Herr Kettnaker, in der ALH Gruppe stechen bei den Geschäftszahlen 2021 insbesondere zwei Bereiche hervor, die bKV und die bAV. Finden sich dort die Treiber für die Entwicklung?
Zunächst einmal sind wir sehr zufrieden mit der Geschäftsentwicklung insgesamt. Wir haben erstmals 5 Mrd. Euro im Beitragseinnahmen überschritten. In der Lebensversicherung ist ein Treiber unsere BU-Versicherung, aber eben wie von Ihnen genannt auch die bAV, bei der wir im laufenden Beitrag im Neugeschäft um 34% gewachsen sind. Ein weiterer ist die bKV, die im Vergleich zum Vorjahr in der Anzahl versicherter Personen um 36% gewachsen ist.
Die Bereiche klingen ähnlich, haben aber gar nicht so viel gemein, oder?
Der bAV-Markt ist ein traditioneller Markt mit festen Geschäftsbeziehungen, basierend auf der Logik der fünf Durchführungswege. Als Versicherer braucht man die professionellen Fertigkeiten, diese zu bedienen. Bei der bKV handelt es sich um einen sehr jungen Markt. Er ist überhaupt nicht entwickelt, man muss dort viel gestalten und Akzente setzen.
Die ALH Gruppe partizipiert aber im Besonderen, weil wir die Strategie des Konzerns auf die betriebliche Versorgung und das mittelständische Gewerbegeschäft fokussiert haben. Deshalb besetzen wir diese Geschäftsfelder so gut.
Wie sieht es aber bei Arbeitgebern und Vermittlern aus? Ist derjenige, der eine bAV anbietet, auch gleich offen für die bKV? Und ist der Vermittler nicht eher eins von beiden: bAV- oder bKV-Spezialist?
Das ist im Prinzip die Schlüsselfrage und superspannend. Erstens: Am Anfang der Marktentwicklung konnten wir bAV-Makler gar nicht für die bKV begeistern. Man denkt zuerst, das ist eine logische Synergie. Nein, ist es nicht. Es musste erst verstanden werden, dass aufgrund einer bKV – anders als in der PKV – Geschäftsprozesse beim Arbeitgeber ausgelöst werden. Die Anbahnungszeiten betragen etwa acht bis zehn Monate.
Zweiter Punkt: Es musste erst einen Lerneffekt geben. Am Anfang haben wir mit Blick auf die bKV die Benefit-Manager, also klassisch HR, angesprochen. Ein Personalchef hat nach fünf Minuten gedanklich eine bKV gekauft, weil er Gesundheitsförderung im Unternehmen gut findet. Nur: Dann muss er damit in die Geschäftsführerrunde. Wir haben sozusagen dem HR-Chef ein bisschen die Verkäuferrolle überlassen. Nur konnte dieser die Fragen des kaufmännischen Geschäftsführers oft nicht beantworten und damit war die bKV raus.
Dann haben wir angefangen, unser Wissen aus der bAV zu transportieren und Unterstützungslogiken für Makler und Kunden zu schaffen. Also: „Wie baue ich eine Versorgungsordnung auf? Wie ist die steuerliche Behandlung der bKV?“ Da braucht es Spezialexpertise. Ein schönes Produkt ins Schaufenster zu stellen, hilft nicht, wenn niemand das Produkt ordentlich handhaben kann. Wir können nicht einfach aus einem bAV-Berater einen bKV-Berater machen, da braucht es eigene und umfängliche Expertise.
Wenn Sie die Prozesse ansprechen, wie unterscheiden sich diese?
In der bAV gibt es kaum Kontaktpunkte in der Vertragslaufzeit, vielleicht ein paar An- und Abmeldungen bei Fluktuation, Mutterschutz oder Sabbatical. Erst wenn der Arbeitnehmer in Rente geht und der Rentenfall ausgelöst wird, ist der Kontakt da. In der bKV gibt es stetigen Kontakt, nur wollen die Personalabteilungen keine allzu große Belastung damit. Wir müssen also ein Produkt schaffen, das attraktiv ist für den Arbeitgeber. Und wir müssen die Vertriebsunterstützung sowie das fachliche Know-how bieten und saubere, nicht belastende Prozesse im Unternehmen aufbauen – in der Logik einer permanenten Inanspruchnahme durch den Arbeitnehmer.
Und erst diese drei Komponenten machen Sie zum erfolgreichen bKV-Versicherer. Offen und ehrlich: Wir haben vier Jahre im Markt gelernt und das befähigt uns nun, die Marktbedürfnisse auch zu bedienen.
Liegen die beiden Themen dann auch in der Digitalisierung weit auseinander?
Wir kennen alle die bAV-Portale, die es auf dem Markt gibt. Wir haben mit diesen Portalen gemeinsame bKV-Lösungen erarbeitet, die wir dem Arbeitgeber zur Verfügung stellen. Die Besonderheit in der bKV ist: Es gibt ja nur das Obligatorium, also quasi alle Mitarbeiter oder keiner. Von daher können Sie alle Mitarbeiter des Unternehmens von vornherein hochladen. Dann bekommen alle automatisiert den Versicherungsschutz und die Bestätigung. Zudem unterstützen wir den Arbeitgeber natürlich auch noch in der Kommunikation.
Für einen sich erst noch zu entwickelnden Markt klingt das nach sehr viel Aufwand und sehr viel Investition. Noch keine 18.000 Unternehmen – von rund drei Millionen – bieten ihren Mitarbeitern eine bKV an. Bahnt sich da tatsächlich ein so großer Wachstumsmarkt an?
Wir sprechen natürlich von einem Erfolg, weil der Markt die bKV angenommen hat. Und es kommen immer mehr Teilnehmer hinzu, die den Markt adäquat bearbeiten wollen. Manche mit eigenen Produktideen, manche mit teilweise bereits auf dem Markt bestehenden Produktideen. So möchte ich es mal sagen.
Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, diesen Markt wirklich innovativ zu bearbeiten. Und deswegen sind ja auch nach dem Vorsorgegutschein damals die Budget-Tarife entstanden. Wir sind in den betrieblichen Gesundheitslösungen ein innovativer First Mover. Zuletzt kam die betriebliche Pflege hinzu – ein sehr interessantes Produkt, vor allen Dingen unter Berücksichtigung der momentanen Diskussion mit Pflege. Und wir sind natürlich über den PKV-Verband auch in politischen Gesprächen, dass die Pflege gefördert werden soll und es uns gelingen mag, für die betriebliche Pflege auch einen eigenen steuerlichen Durchführungsweg, also nicht mehr den klassischen Sachbezug wie wir ihn heute kennen, zu bekommen.
Wie hoch ist denn Ihr Marktanteil in der bKV und welche Umsetzungen gibt es in der Pflegeversicherung?
Die betrieblichen Pflege steht erst am Anfang. Da kann ich Ihnen im Moment noch gar nicht den durchgängigen Markterfolg sagen. Wir hatten aber 2021 einen bKV-Anteil am Neugeschäft von knapp 27%. Für 2021 liegen die Zahlen vom Verband noch gar nicht vor, meine ich.
Aber ich möchte noch einmal auf den Erfolg zurückkommen, das hatten Sie vorhin ja gefragt. Für mich steht außer Frage, dass das ein Markt ist, der enorme Entwicklungschancen hat. Ich glaube, dass Arbeitgeber beide Versorgungssysteme in einer gleich wichtigen Güte sehen und ihren Arbeitnehmern zur Verfügung stellen können und wollen. Deswegen glaube ich, dass der bKV-Markt eine Entwicklung nehmen wird wie der bAV-Markt.
Welche Tarife werden denn in der bKV vermittelt?
Nun, wir haben nach wie vor noch die Vorsorgegutscheine. Wir haben den FEELfree, unseren Budgettarif. Was wir sehen ist, dass der Budgettarif in der Ansprache oft der Einstieg ist. Die Mindestgrenze im Budgettarif kostet 9,95 Euro. Die Durchschnitts-bKV lag beispielsweise 2020 aber bei 21,70 Euro. Daran sieht man, dass Arbeitgeber den Versicherungsschutz gerne noch individualisieren und Komponenten und Bausteine hinzunehmen. In größeren Unternehmen gibt es auch unterschiedliche Hierarchien mit unterschiedlichen Budgets. So bekommt die Top-Führungsebene zum Beispiel den 1200er Budgettarif, die mittlere Führungsebene den 600er und die Mitarbeiter den 300er. Das ist gesetzlich zulässig, dass sie Gruppen innerhalb der Arbeitnehmerschaft bilden. Und so kommen dann doch unterschiedliche Beiträge zustande.
Dann lassen Sie uns doch noch mal auf die bAV schauen. Der Zuwachs ist auch dort hoch. Woran liegt es?
Wir sind ein traditioneller bAV-Versicherer und haben natürlich auch einen Bestand, dem Geschäftsvolumen innewohnt. So würde ich sagen, dass 60% des Geschäfts Neuzugänge sind, 40% des gesamten Geschäfts kommt aus Erhöhungen und Dynamiken. Da sieht man schon, dass wir die bestehenden Bestände mit den Maklern gemeinsam sehr stark bearbeiten. Bei den Neuzugängen muss man sich die unterschiedliche Entwicklung der Branchen ansehen. Es gibt Branchen mit vielen digitalen Unternehmen, die enorm viele neue Mitarbeiter einstellen. Und es gibt andere, die aufgrund des Marktzinses die bestehenden Versorgungssysteme auffüttern müssen, um die Renten sozusagen noch zu halten. Und dadurch entsteht in den bestehenden bAV-Geschäften ein hoher Anpassungsanteil.
Zudem gab es die Änderung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes zum 01.01.2022 mit dem 15%-Arbeitgeberzuschuss für den Bestand. Viele Makler haben darauf hingearbeitet und davon partizipiert natürlich ein lange im bAV-Geschäft wirkender Versicherer mehr als Unternehmen, die noch nicht so einen großen bAV-Bestand haben. Und da bekommt auch die Digitalisierung eine besondere Note. Die Arbeitnehmerberatung erfolgt viel häufiger über digitale Tools. Der Makler muss nicht mehr in die Regionen fahren.
Trotzdem muss es doch Verunsicherungen hinsichtlich des Zinses und der Garantien geben?
Ich würde sagen, die letzten zwei Jahre waren tatsächlich davon geprägt. Langsam haben aber auch die Deutschen verstanden, dass aufgrund der nun elf Jahre anhaltenden Niedrigzinsphase anders gespart werden muss. Mittlerweile erleben wir, dass aus 100% Garantie 80 oder 75 geworden sind. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben die Scheu vor der fondsgebundenen Logik verloren. Gemanagte Fonds und Baskets werden akzeptiert und so sehen wir auch einen Zuwachs in der fondsgebundenen bAV.
Steigt denn auch die arbeitgeberfinanzierte bAV?
Beides in gleichem Maße. Wir sprechen immer vom War of Talents und da sind wir aber auch schnell wieder bei dem Zusammenspiel von bAV und bKV. Bewerber fragen durchaus nach einer Gesundheitsvorsorge. Die bAV ist im War of Talents eher ein Hygienefaktor, die bKV das Sahnehäubchen.
Gehen Sie davon aus, dass die bAV auch weiterhin gut läuft?
Absolut. Die Entwicklung ist ungebrochen.
Sie haben vorhin schon mal angesprochen, dass neue Wettbewerber in den Markt der betrieblichen Versorgung eintreten mit mehr oder weniger eigenen Ideen. Wie begründen Sie das?
Es handelt sich um einen attraktiven Markt und dies wissen natürlich alle. Wir sagen immer mit einem kleinen Augenzwinkern, dass es bei den Budgettarifen ist wie bei „Werthers Echte“: Bei uns gibt es das Original. Und ja, wir nehmen es durchaus als Ritterschlag, wenn man uns als Blaupause im Markt kopiert. Mittlerweile gibt es viele Budgettarife, nur kommt plötzlich wieder der gute alte Provisionswettbewerb auf das Trapez. Und dem unterwerfen wir uns nicht. Wir sind ein Maklerversicherer und wissen: Der Makler steht im Lager des Kunden. Er muss nach Bedürfnislage des Kunden die richtige Lösung finden und etablieren. Nun erleben wir aber gerade wilde Konstrukte.
Welcher Art?
Es gibt Aussagen wie: „Wenn du eine bAV bei uns hast und nun die bKV auch bei uns machst, gibt es ein oder zwei MB mehr.“ Und was passiert? Es kommen Fragen von Maklern, ob wir das auch machen. Nein, machen wir nicht. Warum nicht? Es gibt eine IDD, die wir sehr ernst nehmen. „Koppelprodukte“ finde ich nicht richtig. Es ist ein Anreiz in der Vergütung, den ich nicht sauber im Markt sehe und der den Makler in seiner Freiheit begrenzt.
Wir in der ALH Gruppe halten unser Selbstverständnis in der Produktqualität, in der Prozessqualität und in der Vertriebsunterstützung. Das alles stellt einen Wert dar, eine Dienstleistung, die wir dem Kunden und dem Makler gegenüber erbringen. Mit einer Zusatzprovision wollen wir das nicht versehen. Ich finde es sehr schade, dass gerade so ein junger Markt mit solchen finanziellen Anreizsystemen beeinflusst wird. Aber ich kann es auch nicht verhindern.
Und natürlich könnte es die Politik auf den Plan rufen?
Ja, man darf nicht vergessen, wir führen auf höchster Ebene politische Gespräche, um eine Förderung betrieblicher Versorgungssysteme zu erreichen. Und wir stoßen dort auch auf Gehör. Aber die genannten Entwicklungen könnten da natürlich konterkarierend sein.
Von welcher Seite kommen die Entwicklungen?
Sagen wir es mal so: Es gibt einen, der einen Schneeball formt und oben vom Berg rollt. Das gibt den gleichen Effekt. Es sind jedenfalls marktetablierte Größen dabei.
Ich respektiere es, wenn die bKV bei uns gemacht wird und die bAV bei einem anderen Versicherer. Und manchmal ist es halt so, der Makler entscheidet sich für beide Systeme für einen anderen Versicherer und manchmal für uns – weil er diese oder jene Lösung für richtig hält. Aber da sollte nicht der monetäre Anreiz der Anlass sein, sondern das Kundenbedürfnis sollte im Vordergrund stehen.
Lassen sich denn die Vergütungen – womit wir wieder bei den Prozessen sind – durch irgendwelche Skaleneffekte erklären, wenn beide Systeme bei einem Versicherer laufen?
Es sind zwei unterschiedliche Lösungen, mit denen der Arbeitgeber serviciert wird. Wir haben in der Tat vorhin schon darüber gesprochen. Die Rahmenbedingungen, der permanente Kontakt in der Krankenversicherung im Vergleich zu dem wenigen Kontakt in der bAV. Das sind unterschiedliche Ansätze. Da findet sich keine Erklärung für das Vorgehen.
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Artikelfoto: © Farknot Architect – stock.adobe.com; Porträt: © ALH Gruppe
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