Das am 15.11.2023 gefällte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zieht weite Kreise. In Karlsruhe hatte man an jenem Tag die Verfassungswidrigkeit des Nachtragshaushalts 2021 festgestellt und damit eindeutig geregelt, dass Notlagenkreditermächtigungen lediglich für das Notlagenjahr zur Verfügung stehen und anschließend verfallen. Speziell davon betroffen sind der Klima- und Transformationsfonds (KTF), der nun über 60 Mrd. Euro weniger Rücklagen verfügt, der Wirtschaftsstabilisierungsfonds Energie, dessen Sondervermögen zum Ende des Jahres 2023 aufgelöst wird, sowie das Sondervermögen Aufbauhilfe 2021, dessen Mittel 2023 nicht mehr in Anspruch genommen werden können.
Um dem Urteil gerecht zu werden, hat das Kabinett am Montag, 27.11.2023, einen Nachtragshaushalt 2023 beschlossen, über den das Finanzministerium auf seiner Website informiert. Und auch wenn man etwas suchen muss – bei den Haushaltsanpassungen steht auch ein Eintrag zur Aktienrente, einem der wichtigsten Vorhaben der Freien Demokraten (FDP).
Aktienrente wird verschoben
„Schuldenregelneutrale Minderausgaben durch Wegfall des Darlehens an das Generationenkapital im Jahr 2023 (10 Mrd. Euro)“ – oder etwas verständlicher: Der Bund wird in diesem Jahr anders als geplant keine 10 Mrd. Euro an sogenanntem Generationenkapital in einen von einer unabhängigen, öffentlich-rechtlichen Stiftung verwalteten Fonds investieren, der die gesetzliche Rente mithilfe des Kapitalmarkts finanzieren soll.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Die FDP betont derweil, wie es in mehreren Medien übereinstimmend heißt, dass das Projekt trotzdem noch umgesetzt würde. Die Einzahlung der 10 Mrd. Euro sei lediglich verschoben worden, da es in der Koalition noch keine Einigung auf das Rentenpaket gebe. Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) seien sich weitgehend einig, doch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stelle sich noch gegen das Vorhaben.
Das sagt die Branche zur Verschiebung der Aktienrente
Auf Nachfrage von AssCompact haben sich auch einige Vertreter der Versicherungsbranche zur Verschiebung der Aktienrente geäußert. Ein Sprecher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) sagte AssCompact, dass grundsätzlich jede Entlastung künftiger Generationen willkommen und es daher „im Prinzip richtig“ sei, zur Finanzierung der gesetzlichen Rente neben laufenden Beiträgen und Steuern auch auf den Kapitalmarkt zu setzen. „Für ein gutes Leben im Alter wird die gesetzliche Rente aber wohl auch dann nicht ausreichen“, so der GDV-Sprecher. Die Versicherungswirtschaft setze daher vor allem auf die dringend notwendige grundlegende Reform der geförderten privaten Altersvorsorge.
BVK: Politik in der Pflicht
Auch der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute e. V. (BVK) nutzt auf Nachfrage von AssCompact die Gunst der Stunde, um die Politik in Sachen privater und betrieblicher Altersvorsorge in die Pflicht zu nehmen. BVK-Präsident Michael H. Heinz: „Wir sehen die große Gefahr, dass wichtige Reformen auch in dieser Legislaturperiode nicht umgesetzt werden. Wir setzen uns weiter für eine reformierte Förderung der privaten und betrieblichen Altersvorsorge ein. Die derzeitige Haushaltssituation zeigt, dass sich die Bürger nicht allein auf staatliche Vorhaben verlassen sollten, sondern privat vorsorgen müssen.“
Der BVK befürchtet, dass ein weiterer Reformstau ein fatales Signal für die Altersvorsorge aussendet. „Die Rentenlücke der Bürger wird weiterwachsen und die Menschen sehnen sich nach adäquaten Möglichkeiten, vorzusorgen. Die Politik muss jetzt für die private und betriebliche Altersvorsorge die notwendigen Rahmenbedingungen und Impulse schaffen, um zukünftige Altersarmut zu verhindern“, erklärt Heinz.
„Politisch ein ungutes Signal“
Norman Wirth, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands Finanzdienstleistung e. V. (AfW), findet, dass die bisher erst vorgesehenen 10 Mrd. bis 12 Mrd. Euro, die dann jährlich zugeführt werden sollen, ein „Nice-to-have“ gewesen wären, die jedoch erst in ferner Zukunft überhaupt Auswirkungen auf die Stabilität der gesetzlichen Rente hätten. Mit 10 Mrd. Euro komme die gesetzliche Rente heute etwa zehn Tage weit. Die vorläufige Streichung werde dementsprechend nicht auffallen.
Die vorläufig erfolgte Streichung halte Wirth für „nachvollziehbar, schade und zumindest politisch ein ungutes Signal – aber nicht für dramatisch und wirkmächtig. Viel wichtiger für die Stabilisierung der gesetzlichen Rente wäre sowieso, endlich an die drei Haltelinien zu gehen – Rentenniveau, Beitragssatz, Rentenalter. Betriebliche Altersvorsorge ist und bleibt – unabhängig von der aktuellen Entscheidung – von höchster Relevanz“.
Fondsbranche äußert sich
Auch in der Fondsbranche regen sich langsam die Stimmen. Christoph Quiring, Head of Workplace Investing bei Fidelity International, teilte Folgendes mit: „Die Entscheidung, das Generationenkapital zu verschieben, ist ein herber Rückschlag für die Generationengerechtigkeit in unserem Land und verschiebt das Finanzierungsproblem der gesetzlichen Rentenansprüche weiter in die Zukunft. Es sendet ein schlechtes Signal an die junge Generation.“
Zustimmung vom VdK
Positiv aufgenommen wurde die Streichung der 10 Mrd. Euro dagegen vom Sozialverband VdK, wie aus einer am Mittwochmorgen veröffentlichten Pressemitteilung hervorgeht. Präsidentin Verena Bentele: "Selbst ohne das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wäre es in diesen unsicheren Zeiten unverantwortlich gewesen, 10 Mrd. [Euro] zusätzliche Schulden aufzunehmen und auf dem Aktienmarkt zu parken." Zuallererst finanziere sich die gesetzliche Rente aus den Beiträgen der hart arbeitenden Menschen, weshalb die Bundesregierung jetzt, statt an die Börse zu gehen, in die Beschäftigten investieren und sich um gute und bezahlte Arbeit kümmern solle. "Staatliches Zocken am Aktienmarkt" sichere nicht langfristig die Rente.
Bentele empfiehlt der Bundesregierung, sich ganz von den Plänen des Generationenkapitals zu verabschieden und den Weg frei für das Rentenpaket II mit einer solide finanzierten Anhebung des allgemeinen Rentenniveaus zu machen, in dem alle Kürzungsfaktoren aus der Rentenformel gestrichen werden und die Renten wieder eins zu eins den Löhnen folgen müssten. (mki)
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