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21. Juli 2020
Betriebsschließungsversicherung: „Da ist richtig Druck auf dem Kessel!“

Betriebsschließungsversicherung: „Da ist richtig Druck auf dem Kessel!“

Der BDVM hat im Vorstand einen Generationswechsel vollzogen. Die ersten Monate im Amt des neuen Präsidenten Thomas Haukje waren von der Diskussion um die Betriebsschließungsversicherung geprägt. Im Interview mit AssCompact nimmt Haukje unter anderem auch Stellung zu diesem Thema.

Herr Haukje, Sie sind nun etwas länger als ein halbes Jahr Amtsträger beim BDVM, ohne vorher im Vorstand groß aktiv gewesen zu sein.

Ja, genau. Zuvor war ein Kollege aus unserer Unternehmensgruppe, Achim Fischer-Erdsiek, Vorstand des BDVM. Ich wurde dann sehr frisch in den Vorstand gewählt und dann direkt auch Präsident. Zum Start hat man natürlich seine Ideen und Visionen, wohin man einen Verband entwickeln möchte. So ging eigentlich auch alles gut los, wir hatten unsere erste Vorstandssitzung Mitte Februar – und dann kam Corona. Das hat meinen Fokus erst einmal verschoben auf Themen wie etwa die Betriebsschließungsversicherung.

Zu der wir noch kommen werden. Haben Sie denn den Eindruck, dass Versicherungsmakler in der Corona-Krise sehr geschätzt werden?

Ich denke, die Kunden brauchten in den letzten Monaten mehr denn je einen fachkundigen Berater im Bereich Risiko und Versicherung. Viele Kunden waren natürlich vollkommen überfordert von den Fragestellungen: Was heißt eigentlich Corona im Hinblick auf den Versicherungsschutz? Müssen Verträge angepasst werden, müssen Schäden gemeldet werden? Wir waren also als Versicherungsmakler gefordert, mit kühlem Kopf und hoher Professionalität unsere Kunden durch die Corona-Krise zu navigieren und sicherzustellen, dass auch auf der Versicherungsseite alles richtig läuft.

Blieb den Maklern Zeit, sich vorzubereiten, oder wurden sie mit den vielfältigsten Anliegen der Kunden überrascht?

Wir waren auf vieles vorbereitet, aber es sind natürlich jeden Tag neue Fragestellungen aufgetaucht, beispielsweise was den Zusammenbruch von Lieferketten anging. Natürlich hatte man sich darüber vorher Gedanken gemacht, aber was das dann konkret für jeden einzelnen Kunden bedeuten würde, davon wurden wir in Einzelfällen sicher überrascht.

Ist vieles jetzt in trockenen Tüchern?

Ich würde sagen, ja. Sowohl Kunden, Versicherer als auch wir Makler haben das gut ausmoderiert. Natürlich gibt es auch kritische Punkte. Bei der Betriebsschließungsversicherung ist natürlich noch gar nichts in trockenen Tüchern.

Der BDVM hat hier ja zunächst die sogenannte bayerische Kompromisslösung als richtigen Weg bezeichnet. Haben Sie die Reaktion der Öffentlichkeit unterschätzt?

Der BDVM ist da weiter auf Kurs. Wir betrachten die bayerische Lösung als einen Schritt in die richtige Richtung. Aber wir haben von vornherein deutlich gemacht, dass diese im Hinblick auf die Bedingungsvielfalt im Bereich der Betriebsschließungsversicherung nicht ausreicht. Es gibt großenteils Bedingungen, die nicht so klar formuliert sind, wie die Versicherer denken. Wir haben auch davor gewarnt, dass es zu einer Klagewelle kommen könnte, und die scheint jeden Tag realer zu werden. Das kürzlich ergangene, Ihnen bekannte Urteil des Landgerichts Mannheim wird zwar konträr interpretiert, dennoch erkennen wir eine klare Richtung, nämlich dass die Versicherer auf dem Klageweg mit Urteilen rechnen müssen, die deutlich kundenfreundlicher ausgesprochen werden, als es die bayerische Lösung ist. Alles andere würde uns wundern.

Es geht dabei aber auch um die Reputation der Versicherungswirtschaft an sich. Wir haben es in den letzten Wochen mehrfach ins Fernsehen geschafft, Stichwort frontal21 oder die heute-show. Ich hoffe, dass wir nun endlich sachlich zu Ergebnissen kommen, die die Situation wieder befrieden. Wir sind bereit, für einen konstruktiven und sachlichen Dialog vieles zu tun, setzen dabei aber auch auf eine weitere Kompromissbereitschaft bei einzelnen Versicherungsgesellschaften, die aktuell sehr robust auftreten.

Gibt der Verband eine Empfehlung an seine BDVM-Mitglieder?

Letztlich handelt es sich um zum Teil komplexe Einzelfallbetrachtungen. Aber es gibt grundsätzlich drei Fallgruppen, die wir von Anfang an sehr klar beschrieben haben. Bei der ersten Gruppe haben die Versicherer nahezu wasserdichte Bedingungen, bei denen man davon ausgehen muss, dass Pandemien und Covid-19 ausgeschlossen sind. Dann gibt es eine weitere Kategorie, bei der es von unserer Seite aus klar ist, dass wiederum eine eindeutige Leistungsverpflichtung der Versicherer gegeben ist. Und dann gibt es diese Mischfälle, die nun gegebenenfalls über die bayerische Lösung geregelt werden sollten.

Aktuell werfen aber einige Versicherer alles in einen Topf und setzen komplett die bayerische Lösung um. Auch bei Kunden, die nach unserer Einschätzung einen Anspruch auf höhere Entschädigung hätten.

Wir haben unseren Mitgliedern Beurteilungsgrundlagen zur Verfügung gestellt, um die Einzelfälle abwägen zu können und hieraus das weitere Vorgehen abzuleiten.

Und der Makler sitzt mit im Boot?

Ja. Deshalb haben wir uns natürlich direkt und für unsere Mitglieder an einzelne Versicherungsgesellschaften gewandt und unsere Bedenken mehr als deutlich gemacht. Außerdem haben wir unseren Mitgliedern sehr umfangreich und detailliert beschrieben, wie wir einzelne Bedingungswerke sehen. Ich denke, wir haben hier eine bestmögliche Transparenz für unsere Mitglieder geschaffen. Aber lassen Sie mich eines sagen: Ich arbeite seit fast 30 Jahren im Bereich Versicherungen und bin seit 2000 als Versicherungsmakler aktiv. Ich habe in all der Zeit noch nie erlebt, dass die Beziehung zwischen Versicherern und Maklern wegen eines Themas so angespannt war. Im Kraftwerk würde man sagen: Da ist richtig Druck auf dem Kessel!

Wie geht es weiter?

Ich fürchte, dass viele Versicherer auf den Klageweg setzen und das auch bis zur letzten Instanz durchfechten werden. Wobei es ja auch einzelne wohltuende Ausnahmen gibt, die ihren Verpflichtungen nachkommen. Es gibt eine Handvoll Versicherer – zum Beispiel HDI, Basler, SIGNAL IDUNA, Barmenia und ich habe auch von der Chubb gehört –, die die Schäden anständig und kundenorientiert regulieren.

Der BDVM hat schon in den letzten Jahren immer mal wieder die Leistungsbereitschaft der Versicherer kritisiert. Passt das jetzt ins Bild?

Ich würde da das Betriebsschließungsthema ausklammern, weil das schon eine Sonderbaustelle ist. Im klassischen großindustriellen Versicherungsgeschäft würde ich aber sagen, dass die Schadenbearbeitung heute zumindest anspruchsvoller wird. Versicherer prüfen intensiv, detailliert und langatmig, ob sie in der Leistungspflicht sind. Und wir erleben, dass selbst Gesellschaften, die an großen Versicherungspolicen nur beteiligt sind und den Versicherungsschutz komplettieren, eine eigene Sicht zum Schadenfall entwickeln, die sich von der Sicht des führenden Versicherers – trotz ausgefeilter Führungsklauseln – unterscheiden kann. Im Zweifel verhandelt man also heute nicht mehr nur mit einem Versicherer, sondern mit mehreren. Auf der anderen Seite können BDVM-Makler dem Kunden in solchen Fällen immer wieder deutlich machen, warum er einen Kompetenzmakler an seiner Seite benötigt.

Lassen Sie uns noch einmal kurz über die Lieferketten sprechen. Kreditversicherer und Bund haben sich da zusammengetan. Sind das tatsächlich Lösungen?

Für mich ist das eine vorbildliche und richtungsweisende Lösung. Es ist ein kluger Ansatz, den die Kreditversicherer da gewählt haben, auch in Zusammenarbeit mit einzelnen unserer Mitgliedsunternehmen. Der Schutzschirm in Höhe von 30 Mrd. Euro ermöglicht den Kreditversicherern, die Limits auf einzelne Kundenverbindlichkeiten weiterhin aufrechtzuerhalten. Damit sorgt man auch dafür, dass die Lieferketten nicht einbrechen. Dennoch sind Kreditversicherer und Bürgschaftsversicherer sehr nervös, weil es natürlich trotzdem zu einer deutlich erhöhten Anzahl von Insolvenzen kommen kann oder gar wird. Nach meinem Kenntnisstand sind um die 400 Mrd. Euro an Forderungen in Deutschland aktuell versichert – und ein 30-Mrd.-Euro-Schutzschirm wurde gegeben. Das sind also weniger als 10%. Aber man sieht, dass es die Versicherer wenigstens dahingehend beflügelt, dass sie weiter zu ihren Deckungen stehen.

Hinsichtlich Pandemien kommen Hilfsfonds ins Gespräch. Wo steht da der BDVM?

Wir sind auf jeden Fall bereit, unsere Vorschläge und Ideen dort einzubringen. Die erste Frage würde ja sein, ob es sich um einen deutschen Pool oder um einen EU-Pool handelt. Ist es dann wiederum ein Pool, bei dem die private Versicherungswirtschaft mitwirkt oder ist es eine reine staatliche Garantie? Da befindet man sich im Anfangsstadium der Überlegungen. Eine staatliche Mitwirkung bei einer solchen Pandemiedeckung ist aus meiner Sicht aber unausweichlich. Zumal die Versicherer ihre Versicherungsbedingungen wasserdicht machen werden und das Pandemierisiko ausschließen wollen. Übrigens, man kann in dem Zusammenhang neben echten Viren auch an Computerviren und Cyber denken, auch dort wird man über Pool-Lösungen nachdenken können, wenn man zum Beispiel große Blackout-Szenarien bewerten möchte.

Zudem gibt es ja auch die Tendenz, dass Versicherer manche Risiken gar nicht mehr wollen.

Durch Corona ist der Risikoappetit der Versicherer natürlich stark gesunken. Aber lassen wir Corona mal außen vor. Einzelne große Versicherer sind sehr gut unterwegs in der Begleitung von neuen Technologien wie Wasserstoff, Batterietechnologien, also allem was im weitesten Sinne mit Energiewende und Klimawandel zu tun hat. Es gibt aber auch das, was ich gerne als Diskriminierung von Risiken bezeichne. Es gibt Risiken wie zum Beispiel Kohlekraftwerke, Fleischbetriebe, Recycling oder Holz, wovon sich Versicherer mehr und mehr verabschieden und es der Industrie zusätzlich schwer machen, überhaupt agieren zu können. Ich denke, da werden einige Kunden zum Jahreswechsel eine besondere Prolongation ihrer Versicherungsverträge erfahren. Allerdings möchte ich auch sagen, dass es aktuell nicht die Zeit für Prämienerhöhungen ist. Bei manchen Versicherern zeichnet sich diese Verhandlungsposition ab. Das halten wir aktuell für kontraproduktiv.

Welchen Einfluss und welche Möglichkeiten hat ein Verband wie der BDVM da eigentlich?

Einerseits bespielen wir natürlich immer die Versicherer. Andererseits sind wir immer im Dialog mit der Politik, denn auch die Abgeordneten und Ministerien müssen aufgezeigt bekommen, welche Auswirkungen ein bestimmtes Handeln hat. Es geht immer wieder um das Thema Transparenz und darum, ein kompetenter, sachlicher Gesprächspartner zu sein.

Wer hat den größeren Einfluss: Versicherer oder werden auch tatsächlich die Makler gehört?

Der Einfluss der Versicherer ist sicher groß. Aber ja, selbstverständlich werden wir von der Politik angehört. Sobald es um einen neutralen Rat geht, spricht man den BDVM an.

Zur Person

Thomas Haukje, seit 2008 geschäftsführender Gesellschafter der Nordwest Assekuranzmakler GmbH & Co. KG, wurde im November 2019 von der Mitgliederversammlung zum Präsidenten des Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler (BDVM) e. V. gewählt. Der Bremer verfügt über 25 Jahre Erfahrung im internationalen Industrieversicherungsgeschäft und ist ein international anerkannter Experte für Kunden im Energiesektor. Seit 1990 ist er in verschiedenen Bereichen der Versicherungswirtschaft tätig, seit 2000 als Versicherungsmakler in unterschiedlichen Funktionen.

Dies ist der erste Teil des Interviews mit Thomas Haukje, das in AssCompact 07/2020 erschienen ist. Lesen Sie auch den zweiten Teil:

"Wir müssen immer darum kämpfen, nicht überreguliert zu werden"

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