Ein Artikel von Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
Ein Versicherungsvertrag ist grundsätzlich bindend und kann über Jahre Bestand haben. Für Versicherer können im Einzelfall Rechte entstehen, sich möglicherweise vorzeitig vom ursprünglichen Vertragsversprechen zu lösen.
Neben der Anfechtung (AssCompact berichtete hier), Kündigung und Vertragsanpassung kann der Versicherer auch vom Versicherungsvertrag zurücktreten und sich bei Vorliegen der Voraussetzungen vom Vertrag lösen. Doch welche sind das? Wer trägt die Beweislast und welche Konsequenzen drohen dem Versicherungsnehmer? Diese und weitere Fragen werden im Folgenden beantwortet.
Voraussetzungen des Rücktritts
Den Versicherungsnehmer trifft im Vorfeld des Vertragsschlusses die Pflicht, die vom Versicherer gestellten Gesundheitsfragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Tut er dies mindestens grob fahrlässig nicht, kann gemäß § 19 Abs. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ein Recht zum Rücktritt vom Vertrag seitens des Versicherers bestehen. Dieses Recht besteht jedoch nur dann, wenn der Vertrag bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände nicht geschlossen worden wäre.
Es muss also nicht nur mindestens grob fahrlässig eine Anzeigepflichtverletzung durch den Versicherten begangen worden sein, diese muss für den Vertragsschluss zudem kausal geworden sein. Gemäß § 19 Abs. 4 VVG ist jedoch bei Umständen, die trotzdem zu einem Vertragsschluss geführt hätten, zunächst auf eine Vertragsanpassung hinzuwirken. Betrifft die Anzeigepflichtverletzung Umstände, die einen Vertrag nicht hätten zustande kommen lassen, oder die mindestens grob fahrlässig verschwiegen wurden, besteht ein sofortiges Rücktrittsrecht. Das Rücktrittsrecht erlischt gemäß § 21 Abs. 3 VVG fünf Jahre nach Vertragsschluss. Wurde die Anzeigepflicht vorsätzlich verletzt, erlischt das Rücktrittsrecht erst nach zehn Jahren.
Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers
Vor Vertragsschluss stellt der Versicherer eine Vielzahl an Gesundheitsfragen, um das Risiko einzuschätzen und die Prämien zu kalkulieren. Werden diese Fragen unvollständig oder falsch beantwortet, kann die Anzeigepflicht verletzt sein. Diese erstreckt sich grundsätzlich auf alle ausdrücklich gestellten Fragen im Antragsformular.
In wenigen Ausnahmen trifft den Versicherungsnehmer eine sogenannte „spontane Anzeigeobliegenheit“ hinsichtlich Informationen, nach denen der Versicherer nicht ausdrücklich gefragt hat. Dies gilt aber nur bei Informationen, die für jeden erkennbar das Aufklärungsinteresse des Versicherers in elementarer Weise betreffen und bei denen es deshalb für den Versicherten auf der Hand liegt, dass es sich um bedeutende Informationen handelt.
Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit
Um ein Rücktrittsrecht begründen zu können, muss der Versicherungsnehmer die anzeigepflichtigen Umstände entweder vorsätzlich oder grob fahrlässig verschwiegen oder falsch angegeben haben. Vorsätzlich handelt, wer um den rechtswidrigen Erfolg weiß und ihn will. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders hohem Maße verletzt. Maßgeblich ist dabei, dass sich der Verschuldensvorwurf nicht auf die Kenntnis/ Unkenntnis der Krankheit o. ä. bezieht, sondern auf das Verschweigen der Antwort der jeweils konkret gestellten Frage. Enthält der Gesundheitsfragebogen im Vorfeld des Versicherungsvertrages mehrdeutige oder unpräzise Fragen, die der Versicherungsnehmer anders als der Versicherer versteht, scheidet eine grobe Fahrlässigkeit hingegen in der Regel aus.
Seite 1 BU – Die Konsequenzen des Rücktritts durch den Versicherer
Seite 2 Beweislast
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