Ein Artikel von Anja C. Kahlscheuer, Geschäftsführerin und Rechtsanwältin beim Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute e. V.
Wenn man eines für das Jahr 2022 bis jetzt schon konstatieren kann, so ist es, dass der Versicherungsvertrieb in Deutschland durch neue europäische Regelungen stärker betroffen sein wird, als es in den vergangenen Jahren der Fall war. Seit der Umsetzung der EU-Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) zum 23.02.2018 gab es zwar immer wieder kleine Regelungen, große Änderungen, wie sie derzeit anstehen, blieben jedoch aus.
Was gilt es nunmehr zu beachten?
Es wird wichtig sein, die regulatorischen Anforderungen im Blick zu behalten und den Beratungsprozess dementsprechend anzupassen. Gerade die Aspekte rund um das Thema „Nachhaltigkeit“ werden den Versicherungsvertrieb stark beschäftigen. So gelten ab 02.08.2022 neue Regelungen zur Verankerung des Nachhaltigkeitsaspektes im Versicherungsvertrieb. An diesem Tag trat eine neue Verordnung in Kraft, die alle Versicherungsvermittler dazu verpflichtet, Kunden im Rahmen einer Beratung zu einem Versicherungsanlageprodukt wie etwa Fondspolicen nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen zu befragen.
Neue Leitlinien für Nachhaltigkeit
Da viele Informationsdefizite und Unsicherheiten bei den Vermittlern als auch bei den Unternehmen bestanden und bestehen und die zeitliche Abfolge der europäischen Regulatorik nicht ganz reibungslos abläuft, sah sich die europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) bemüßigt, eine Konsultation zu dem Thema „neue Leitlinien für die Nachhaltigkeitspräferenzen“ durchzuführen. Der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute e. V. (BVK) hat zu dieser wie auch zu vielen anderen Konsultationen Stellung bezogen.
Wenn auch der BVK grundsätzlich die neuen Leitlinien begrüßt, gab es doch einige Gesichtspunkte, die für eine konstruktive Kritik durchaus geeignet sind. Angefangen bei der kurzen Zeitspanne, die für die Stellungnahme seitens EIOPA gesetzt war, bis hin zu neuen weiteren bürokratischen Verpflichtungen oder Kosten, die grundsätzlich abzulehnen sind. Auch die Gefahr, dass ein standardisierter Verkaufsprozess letztendlich nicht zu dem gewünschten Erfolg, nämlich einer individuellen Beratung für die Kunden mit einer persönlichen Begleitung, führt, wurden aufgezeigt. Ob und wie die neuen Leitlinien umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.
Schutz von Kleinanlegern
Neben der EIOPA-Konsultation für neue Leitlinien für die Nachhaltigkeitspräferenzen im Zuge der IDD-Umsetzung meldete sich der BVK aber auch zur Konsultation der EIOPA zum Schutz von Kleinanlegern im Kapitalmarkt zu Wort. Diese Konsultation veröffentlichte EIOPA im Januar 2022, um letztendlich ein Stimmungsbild bei den Marktteilnehmern zu diversen Fragen zu erhalten. Auch hier sollten innerhalb eines Monats alle Marktteilnehmer Stellung beziehen. Im Rahmen dieser Konsultation waren auf einmal wieder entscheidende Fragen wie zum Beispiel die Vergütungssysteme allgemein, die Frage des Interessenkonfliktes und des digitalen Vertriebes auf dem Tisch. Selbst wenn sich die Konsultation vorwiegend nur auf die Versicherungsanlageprodukte bezieht, hat sie doch weitreichende Bedeutung für den Markt im Allgemeinen und die zukünftigen Vergütungsmodelle im Besonderen. Die Ergebnisse der Konsultation zum Kleinanlegerschutz im Kapitalmarkt wird erst im dritten Quartal 2022 ausgewertet vorliegen.
EU-Aktionsplan „Kapitalmarktunion“
Grundlage der Konsultation war der Aktionsplan der Europäischen Kommission (CMU – Capital Market Union), der vorsieht, die Interessen der individuellen Investoren in Finanzprodukte zu steigern. Zu diesem Zweck verabschiedete die Europäische Kommission die sogenannte Retail Investment Strategy im August 2021 und bat die unterschiedlichen Aufsichtsbehörden, unter anderem EIPOA, Vorschläge zu unterbreiten.
Wenngleich der BVK die Ziele der Capital Market Union grundsätzlich begrüßt, ist er dennoch der Auffassung, dass die vorhandenen rechtlichen Rahmenbedingungen ausreichend sind. Die Wirkungen von IDD, der zweiten Finanzmarktrichtlinie (MiFID II) und der Product Oversight and Governance (POG), die in der IDD selbst verankert sind, sind zunächst abzuwarten, bevor weitere Maßnahmen eingeleitet werden. Denn jede neue Regelung am Markt bringt für Versicherungsvertriebe zusätzliche Verpflichtungen, die zum einen kostenintensiv sind und zum anderen zu neuen bürokratischen Belastungen führen. Regulatorische Stabilität ist daher eine vordringliche Forderung, die immer wieder seitens des BVK hervorgehoben wird. Auch ist der BVK der Auffassung, dass ein freier Markt mit unterschiedlichen Vergütungssystemen den besten Schutz für Verbraucher liefert, damit dieser sein Wahlrecht entsprechend ausüben kann. Das provisionsbasierte System bietet dem Verbraucher einen erschwinglichen Zugang zu qualifizierter Beratung.
Regulierung des Online-Vertriebs
Auch die Regulierung des Online-Vertriebes im Hinblick auf gleiche Informationspflichten und gleiche Wettbewerbsbedingungen ist äußerst wichtig. Dieser Gedanke wird im Übrigen auch durch die geplante Änderung seitens der Europäischen Kommission, die Richtlinie für im Fernabsatz geschlossene Finanzdienstleistungsverträge zu ändern, aufgegriffen. Auch hier hat sich der BVK mit einer Stellungnahme zu Wort gemeldet. Wenngleich der BVK die Annäherung und Überarbeitung der veralteten Vorschrift an neue Regelungen begrüßt, ist der Verband dennoch der Auffassung, dass auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben muss.
Die Einführung neuer Regelungen ist nur dann sinnvoll, wenn eine Kosten- und Folgenabschätzung ergibt, dass hier keine unnötigen zusätzlichen Belastungen für den Versicherungsvertrieb ausgebildet werden. Auch hier bleibt abzuwarten, wie die Politik weiter agieren wird. Der Entwurf der Europäischen Kommission wird nunmehr im Europäischen Parlament und Europäischen Rat diskutiert.
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 08/2022, S. 114 f., und in unserem ePaper.
Bild: © Artenauta – stock.adobe.com
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