Ein Artikel von Björn Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
Verletzt der Versicherungsnehmer die vorvertragliche Anzeigepflicht, so können dem Versicherer verschiedene Gestaltungsrechte zustehen. Diese Gestaltungsrechte sind vom Grad des Verschuldens des Versicherungsnehmers abhängig. Neben dem Rücktritts- (hier), Kündigungs- (hier) und Anfechtungsrecht (hier) kann dem Versicherer im Einzelfall das Recht zur Vertragsanpassung zustehen, § 19 Abs. 4 Versicherungsvertragsgesetz (VVG).
Aber unter welchen Voraussetzungen ist eine – möglicherweise auch – rückwirkende Vertragsanpassung zulässig? Welche Arten der Vertragsanpassung gibt es? Was sind die rechtlichen Konsequenzen für den Versicherungsnehmer? Diese und weitere Fragen werden im Folgenden geklärt.
Voraussetzungen der Vertragsanpassung
Das Recht zur Vertragsanpassung erfordert zunächst eine objektive Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers und auch dessen Kenntnis von dem anzeigepflichtigen Umstand. Das Recht zur Vertragsanpassung steht dem Versicherer nur bei einfacher oder grob fahrlässiger Anzeigepflichtverletzung des Versicherten zu. Das Vertragsanpassungsrecht besteht nur, insoweit es sich bei den nicht angezeigten Umständen um vertragsmodifizierende Umstände handelt, also um solche, deren Kenntnis den Versicherer nicht dazu bewegen würden, den Vertragsschluss abzulehnen, sondern den Vertrag, wenn auch zu anderen Bedingungen, trotzdem abzuschließen.
Der Versicherer, der sich auf eine Vertragsanpassung beruft, hat die Arglist bzw. den Vorsatz des Versicherungsnehmers hinsichtlich der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung zu beweisen. Gelingt es dem Versicherten wiederum den Beweis für das Nichtvorliegen der Arglist bzw. des Vorsatzes zu erbringen, so trägt der Versicherer die sekundäre Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vertragsanpassung.
Fortführung des Versicherungsvertrages
Hat der Versicherungsnehmer die ihm obliegende Anzeigepflicht nicht vorsätzlich verletzt, kann sich der Versicherer nicht durch Rücktritt oder Kündigung vom Vertrag lösen, wenn er diesen auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte.
Unter „andere Bedingungen“ kann Verschiedenes verstanden werden, wie etwa ein Risikozuschlag bzw. Leistungsausschluss, eine Prämienerhöhung, ein Selbstbehalt, eine andere Laufzeit oder eine abweichende Versicherungssumme.
Bei der Frage, ob der Versicherer das Risiko bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände versichert hätte, kommt es auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblichen Geschäftsgrundsätze an. Hängt die Versicherbarkeit des tatsächlichen Risikos aber von einer Einzelfallprüfung ab, so ist das Ergebnis der Einzelfallprüfung entscheidend.
Veränderung der Bedingungen
Der Versicherer kann die abweichenden Bedingungen, zu denen er den Vertrag geschlossen hätte, geltend machen. Bei mehreren alternativen Anpassungsmöglichkeiten steht dem Versicherer ein Wahlrecht zu. Einschränkend darf der Versicherer die Wahl allerdings nicht völlig willkürlich treffen, sondern hat nach billigem Ermessen zu entscheiden.
Rückwirkende Vertragsanpassung
Ob die veränderten Bedingungen rückwirkend einbezogen werden können, hängt maßgeblich vom Verschulden des Versicherungsnehmers hinsichtlich der Anzeigepflichtverletzung ab. Bei grober oder einfacher Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers kommt eine rückwirkende Vertragsanpassung in Betracht. Dabei werden die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses rechtmäßigen Bedingungen durch Erklärung des Versicherers rückwirkend in Kraft gesetzt. Im Falle schuldloser Verletzung der Anzeigepflicht kann eine Vertragsanpassung nur ab der laufenden Versicherungsperiode geltend gemacht werden.
Rechtsfolgen der Vertragsanpassung
Im Rahmen der rückwirkenden Vertragsanpassung kommt als Rechtsfolge die Leistungsfreiheit des Versicherers mit einer Zeitgrenze von fünf Jahren in Betracht, wenn der nicht angezeigte Umstand zu einem Risikoausschluss geführt hätte. Hätte der Umstand lediglich zu einem Risikozuschlag geführt, hat dies eine rückwirkende Prämienforderung mit einer Zeitgrenze von fünf Jahren zur Folge.
Hinsichtlich der Vertragsanpassungen ab laufender Versicherungsperiode wird innerhalb der Annahme, dass der verschwiegene Umstand zu einem Risikoausschluss geführt hätte, zwischen den Zeitpunkten des Leistungsfalles differenziert. Liegt der Leistungsfall in der laufenden Versicherungsperiode, führt das zur Leistungsfreiheit des Versicherers. Liegt der Leistungsfall wiederum außerhalb der laufenden Versicherungsperiode, hat das eine Leistungspflicht zur Folge. In den Fällen, in denen der nicht angezeigte Umstand zu einem Risikozuschlag geführt hätte, kann der Versicherer eine Prämienforderung rückwirkend bis zum Beginn der laufenden Versicherungsperiode, also maximal für ein Jahr verlangen.
Wegfall des versicherten Risikos
Ein sogenannter Risikofortfall liegt vor, wenn das versicherte Risiko, namentlich die besonderen gefahrerhöhenden Umstände weggefallen sind. In diesen Fällen kann der Versicherungsnehmer eine Herabsetzung der möglicherweise obsolet gewordenen erhöhten Prämie verlangen und den Versicherungsschutz anpassen. Voraussetzung dafür ist, dass das potenziell erhöhte Risiko insgesamt nicht (mehr) besteht und auch zukünftige Folgen ausgeschlossen sind. Diesbezüglich trägt der Versicherungsnehmer die Darlegungs- und Beweispflicht.
Fazit und Praxishinweise
Eine Vertragsanpassung kann beträchtliche Folgen für den Versicherungsnehmer bis hin zum Leistungsausschluss haben. Macht ein Versicherer von diesem Gestaltungsrecht Gebrauch, sollte das Vorgehen zwingend juristisch überprüft werden, bevor Ansprüche des Versicherten vereiteln.
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Bild: © Studio_East – stock.adobe.com; © Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
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