Ein Artikel von Dr. Wolff Graulich, Geschäftsführer der Eucon Digital GmbH
Wenn Versicherer den Einsatz von KI und Data Analytics planen, geht es um mehr, als Prozesse zu automatisieren. Ziel ist es auch, Wissen und Expertise im Unternehmen zu bewahren. Zudem ist es wichtig, dass Fachleute ihre Kapazitäten nicht an Routineaufgaben verschwenden, sondern sich komplexen Tätigkeiten widmen können. Diesen Freiraum verschafft ihnen KI, wenn sie immer mehr zeitraubende Routinearbeiten automatisch für sie ausführt.
Warum KI nicht ohne Experten arbeiten kann
Dass Mensch und Maschine nicht miteinander konkurrieren, sondern durch Kollaboration effizienter arbeiten, zeigt das Modell der Augmented Intelligence. Der Mensch wird nicht von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen. Er trifft sie gezielt, sobald ein Schadenfall über einfache Routinebearbeitung hinausgeht. Die KI gibt ihm lediglich unterstützende Handlungsempfehlungen auf Basis durchgeführter Analysen.
Bereits bei der Einführung von KI-Tools müssen Versicherer entscheiden, wo der menschliche Verstand den größten Mehrwert bietet und wo „Kollege KI“ die Aufgaben effizienter erledigen kann. Mitarbeitende wollen mit ihrer Arbeit einen sinnvollen Mehrwert stiften und ihre Erfahrungen und Skills einbringen. KI ist hingegen effizienter, wenn es um repetitive Routineaufgaben und die Vorbereitung guter Entscheidungen von Menschen geht.
Auch wenn KI in Zukunft immer effektiver arbeiten wird, bleibt der Mensch im Prozess wichtig, nicht nur in der Anwendung. KI ist wie eine Maschine, die handwerklich gewartet werden muss. Sie braucht aktuelle Daten, Feedback und Training. Wer vor der Anwendung eine professionelle Qualitätssicherung macht, kann Probleme wie Overfitting vermeiden. In der Diskussion um generative KI zeigt sich, dass ein Qualitätsmonitoring unerlässlich ist. Dieses ist in Augmented Intelligence schon eingebaut.
Kontinuierliches Feedback verbessert die Technologie
Wie interaktives Machine Learning funktioniert, lässt sich mit einem Praxisbeispiel am besten erklären. Beim Prüfen eines Kfz-Schadenfalls analysiert die KI auf Basis gelernter Modelle Datenpunkte, die bei Dubiosfällen häufiger vorliegen. Hinweise auf zu überprüfende Auffälligkeiten können z. B. Alter und Kilometerstand des Kfz oder das Vorliegen bestimmter Schadenarten geben. Auch die Information, wie lange sich das Fahrzeug bereits in der Hand des aktuellen Eigentümers befindet, hilft beim Einordnen. Zeitgleich erklärt die KI andere Punkte für unbedenklich. Die Ergebnisse bereitet sie transparent und übersichtlich auf, sodass der Schadenmanager diese nach eigenem Ermessen und Erfahrungsschatz prüfen kann. Er kann entweder nur die auffälligen Punkte eingehender analysieren oder alle Sachverhalte gleichermaßen prüfen. Bei guter Leistung der KI kann der Schadenmanager irgendwann sicher sein, dass die als unbedenklich geprüften Punkte mit hoher Wahrscheinlichkeit keine eingehende Betrachtung erfordern. Dann hat er mehr Zeit, sich den bedenklichen Punkten zu widmen und etwaigen Dubiosfällen effizienter auf die Spur zu kommen.
Zusätzlich zum normalen „Re-Training“ der KI ist es wichtig, dass Schadenmanager Feedback zum Prozessverlauf geben. Gab es Fehlschlüsse der KI? Hätten weitere Daten einbezogen werden sollen? Dadurch wird die KI verbessert und der Datenanalyseprozess weiterentwickelt, um langfristig präzisere Ergebnisse zu erzielen.
Transparente Datenprozesse als Grundlage für richtlinienkonformes Arbeiten
Wo strenge Compliance-Richtlinien herrschen, ist transparentes Arbeiten unerlässlich. Das gilt besonders für Data-Analytics-Prozesse, die Entscheidungen unterstützen. Eine KI im Versicherungsumfeld darf nicht in der Blackbox arbeiten, wo sie autonom Entscheidungen trifft, die von außen nicht nachvollziehbar sind. Die Schadenbearbeitung muss für menschliche Gutachter logisch begründbar sein, schon für den Fall, dass Geschädigte die Entscheidung anfechten. Fehler im Prozess müssen im Ernstfall rückverfolgbar sein. Versicherer sollten daher unbedingt auf die genannten Kriterien achten, wenn sie Tools und Dienstleister auswählen.
Zudem müssen Versicherer, die Data Analytics einsetzen, sicherstellen, dass sie die Kontrolle über ihre Daten behalten. Das gilt bei der internen Verwertung wie auch bei der Zusammenarbeit mit Partnern und Dienstleistern. Um Compliance-Anforderungen zu erfüllen, muss qualitativ und konzeptionell nachvollziehbar sein, wie der Data-Analytics-Prozess abgelaufen ist. Das heißt, Versicherer müssen aufzeigen, wer wann und wie mit den Daten gearbeitet hat und welche Maßnahmen ergriffen wurden, um z. B. Datenschutzverletzungen zu vermeiden.
Ausblick: Welche technischen Herausforderungen kommen auf Versicherer zu?
Versicherer sind heute technisch schon sehr gut aufgestellt. Allerdings flachen Produktivitätssteigerungen durch Workflow-Support-Software ab. Effektive Datennutzung bietet ihnen hier Wettbewerbsvorteile, da sie bestehende Workflows aufwertet und neue Prozessschritte durch frühes Routing und Vorgangssteuerung ermöglicht.
Die größte Herausforderung für Versicherer ist das Bereitstellen eigener und externer Daten in Echtzeit und diese innerhalb von Prozessen – also an den Schnittstellen – zu verschieben und zu analysieren. Daten müssen in verwertbarer Form an den richtigen Stellen verfügbar sein, sowohl intern als auch bei Partnern und Dienstleistern. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, sowohl bei Legacy-Systemen als auch in modernen IT-Umgebungen.
Versicherer werden nicht daran vorbeikommen, ihr Geschäft künftig stärker mit Data Analytics und KI zu unterstützen. Sie können durch die Kollaboration von Mensch und Maschine effizienter werden, die Zufriedenheit von Mitarbeitern und Kunden erhöhen und neue Wertschöpfungpotenziale erschließen.
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 08/2023 und in unserem ePaper.
Bild: © Angelov – stock.adobe.com
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