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30. Juli 2024
Betriebliche Pflegeversicherung: Die unentdeckte Lösung?

Betriebliche Pflegeversicherung: Die unentdeckte Lösung?

Der Anteil Pflegebedürftiger wächst. Angesichts der Defizite in der gesetzlichen Pflegeversicherung muss eine Lösung her. Vielleicht ja von betrieblicher Seite? Noch findet die bPV im Gegensatz zur bKV kaum Beachtung. AssCompact hat sich in der Branche umgehört, ob sich das zukünftig ändern könnte.

Der Pflegebedarf in der Bundesrepublik Deutschland und auch die Kosten für die Betroffenen und Angehörigen steigen – eine Besserung ist nicht in Sicht.

In Zukunft werde die Kostenbelastung in der Pflege aufgrund steigender Eigenanteile immer größer, weiß Frauke Fiegl, Vorsitzende des Vorstands der ERGO Krankenversicherung AG und der DKV Deutsche Krankenversicherung AG sowie Mitglied des Vorstands der ERGO Deutschland AG. Bei einer Unterbringung in einem Pflegeheim liege im ersten Jahr der durchschnittliche Eigenanteil bei knapp 2.600 Euro pro Monat (Stand Januar 2024). Die letzte Pflegereform entlaste hier nur bedingt, sagt sie. Denn das Grundproblem bleibe: „Die gesetzliche Pflegeversicherung ist nur eine Grundsicherung. Trotz des bekannten Teilkaskocharakters ist die notwendige zusätzliche private Vorsorge immer noch zu wenig verbreitet.“

Der „Pflegefall Pflege“

Der „Pflegefall Pflege“ beschäftigt nicht nur die Betroffenen und deren Familienangehörige, sondern liegt selbstverständlich auch im politischen Berlin auf dem Tisch – zwar nicht erst seit gestern, aber spätestens seitdem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Ende Mai in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland von einem „explosionsartigen Anstieg“ der Pflegebedürftigen sprach. Überlegungen zur Problematik gibt es viele, auch gesprochen wird viel. Ob die Finanzreform der Pflege noch in dieser Legislatur stattfindet, ist fraglich. Nötig wäre es: Laut einer Mitteilung des Verbands der Privaten Krankenversicherung (PKV-Verband) von Anfang Juli erwartet die soziale Pflegeversicherung für dieses Jahr ein Defizit von 1,5 Mrd. Euro und fürs kommende Jahr ein Minus von 3,4 Mrd. Euro. Ein Konzept für die Pflege-Finanzreform soll Lauterbach zufolge nach der Sommerpause folgen.

Aber vielleicht gibt es nicht nur von gesetzlicher Ebene Lösungsansätze, sondern auch an anderer Stelle. Einer wäre also eine Pflegeversicherung von betrieblicher Seite – nicht zuletzt, nachdem die betriebliche Krankenversicherung (bKV) bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern immer höher im Kurs steht, ist der Sprung zu einer betrieblichen Pflegeversicherung (bPV) nicht weit. Teilweise wird sie schon umgesetzt, so z. B. bei der Henkel AG, fliegt aber an vielerlei Stelle noch unter dem Radar. Liegen hier Potenziale – sowohl für die Problembekämpfung als auch für Makler? AssCompact hat sich in der Branche umgehört und den Sachstand erfragt.

Was da ist, wird genutzt

Die Firma Henkel bietet bereits seit Januar 2019 als erstes deutsches Unternehmen eine betriebliche Pflegezusatzversicherung (CareFlex) für ambulante, stationäre und teilstationäre Pflege an. Dabei greift der Versicherungsschutz sofort nach Eintritt ins Unternehmen ohne Gesundheitsprüfung und Wartezeit und es gibt auch ein Angebot, um Familienmitglieder zu schützen. Die Resonanz bei den Mitarbeitern für das Angebot sei sehr positiv, die rund 8.500 Henkel-Mitarbeiter in Deutschland seien durch die betriebliche Pflegezusatzversicherung abgesichert, und zusätzlich seien mehr als 4.600 Zusatzverträge für eine Aufstockung der Versicherung oder Familienmitglieder abgeschlossen worden, teilt eine Sprecherin des Unternehmens auf Anfrage von AssCompact mit. In den letzten Jahren habe das Thema Pflege immer mehr an Bedeutung gewonnen. Mitarbeiter würden sich insbesondere damit beschäftigen, wenn es um die Pflege von Angehörigen geht.

Direkte Erlebbarkeit vs. nachhaltige Vorsorge

Einen weiteren Aspekt nennt Fiegl: Sie meint, die bPV sei noch nicht so weit verbreitet wie ihre große Schwester, die bKV. „Die Argumentation für die bKV ist anders als für die bPV. Bei der bKV steht die direkte Erlebbarkeit der Mitarbeiter im Fokus, da der Arbeitgeber sich z. B. mit einem Zahnprodukt gleich beim nächsten Zahnarztbesuch des Mitarbeiters an der Rechnung beteiligen kann.“

Und das macht wohl auch für die Beschäftigten einen direkten Unterschied. Denn bei der bPV gehe es hingegen eher um den Vorsorgecharakter, so Fiegl. „Auch wenn Pflege kein reines Thema des Alters ist, kommen die meisten Leistungsfälle erst nach vielen Jahren – oft erst nach Ausscheiden des Arbeitnehmers aus der Firma – zum Tragen.“

Idee: Direkten Mehrwert schaffen

Carolin Birken, Direktionsbevollmächtigte Kompetenzcenter Firmenkunden bei der Hallesche Krankenversicherung a.G., ergänzt in diesem Zusammenhang, dass das Angebot an betrieblichen Pflegeversicherungen am Markt relativ jung und überschaubar sei. Aus Sicht des Arbeitgebers betrachtet seien sie auf den ersten Blick ein Benefit, der im Vergleich zur bKV erst spät zu Tragen komme. Deshalb habe die Hallesche als Ansatz nicht die klassische Pflegezusatzversicherung gewählt, sondern einen, der Arbeitgebern und Mitarbeitern direkt im aktiven Berufsleben einen erlebbaren Mehrwert biete: nämlich mit der gezielten Angehörigenpflege, um die Doppelbelastung von Pflege und Beruf zu reduzieren – ähnlich wie Henkel es beschreibt.

Das Produkt FEELcare der Hallesche z. B. sei ein „Unterstützungsangebot für Arbeitgeber, das die zeitliche, finanzielle, körperliche und emotionale Entlastung der pflegenden Mitarbeitenden zum Ziel hat. Es beinhaltet konkrete Beratungs- und Unterstützungsleistungen sowie finanzielle Unterstützung durch ein monatliches Pflegebudget, das u. a. für Pflegedienstleistungen, -hilfsmittel und die tägliche Betreuung eingesetzt werden kann“, erklärt Birken. Darüber hinaus biete FEELcare auch eine Soforthilfe, wenn Mitarbeiter selbst zum Pflegefall würden.

Wie gut wird die bPV insgesamt angenommen?

Betrachtet man die Gesamtzahl der Beschäftigten, die über eine bPV verfügen, so ergibt sich noch ein wohl eher suboptimales Bild. Der PKV-Verband nennt gegenüber AssCompact die Zahl 443.000. So viele bzw. wenige Beschäftigte verfügten in Deutschland Ende 2022 über einen betrieblichen Vorsorgetarif mit Pflegezusatzleistungen, der komplett vom Arbeitgeber finanziert wurde. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts (Destatis) gab es Ende 2022 rund 46 Millionen Erwerbstätige, davon 35,1 Millionen sozialversicherungspflichtig.

Warum sich die Nachfrage noch in Grenzen hält, begründet der PKV-Verband damit, dass viele Menschen das Thema Pflege auch verdrängen würden. „Während des Erwerbslebens scheint die eigene Pflegebedürftigkeit noch in weiter Ferne. Und nur wenige treffen Vorkehrungen für den Pflegefall von Angehörigen.“

Überzeugt vom Produkt?

Andreas Hofmann ist Vorstand der Pension Benefits AG, Tochter der Fonds Finanz. Er kritisiert, dass die bPV aktuell in Deutschland bei den Unternehmen gar nicht vertreten bzw. der Anteil sicherlich kaum messbar sei und führt das auf verschiedene Gründe zurück. Unter anderem sagt er: „[Es] fängt auch immer bei dem Vermittler bzw. Makler an. Sehr wenige Vermittler haben privat eine Pflegeversicherung und wenn man von einem Produkt bzw. einer Absicherung selbst nicht überzeugt ist, wird dies in der Regel auch nicht beraten und vermittelt.“

Wenn man sich die private Pflegezusatzversicherung in der 2. Schicht anschaut, sei der Anteil zwar etwas höher als im Bereich der bPV, bei Weitem aber noch nicht ausreichend, um das Thema Pflege vernünftig lösen zu können. Und Hofmann fügt hinzu: „Das Thema Kosten darf man natürlich in der bPV auch nicht außer Acht lassen, da eine gute Absicherung auch nicht günstig ist und die Unternehmen ihre Zuschüsse für den Bereich Benefits auch nur einmal ausgeben können. Dann investiert man eher in kurzfristige Benefits und in die bAV bzw. bKV.“

Wohin geht’s?

Und dennoch: Der PKV-Verband ist überzeugt, dass die bPV an Relevanz gewinnen wird. Die Zahl der Pflegebedürftigen werde aller Voraussicht nach weiter steigen – von heute 5,6 Millionen auf rund 6,5 Millionen im Jahr 2040. Und im gleichen Zeitraum werde die Zahl der Menschen im Erwerbsalter um bis zu 4,8 Millionen sinken. Arbeitgeber seien davon gleich doppelt betroffen, da sich auch der Fachkräftemangel verschärfen würde und immer mehr Mitarbeiter sich zu Hause um die Pflege eines Angehörigen kümmern müssen. Unternehmen sollten sich also frühzeitig auf diese Entwicklung einstellen.

Nachfrage steigend – Potenzial für Makler

Fiegl sieht einen Lichtblick für eine bessere Versorgung: „Immer mehr Arbeitgeber sprechen uns proaktiv auf das Thema bPV an. Pflege ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, das auch aktuell wieder im Fokus der Medien steht und an deutlicher Präsenz gewinnt – sowohl aus vertrieblicher als auch aus Kundensicht.“

Und sie stellt einige Vorteile für Makler heraus, die sich im Rahmen der bKV auch der bPV annehmen: „Die bKV ist das Wachstumsfeld in der deutschen Versicherungswirtschaft. Die betriebliche Pflegeversicherung ist davon noch ein kleiner Teilbereich. Obwohl das Geschäftsfeld insgesamt stark wächst, gibt es derzeit noch wenige Makler, die sich auf den Bereich der betrieblichen Gesundheitsabsicherung spezialisieren. Gleichzeitig ist die Nachfrage seitens der Arbeitgeber hoch. Im Ergebnis lohnt es sich gerade auch für (Sach-)Makler mit vielen Firmenkunden, diesen Geschäftsbereich für sich zu erkennen, das Potenzial zu nutzen und kleine und mittelständische Unternehmen gezielt anzugehen.“

Idee: bPV im Benefit-Budget

Hofmann sieht ebenfalls gute Chancen für Makler, die sich mit dem Thema bPV auseinandersetzen und es in die Firmen tragen: „Jeder Makler und Vermittler muss dieses Thema bei den Arbeitgebern ansprechen und zukünftig wird das sicherlich auch mit in die Beraterhaftung aufgenommen werden. Die Politik wird auch sicherlich in den nächsten Jahren die gesetzliche Pflegeversicherung neu aufstellen müssen und dann werden jeder Bürger und auch die Firmen mehr in die Verantwortung genommen, privat vorzusorgen. Demnach stehen die Chancen für jeden Vermittler sehr gut und einige müssen einfach weg von dem reinen Produktverkauf.

Wir als Pension Benefits AG versuchen immer, vom Arbeitgeber ein Benefit-Budget für die Mitarbeiter zu bekommen. Dies liegt in der Regel bei 3 bis 5% der Lohn- und Gehaltssumme. Top-Arbeitgeber zahlen 10% und mehr. Wenn man ein solches Budget mit dem Arbeitgeber vereinbart, kann man als Makler ein tolles Konzept für die Mitarbeiter aufstellen und hier kann durchaus die bPV mit integriert werden. Wenn man durch ein solches Konzept ein bis zwei Krankenfehltage pro Jahr und Mitarbeiter einspart, hat das Unternehmen diese Investition in sein Humankapital bereits refinanziert oder verbessert damit sogar sein Betriebsergebnis.“

Fazit: Teil der Lösung

Birken fasst es noch einmal zusammen: „Schon aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive, mit rund fünf Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland und leeren Kassen, ist die Pflege eine unserer größten Herausforderungen. Betriebliche Lösungsansätze haben inzwischen sogar Eingang in die politische Diskussion gefunden. Gleichzeitig leiden viele Unternehmen und ganze Branchen inzwischen nicht mehr ‚nur‘ an einem Fachkräftemangel, sondern ganz generell an einem Arbeitskräftemangel. Diese Herausforderungen bieten Maklern exzellente Chancen, sich mit den vielfältigen Möglichkeiten der betrieblichen Vorsorge – und speziell der betrieblichen Pflege – als echter Lösungsanbieter bei den Firmen zu positionieren.“

So scheint in der betrieblichen Pflegeversicherung noch ein riesiges, bislang von vielen Seiten jedoch eher unentdecktes Potenzial zu liegen. In der öffentlichen und politischen Diskussion findet die bPV kaum statt. Dabei könnte sie doch zukünftig ein Teil der Lösung sein – für Unternehmen als Benefit und Fürsorge für ihre Mitarbeiter und gegen den Fach- und Arbeitskräftemangel, für den Makler- und Versicherungsvertrieb sowie für das gesellschaftliche Problem der Pflegebedürftigkeit einer größer werdenden Zahl von Menschen. (lg/mki)

Bild: © taidundua – stock.adobe.com

 

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Ulrich Welzel … am 31. Juli 2024 - 12:29

Andreas Hofmann bringt es auf den Punkt: „Es fängt auch immer bei dem Vermittler bzw. Makler an." 

Seit Jahren führe ich als Betrieblicher Pflegelotse, mit 13 Jahre Hospizbegleitung und Fachausbilder für Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht, Trainings für Versicherer und Banken zur Pflege durch. Die Fachkenntnis ist in dem Bereich Pflege sehr schlecht. Ausnahmen gibt es nur, wenn der Vermittler selber schon in der Pflegesituation war. 

Mich wundert: Wer eine BU verkauft, verkauft selten eine Pflegeabsicherung. 

Das Vertriebspotential ist gewaltig. Henkel macht es vor. 

Ulrich Welzel