztherapien und geschlechtsangleichende Operationen, die nicht immer von Standardkrankenversicherungen abgedeckt werden. Auch die Arbeitskraftabsicherung nach der Transition ist durch diese spezifischen medizinischen Leistungen unzureichend, weil die Gesundheitsprüfung bei biometrischen Produkten unmöglich wird. Außerdem sind LGBTQIA+-Personen aufgrund von Diskriminierung und gesellschaftlichem Druck häufiger von psychischen Gesundheitsproblemen betroffen, weshalb eine umfassende psychische Gesundheitsversorgung wichtig ist.
Durch die Diskriminierung, vor allem wenn sie aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität erfolgt, kann auch eine entsprechend passende Rechtsschutzversicherung sehr wertvoll sein. Stichwort: Sozialrechtsschutz und Arbeitsrechtsschutz, aber auch der Einspruch bei Ablehnung der Transition sind oft ein Thema.
LGBTQIA+ ist ja auch untereinander sehr divers. Inwiefern unterscheiden sich hier die Bedürfnisse?
Oh, das wird aber nun nicht mehr so versicherungsspezifisch, sondern hier können wir eher sagen, dass die Kund*innen es schätzen, dass wir informiert sind über die Bedürfnisse. Aber gerne greifen wir ein paar auf:
Lesbische Frauen etwa benötigen Zugang zu frauenorientierten Gesundheitsdiensten, einschließlich reproduktiver Gesundheit und Vorsorgeuntersuchungen, die oft auf heterosexuelle Frauen ausgerichtet sind. Und lesbische Paare haben spezifische Bedürfnisse in Bezug auf Elternschaft und Adoption, da rechtliche Hürden bestehen können.
Bei schwulen Männern herrscht wiederum ein erhöhtes Risiko für HIV/AIDS vor, was einen verstärkten Zugang zu Präventionsmaßnahmen und medizinischer Versorgung erforderlich macht. Außerdem erfahren schwule Männer häufig Diskriminierung am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft, weshalb umfassender rechtlicher Schutz und Anti-Diskriminierungsmaßnahmen notwendig sind.
Asexuelle Menschen suchen ihrerseits nach Anerkennung und Sichtbarkeit ihrer Orientierung, denn die wird oft missverstanden oder ignoriert.
Queere Menschen suchen oft nach flexiblen und inklusiven Strukturen, die ihre nicht-binären und nicht-konformen Identitäten respektieren.
Allgemein bzw. über die einzelnen Gruppen hinweg stehen oft der Zugang zu psychischer Gesundheitsversorgung, die die spezifischen Herausforderungen der LGBTQIA+-Gemeinschaft versteht, und Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz und in anderen Lebensbereichen im Vordergrund. Auch sollten Bildungseinrichtungen und Arbeitsplätze Programme zur Sensibilisierung und Inklusion implementieren, um Vorurteile abzubauen und eine unterstützende Umgebung zu schaffen.
Der demografische Wandel, also auch die Alterung, betrifft alle – wie wird sich denn deine Zielgruppe und deren Bedarf hier entwickeln?
Mit dem demografischen Wandel wird die Anzahl älterer Menschen, einschließlich älterer LGBTQIA+-Personen, zunehmen. Diese Entwicklung hat verschiedene Auswirkungen auf ihre Bedürfnisse: Ich denke hier an Punkte wie diskriminierungsfreie Pflegeeinrichtungen, soziale Integration durch Community-Bildung und auch politische Unterstützung, welche die Rechte älterer Menschen aus der Community stärkt und gesetzliche Maßnahmen gegen Diskriminierung sicherstellt, sowie grundsätzlich die Sensibilisierung für LGBTQIA+-Themen: Schulungen für Pflegepersonal, Ärzte und soziale Dienstleister*innen, die sich auf die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen von LGBTQIA+-Senior*innen konzentrieren. Dies umfasst die Schaffung eines respektvollen und informierten Umfelds für ältere LGBTQIA+-Personen.
Hattest du schon die Idee, selbst Produkte für deine Community zu entwickeln?
Ja, gerne würde ich hier mit privaten Krankenversicherungen und auch Anbietern von Arbeitskraftabsicherung in den Austausch gehen. Es gibt viele Ideen, nur den Mangel an Umsetzung oder Interesse.
Inwiefern profitiert die Versicherungsbranche an sich und demografisch von deiner Community?
Dass die Branche ein Imageproblem hat, zeigen ja diverse Initiativen. Hier könnte sie sich inklusiv und innovativ präsentieren. Unser Partner, die Bayerische, macht das bereits an vielen Stellen.
Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 08/2024 und in unserem ePaper.
Bild: © Marie Christina Schröders, Adviris
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