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24. August 2024
BU-Nachprüfung: Zählen Elternzeit und Arbeitslosigkeit als Berufsausstieg?

BU-Nachprüfung: Zählen Elternzeit und Arbeitslosigkeit als Berufsausstieg?

Kann man berufsunfähig werden, wenn man arbeitslos ist oder Kinder betreut? Andere Frage: Darf man wieder arbeiten gehen, ohne die Einstellung der BU-Rentenzahlungen befürchten zu müssen? Und was gilt als Ausstieg aus dem Berufsleben? Mit diesen Rechtsfragen hat sich das Kammergericht Berlin beschäftigt. Eine Rechtsexpertin ordnet das Urteil ein.

Ein Artikel von Kathrin Pagel, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Versicherungsrecht und Partnerin in der Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte PartG

Der Versicherungsnehmer erhielt in einem vor dem Kammergericht Berlin (KG) verhandelten Fall (Urteil vom 08.08.2023 – Az. 6 U 32/22) zunächst aufgrund Berufsunfähigkeit Leistungen von seinem Berufsunfähigkeitsversicherer. Eine vom Versicherungsnehmer neu begonnene Tätigkeit in Teilzeit nahm der Versicherer zum Anlass, weitere BU-Leistungen einzustellen. Damit erklärte sich der Versicherungsnehmer nicht einverstanden und beschritt letztlich den Klageweg.

Wie allgemein bekannt, kann in der Berufsunfähigkeitsversicherung der Versicherer im bedingungs­gemäßen Nachprüfungsverfahren über die Berufsunfähigkeit den Versicherungsnehmer auf eine neu ausgeübte Tätigkeit konkret verweisen. Dazu muss es sich bei der neu ausgeübten Tätigkeit aber um eine „Vergleichstätigkeit“ handeln. War das im vorliegenden Rechtsstreit der Fall?

BU-Versicherter macht Umschulung

Berufsunfähigkeit lag nach dem Vertrag des BU-Versicherers vor, „wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außerstande ist bzw. sechs Monate ununterbrochen außerstande war, ihren zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben. Maßgeblich ist der zuletzt ausgeübte Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war.“

Der Kläger war zuvor in gesunden Tagen als Vertriebsmitarbeiter in Vollzeit mit 40 Wochenstunden tätig. Diesen Beruf konnte er wegen des hochgradigen zervikalen Querschnittsyndroms, das alle vier Extremitäten betrifft und sich in Lähmungserscheinungen und einer Spastik zeigt, nicht mehr ausüben. Berufsunfähigkeit war somit eingetreten.

Später hatte der Kläger erfolgreich zum Steuerfachgehilfen umgeschult und eine Teilzeittätigkeit mit 15 Stunden pro Woche bei einem Steuerberater aufgenommen. Der Versicherer hielt diese Tätigkeit für mit der ursprünglichen Tätigkeit vergleichbar und stellte die BU-Leistungen ein. Zur Begründung führte er aus, das bisherige Arbeitseinkommen entspreche unter Berücksichtigung des verminderten Einkommens während der Elternzeit und Zeiten der Arbeits­losigkeit dem vorherigen. Eine durchschnittliche Minderung des Erwerbseinkommens sei zudem zu berücksichtigen, weil eine „wechselnde Erwerbsbiografie“ vorläge, die durch längere Arbeitslosigkeitszeiten und Elternzeit geprägt sei.

Versicherer beruft sich auf vergleichbare Tätigkeit

Nach den gängigen Bedingungswerken der Rechtsprechung ist eine konkrete Verweisung bei Wahrung der bisherigen Lebensstellung grundsätzlich möglich. Nach den vertrag­lichen Regelungen, vorliegend § 9 Abs. 1 der allgemeinen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BB-BUZ), war der Versicherer berechtigt, im Leistungsfall das Fortbestehen der Berufs­unfähigkeit nachzuprüfen. Dabei darf auch geprüft werden, ob die versicherte Person eine andere vergleichbare Tätigkeit ausübt, wobei neu erworbene berufliche Tätigkeiten zu berücksichtigen sind. Ist die Berufsunfähigkeit auf unter 50% gesunken, wäre der Versicherer berechtigt, die Leistungen einzustellen, § 9 Abs. 4 BB-BUZ. Eine zwischenzeitlich erfolgte Verbesserung des Gesundheitszustandes war aufgrund der Schwere der Beeinträchtigungen nicht festzustellen. Der Versicherer hatte sich demnach nur noch darauf berufen, dass der Ver­sicherungsnehmer zwischenzeitlich eine vergleichbare Tätigkeit ausüben würde.

Was gilt als Ausstieg aus dem Berufsleben?

Der zuvor ausgeübte Beruf war der eines Vertriebsmitarbeiters. Eine Unterbrechung der zuletzt in gesunden Tagen konkret ausgeübten Tätigkeit erfolgte durch Arbeitslosigkeit oder Elternzeit. Diese Umstände sind aber nicht als Ausstieg aus dem Berufsleben zu werten. Eine solche Phase im Berufsleben ist nicht auf Dauer geplant, auch wenn eine solche Phase länger andauern kann. Der Versicherer argumentierte mit einer „wechselnden Erwerbsbiografie“ und meinte, infolge dessen sei ein niedrigeres „Durchschnittseinkommen“ im ursprünglichen Beruf zu bestimmen. Von einem solcherart geänderten Einkommen auszugehen, würde jedoch den Versicherungsschutz zu stark aushöhlen, sodass der Vertragszweck der Berufsunfähigkeitsver­sicherung damit aufgehoben werde, erläutert das Gericht.

Denn die Funktion der Berufsunfähigkeitsversicherung besteht darin, die bisherigen Lebensumstände sicherzustellen und einen individuellen und sozialen Abstieg des Versicherten im Berufsleben und in der Gesellschaft zu verhindern (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 26.06.2019, Az. IV ZR 19/18). Eine Änderung des Berufs käme bei einem freiwilligen Berufswechsel, mithin zum Beispiel einer – nicht krankheitsbedingt erfolgten – Eigenkündigung, in Betracht. Mit einer Eigenkündigung sei der Einfluss der ursprünglichen Berufs­tätigkeit auf die Lebensstellung des Klägers zugleich erloschen (siehe Saarländisches Oberlandes­gericht Saarbrücken (OLG), Urteil vom 08.01.2003, Az. 5 U 910/01 – 77 –, Rn. 23, juris).

Vergleich der neuen Tätigkeit mit vorheriger Tätigkeit möglich?

Die neu aufgenommene Teilzeitarbeit war an der ursprünglich ausgeübten Tätigkeit zu messen. Das OLG postuliert zudem, eine Teilzeittätigkeit sei in der sozialen Wertschätzung mit einer Vollzeittätigkeit in der Regel nicht gleichwertig. Dies ist unabhängig vom damit erzielten Einkommen festzustellen. Der Einkommensvergleich ergab, dass die Teilzeittätigkeit mehr als 20% unter dem vorherigen Bruttojahresverdienst lag. Selbst bei Berücksichtigung des Einkommens fehle es noch immer an einer Vergleichbarkeit.

Es kommt aber nicht allein auf das Einkommen an. Ein Verweisungsberuf darf unabhängig davon nicht „unterwertig“ in Bezug auf seine früheren Qualifikationen und seinen beruflichen oder sozialen Status sein (siehe BGH, Urteil vom 20.12.2017, Az. IV ZR 11/16 – Hufbeschlagschmied-Entscheidung).

Der Versicherer kann demnach nicht durch Verrechnung des Bruttojahresverdienstes mit Arbeitslosigkeit bis zum Eintritt der Berufsunfähigkeit ein entsprechend geringeres „Durchschnittseinkommen“ generieren. Das leidensbedingte Niveau der aufgenommenen Tätigkeit würde durch die Beendigung des Versicherungsfalls anderenfalls zum neuen „Normalzustand“ werden, obwohl sich an den gesundheitlichen Umständen des Versicherungsnehmers nichts geändert hat. Im Ergebnis würde dies zu einem sozialen Abstieg des Versicherungsnehmers führen. Nichts anderes gilt, wenn der Versicherungsnehmer, wie hier, eine andere leidensgerechte Teilzeittätigkeit aufnimmt, so das KG.

Schlussfolgerung

Wird bei der Nachprüfung auf eine neue berufliche Tätigkeit abgestellt, ist jeder Fall anders und muss genau geprüft werden. Die anwaltliche Praxis zeigt: Fehlerhafte Nachprüfungsentscheidungen führen in der Regel zu Nachzahlungsverpflichtungen des Berufsunfähigkeitsversicherers.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 08/2024 und in unserem ePaper.

Bild: © Gina Sanders – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Kathrin Pagel