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14. Januar 2025
BU: Was versteht man unter „leidensbedingtem Berufswechsel“?
BU: Was versteht man unter einem „leidensbedingten Berufswechsel“?

BU: Was versteht man unter „leidensbedingtem Berufswechsel“?

Im Leistungsprüfungsverfahren mit dem BU-Versicherer ist oft nicht klar, auf welchen Beruf zur Beurteilung der Berufsunfähigkeit abzustellen ist. Kompliziert wird es, wenn der Versicherte vor Eintritt des Versicherungsfalls den Beruf „leidensbedingt“ gewechselt hat. Was kennzeichnet einen solchen Wechsel? Und welche Auswirkungen hat dies? Das erläutert Björn Thorben M. Jöhnke in seiner regelmäßig erscheinenden BU-Kolumne.

Ein Artikel von Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Ein leidensbedingter Berufswechsel liegt dann vor, wenn der Versicherungsnehmer durch Herabsinken seiner beruflichen Leistungsfähigkeit durch Krankheit oder Kräfteverfall oder wegen krankheitsbedingter Kündigung seinen Beruf aufgibt und (freiwillig) in eine ihm noch mögliche Tätigkeit wechselt. Davon abzugrenzen ist der leidensunabhängige Berufswechsel. Ein solcher ist gegeben, wenn der Versicherungsnehmer den Beruf zumindest mittelfristig vor dem Eintritt der Berufsunfähigkeit gewechselt hat, ohne dass dies mit seiner Gesundheitsbeeinträchtigung in Zusammenhang steht.

Ausnahme bei der Bestimmung des zuletzt ausgeübten Berufs

Der Grundsatz, dass bei der Ermittlung des versicherten Berufs stets auf den zuletzt ausgeübten Beruf abzustellen ist, ist in Fällen eines leidensbedingten Berufswechsels des Versicherungsnehmers ausnahmsweise nicht geboten. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es sich insoweit nicht um die von den Bedingungen vorausgesetzte Tätigkeit, wie sie ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, handelt.

Abstellen auf den Beruf vor dem Wechsel

Demnach bleibt im Falle eines ausschließlich leidensbedingten Berufswechsels der vor diesem Wechsel „in gesunden Tagen“ ausgeübte Beruf der richtige Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit. Dies gilt selbst dann, wenn der Versicherungsnehmer nach dem erstmaligen Eintritt des Versicherungsfalls zunächst weiterhin die leidensbedingt eingeschränkte Tätigkeit ausgeübt hat und nach Beendigung dieser Tätigkeit erneut Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung geltend macht. Dies ergibt sich aus der Auslegung der üblichen Definition der Berufsunfähigkeit in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen.

Auslegung der Definition der Berufsunfähigkeit

Die Definition der Berufsunfähigkeit ist unter Zugrundelegung der Sichtweise eines durchschnittlich informierten Versicherungsnehmers auszulegen. Die Auslegung kommt sodann zu dem Ergebnis, dass dieser Versicherungsnehmer nur seine berufliche Leistungsfähigkeit in gesunden Tagen als Vergleichsmaßstab zur Beurteilung der leidensbedingten Einschränkung seiner beruflichen Fähigkeiten verstehen kann. Hieraus ergibt sich auch, dass sich der bedingungsgemäß festgelegte Grad der Berufsunfähigkeit an dem fortlaufend sinkenden Leistungsniveau des Versicherungsnehmers als Vergleichsmaßstab orientieren muss. Denn der Versicherungsnehmer kann der Definition der Berufsunfähigkeit jedenfalls nicht entnehmen, dass ein während der Versicherungsdauer verschlechterter gesundheitlicher Zustand, der bereits einen Versicherungsfall ausgelöst hat, für die restliche Laufzeit der Versicherung als neuer Normalzustand gelten soll, an dem künftig der Eintritt der Berufsunfähigkeit zu messen wäre. Bei einem dahingehend abweichenden Verständnis würde der versprochene und durch ungeminderte Beiträge erworbene Versicherungsschutz während der Versicherungsdauer zunehmend entwertet werden.

Damit ist auch in solchen Fällen auf den vor dem Wechsel in gesunden Tagen vormals ausgeübten Beruf abzustellen, in denen der Versicherungsnehmer wegen fortschreitender Erkrankung seine Berufstätigkeit nach und nach leidensbedingt zurücknimmt oder auf einen vom Arbeitgeber eingerichteten Schonarbeitsplatz wechselt. Denn ein solches Verhalten kann nicht mehr als freiwillig erachtet werden, selbst wenn es grundsätzlich auf einer Willensbildung beruht.

Keine zeitliche Grenze der Betrachtung?

Es wird insbesondere ohne zeitliche Grenze auf den in gesunden Tagen ausgeübten Beruf abgestellt, so dass auch bei einem jahrelang ausgeübten neuen – leidensbedingt gewählten – Beruf immer die frühere Tätigkeit zugrunde zu legen ist. Nach Ansicht des BGH könne der durchschnittliche Versicherungsnehmer den Versicherungsbedingungen nämlich nicht entnehmen, ab wann eine gesundheitlich verminderte Leistungsfähigkeit und eine daran angepasste Berufsunfähigkeit im Weiteren zum versicherten Normalzustand werden könnte. Aus diesem Grund können keine zeitlichen Grenzen konstruiert werden.

Diese Auslegung greift allerdings nicht in den Fällen, in denen der Versicherungsfall erst längere Zeit nach dem Wechsel eintritt. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer weiß in derartigen Fällen durchaus, dass die neue Tätigkeit – und gerade nicht die alte Tätigkeit – für seine Lebensumstände prägend ist. Aus diesem Grund würde er bei einer entsprechend zeitlichen Verfestigung auch davon ausgehen, dass die neue Tätigkeit dann die versicherte Tätigkeit ist, zumal von der „zuletzt ausgeübten Tätigkeit“ die Rede ist. Somit versteht der durchschnittliche Versicherungsnehmer in diesen Fällen unter der zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht diejenige Zeit, in der er letztmalig völlig gesund war, sondern die Zeit vor demjenigen Zeitpunkt, zu dem er meint, der bedingungsgemäße Grad der Berufsunfähigkeit sei überschritten worden. Würde man immer streng nach den gesunden Tagen gehen, könnte sogar der Versicherungsnehmer Schwierigkeiten haben, die Tätigkeiten in diesem möglicherweise schon lange zurückliegenden Zeitraum zu rekonstruieren und zu beweisen.

Individuelle Prüfung im Einzelfall

Damit ist in Fällen, in denen der Versicherungsfall erst lange nach dem leidensbedingten Berufswechsel eintritt, im Einzelfall individuell zu prüfen, ob es sachgerecht erscheint, auf die letzte Tätigkeit und nicht die Tätigkeit in gesunden Tagen abzustellen. Dies wäre anzunehmen, wenn die neue Tätigkeit dauerhaft ausgeübt wird. In der Rechtsprechung wird teilweise vertreten, dass nach Ablauf von fünf Jahren der vorherige Beruf nicht mehr als Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit zugrunde zu legen ist.

Dahingegen erscheint es allerdings sachgerechter, anstelle einer starren zeitlichen Grenze eine differenzierende Betrachtung anzustellen. Hierbei sollen neben der zeitlichen Entfernung der Anzeige des Versicherungsfalls auch die Erkenntnisse und Entscheidungen des Versicherten während und nach dem leidensbedingten Wechsel herangezogen werden. Je länger er nach Auftreten eines Leidens im neuen Beruf gearbeitet hat und je klarer ihm ursprünglich sein musste, dass die Berufsunfähigkeit im alten Beruf eingetreten ist, desto näher liegt es, nunmehr auf den neuen Beruf abzustellen.

Fazit und Hinweise für die Praxis

Bei Vorliegen eines leidensbedingten Berufswechsels wird im Grundsatz auf den vor diesem Wechsel „in gesunden Tagen“ ausgeübten Beruf abgestellt. Der BGH stellt hierfür keine zeitliche Grenze und stützt seine Begründung auf die Auslegung der Definition der Berufsunfähigkeit in den Bedingungen, die eine Zeitgrenze nicht erwähnt. Möchte ein Versicherer sicherstellen, dass eine jahrelang ausgeübte Tätigkeit, in die der Versicherte leidensbedingt gewechselt ist, zum Anknüpfungspunkt wird, so muss er dies ausdrücklich regeln. Da im Ergebnis eine Einzelfallbetrachtung notwendig ist, sind die vorgenannten Grundsätze auch sehr anfällig für Fehlentscheidungen durch die Berufsunfähigkeitsversicherungen, die so dann häufig einer juristischen Korrektur bedürfen. Aus diesem Grund sollte in Leistungsprüfungen stets darauf geachtet werden, dass der Versicherte selbst die „richtige Tätigkeit“ konkret beschreibt, und nicht selbst auf die „falsche Tätigkeit“ abstellt.

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Bild: © Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte