Artikel von Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
Bei ungenauen, schwammigen oder unpräzisen Fragen ist dem Versicherungsnehmer häufig unklar, was der Versicherer konkret wissen möchte und was gegebenenfalls gefahrerheblich ist. Möglicherweise ist der Versicherungsnehmer schon aus Verständnisgründen nicht gezwungen, genaue Angaben zu machen. Doch was versteht man unter den Begrifflichkeiten wie beispielsweise „Untersuchung, Behandlung und Beratung“? Wie sind Antragsfragen rechtlich einzuordnen? Wie ist mit ungenauen Fragen umzugehen? Dies und weitere Fragen werden im nachstehenden Artikel beleuchtet.
Rechtliche Einordnung von Antragsfragen
Der zu Versichernde hat gemäß § 19 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) abgefragte Gefahrumstände anzuzeigen, soweit sie ihm bekannt sind, und so, wie sie ihm bekannt sind. Fragen in Antragsvordrucken sind grundsätzlich keiner Kontrolle nach den Vorschriften über allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) (§§ 305 ff. BGB) unterworfen, da sie keine Regelungen beinhalten. Deshalb können unklare Fragen nicht wegen Intransparenz (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder aus anderen AGB-Gründen „unwirksam” sein. Nach herrschender Meinung sind Antragsfragen jedoch wie AGB auszulegen. Es kommt daher auf die von der Rechtsprechung im Versicherungsrecht entwickelten allgemeinen Auslegungsgrundsätze an. Fragen sind daher aus der Sicht eines verständigen und um Aufmerksamkeit bemühten Versicherungsnehmers auszulegen. Aus Sicht eines Versicherers, der den Antrag auf Abschluss einer Versicherung vorformuliert, kann der zu Versichernde seinen Willen mit der Unterzeichnung des Antrags nur so erklären, wie er seinerseits den vom Versicherer vorgegebenen Text versteht.
Unklare Fragen sind grundsätzlich in entsprechender Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB zugunsten des Versicherungsnehmers auszulegen. Systematische Mängel innerhalb des Fragentextes und/oder im Fragenblock können dann in entsprechender Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung der für den Versicherungsnehmer günstigeren Variante führen.
Untersuchungen, Behandlungen, Beratungen
Bei Antragsfragen nach Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen ist zu prüfen, ob diese überhaupt auslegungsbedürftig sind. Wird nur nach „Untersuchungen“ etc. gefragt – also ohne deren Anlass und Ergebnis – fehlt es bereits an auslegungsbedürftigen Begriffen. Denn es geht nur um das „Ob“ der Untersuchung etc. Demnach geht es dabei nicht um das Ergebnis, sondern der Versicherer fragt ohne Einschränkung nach jeglicher Untersuchung und Beratung, unabhängig davon, ob dabei eine Krankheit festgestellt wurde.
Fragt der Versicherer hingegen, ob „in den letzten zehn Jahren wegen eines Leidens, einer Erkrankung, eines Unfalls oder wegen sonstiger Gesundheitsstörungen ärztlich beraten, behandelt, untersucht” worden sei, so erfolgt, wenn der Untersuchung nur eine Bagatellerkrankung zugrunde liegt, keine Verletzung der Anzeigeobliegenheit, da es schon an einem gefahrerheblichen Umstand, auf den sich die Untersuchung bezogen hat, fehlt.
Was fällt unter den Begriff der ärztlichen Behandlung?
Die Frage nach „ärztlichen oder anderen Behandlungen” ist hingegen weit auszulegen. Unter den Begriff „Behandlungen“ fallen nicht nur ambulante Heiltätigkeiten, sondern auch Krankenhausbehandlungen. Auch ein bloßer Arztbesuch ist eine Behandlung, da man sich dafür landläufig „in Behandlung begibt“. Der Arzt muss also nicht zwangsläufig diagnostische oder therapeutische Maßnahmen einleiten. Fragt der Versicherer nach „heilkundlicher Behandlung”, ist jede berufs- oder gewerbsmäßig ausgeübte Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Menschen anzugeben, also auch zur Durchführung einer Psychotherapie befugte Psychologen, ferner bspw. Physio- oder Ergotherapeuten und Heilpraktiker. Fragt der Versicherer hingegen nur nach ärztlicher Behandlung, so hat er sich selbst auf den Arztberuf beschränkt.
Auf die Frage „Sind Sie in den letzten fünf Jahren untersucht, beraten oder behandelt worden? Weshalb?“ muss der zu Versichernde auch solche Untersuchungen angeben, die von einem Dritten „aufgedrängt“ wurden, denn es kommt nicht darauf an, dass die ärztliche Untersuchung nicht aus eigener Sorge erfolgte. Der Anlass oder Grund der Konsultation ist gleichgültig, denn den Versicherer interessiert erkennbar zunächst nur, ob der Versicherte beim Arzt war. Ferner sind solche Fragen so zu verstehen, dass nicht nur die letzte Untersuchung, sondern sämtliche ärztliche Konsultationen in dem Zeitraum vor Antragstellung anzugeben sind.
Indessen muss der zu Versichernde Beratungen, die nicht bei einer ärztlichen Fachkonstitution, sondern nur „bei Gelegenheit“ erfolgt sind, nicht angeben, da er nicht davon ausgehen muss, dass dies den Versicherer ernsthaft interessiert. Wer deshalb auf einer Party einen Arzt kennenlernt und sich mit diesem (auch lange und ausführlich) über Beschwerden unterhält, die dieser „kostenlos” kommentiert, wird nicht beraten.
Fazit und Hinweise für die Praxis
Antragsfragen sind nach herrschender Meinung wie AGB auszulegen. Daher sind die Fragen unter Zugrundelegung der allgemeinen Auslegungsgrundsätzen aus Sicht eines verständigen und um Aufmerksamkeit bemühten Versicherungsnehmers auszulegen. Dabei sind unklare Fragen grundsätzlich zugunsten des Versicherungsnehmers auszulegen.
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