Herr de Vries-Hippen, Aktien gelten vielen Deutschen nach wie vor als zu riskant. Zu Recht?
Die Frage lautet doch eher was als „zu riskant“ bewertet wird. Mit festverzinslichen Wertpapieren mit „Sicherheit“ im besten Fall nicht drauf zu zahlen? Oder mit einem persönlich definierten Aktienanteil langfristig Renditechancen überlegt für sich zu nutzen? Erinnern Sie sich mal an das Jahr 2008. Hätten Sie eine Glaskugel gehabt und hätten Sie darin die Ereignisse vorausgesehen, die der Untergang Lehman Brother mit sich gebracht hätte. Wären Sie dann eingestiegen? Heute ist eine rückblickende Beurteilung einfach: Sie hätten damit beispielsweise an einer Entwicklung der europäischen Aktienmärkte von rund 50% partizipiert. Oder eben nicht. Der langfristige und der globale Blick auf die Märkte ist entscheidend und daran sollten sich an Zielen und Erwartungen orientieren. Dann relativiert sich auch die Risiko-Wahrnehmung.
Wo stehen Dax & Co in einem Jahr?
Das wissen wir nicht. Aber das ist für uns als langfristige orientierte Investoren auch nicht ausschlaggebend. Aber wir gehen davon aus, dass es in diesem Jahr Schwierigkeiten zu überwinden gilt, die sich weiter in hohen Auf´s und Ab´s an den internationalen Aktienmärkte widerspiegeln. Zwar hilft die lockere Geldpolitik der Wirtschaft in Europa, aber man sollte nie davon ausgehen, dass ein Medikament in so hohen Dosen eine Dauerlösung ohne Nebenwirkungen bleibt. Und die Nebenwirkungen sind selten kalkulierbar. Auch beim niedrigen Ölpreis gilt – des einen Freud, ist des anderen Leid. Einige profitieren von den niedrigen Energiepreisen, andere belasten sie extrem. In welche Richtung sie die Weltwirtschaft am Ende beeinflussten, wird sich erst noch herausstellen. Aber gerade in diesem unsicheren Gesamtumfeld erwarten wir interessante Einstiegsmöglichkeiten sowohl bei bewährten Qualitätsunternehmen als bei kleineren Titeln mit überdurchschnittlichem Wachstumspotenzial.
Wie gefährlich ist die Lage in China für die Finanzmärkte?
Auch hier lohnt sich zunächst ein Blick aus der Vogelperspektive. China gehörte im 19. Jahrhundert zu den mächtigsten Wirtschaftsnationen der Welt. Um diese Stellung wieder einzunehmen, durchläuft das Land gerade einen gigantischen Modernisierungsprozess. Das braucht Zeit und kann auch mal einen Schritt nach vorn und zwei zurück bedeuten. Das passiert an den globalen Börsen natürlich nicht geräuschlos. Aber glauben Sie, dass Chinas Bevölkerung grundsätzlich hinter den Lebensstandards anderer Industrienationen zurückstehen will? Auch wenn Reform-Verzögerungen und politische Fehlschläge möglicherweise eine „Zwangs-Diät“ zur Folge haben, dürfte der Wachstumshunger noch lange nicht gestillt sein. Und an dem werden auch europäische Unternehmen weiter wachsen – wenn sie entsprechend aufgestellt sind.
Was ist derzeit die größte Gefahr für die Finanzmärkte?
Die hohen Marktschwankungen, die aufgrund der immer knapper werdenden Liquidität weltweit anhalten dürften. Diese Volatilität ist das Ergebnis mangelnder Liquidität. Das wird vor allem schwierig, wenn auf Anlegerseite eine sehr kurzfristige und emotionale Perspektive dazu kommt. Wenn Sie in Vermögenswerte investieren, die aufgrund mangelnder Alternativen bei vielen Anlegern hoch in der Gunst stehen, dürfen Sie die Möglichkeit von Extremrisiken nicht ausblenden. Das sind Ereignisse, die unvorhersehbar sind und damit extreme Reaktionen an den Märkten auslösen können. Wenn der „Schwarze Schwan“ auf der Bildfläche erscheint und alle auf einmal durch den gleichen Ausgang wollen, kann das zur Falle werden. Oder zu einem exklusiven Notausgang führen, der im Zweifel teuer ist. Deswegen sollten Anleger im Umfeld emotionaler Ausnahmezustände an den Börsen ihre Ziele nicht aus den Augen verlieren und abwarten, bis sich rationale Entscheidungsgrundlagen abzeichnen. Auf lange Sicht hat bisher noch jeder „Schwarze Schwan“ an Einfluss verloren. Und zwar immer dann, wenn sich vernünftige Lösungen für die Problemursache an den Märkten durchgesetzt haben.
Wie sieht für Sie der ideale Anlagemix aus?
Eine breite Streuung über verschiedene Anlageklassen ist entscheidend, um mögliche Rückschläge unter widrigen Marktbedingungen abzufedern und sich damit den notwendigen Atem zu verschaffen, um an langfristigen Investmentzielen festhalten zu können. Je höher diese ausfallen und je weiter sie weg sind, umso größer sollte dann auch der Aktienanteil sein. Wo Chancen sind, sind Risiken. Das gilt heute wie zu allen Zeiten. Aber Anleger sollten auch nicht vergessen, dass diese Weisheit auch umgekehrt gilt: ohne Risiken gibt es langfristig keine Renditechancen. Wer sich 2016 nicht mehr auf die Märkte allein verlassen will, für den sollte sich der kritische Blick auf Einzeltitel und das aktive Management in allen Anlageklassen auszahlen. (mh)
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