Der Beweiswert einer im Nicht-EU-Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert sein, wenn nach der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung des zu würdigenden Einzelfalls Umstände vorliegen, die zwar für sich betrachtet unverfänglich sein mögen, in der Gesamtschau aber ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Bescheinigung begründen. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie bei einer in Deutschland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. So ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von Mitte Januar.
Trotz verordneter Ruhezeit Antritt der Rückreise
Der Kläger, seit 2002 als Lagerarbeiter beschäftigt, legte 2017, 2019 und 2020 nach Urlauben Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Kurz vor Ende eines Urlaubs in Tunesien teilte er per E-Mail mit, er sei krankgeschrieben, und legte ein Attest eines tunesischen Arztes vor. Darin wurde ihm wegen Ischiasbeschwerden 24 Tage Ruhezeit und ein Reiseverbot bescheinigt. Doch schon einen Tag nach Ausstellung der Krankschreibung buchte der Kläger ein Fährticket für ein Datum vor Ende der verordneten Ruhezeit und trat an diesem Tag die Rückreise nach Deutschland an. Der Arbeitgeber verweigerte die Entgeltfortzahlung, kürzte die Vergütung und wies auf Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit hin. Dagegen ging der Arbeitnehmer gerichtlich vor. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, das Landesarbeitsgericht (LAG) gab ihr statt, worauf der Arbeitgeber in die Revision vor das BAG ging, welche zum Erfolg führte.
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Gesamtschau nicht überzeugend
Das LAG habe zwar zutreffend erkannt, dass einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die in einem Land außerhalb der Europäischen Union ausgestellt wurde, grundsätzlich der gleiche Beweiswert wie einer in Deutschland ausgestellten Bescheinigung zukommt, wenn sie erkennen lässt, dass der ausländische Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterschieden hat. Allerdings habe es die Umstände nur jeden einzelnen Aspekts isoliert betrachtet. In der Gesamtbetrachtung, also zum Beispiel Zeitpunkt der Ticketbuchung und Antritt der Rückreise oder auch die vorangegangenen dreimaligen AU-Bescheinigungen nach einem Urlaub, bestünden ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Das hat zur Folge, dass nunmehr der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG trägt. Da das Landesarbeitsgericht – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.
BAG, Urteil vom 15.01.2025 – Az: 5 AZR 284/24
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